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# taz.de -- Debatte Aufbruch in Ägypten: Wir sind alle Khaled Said
> Die Revolte gegen das Mubarak-Regime kommt nicht aus dem Nichts. Denn die
> ägyptische Zivilgesellschaft hat eine Vorgeschichte des Protests.
Bild: Der Scheich ist reich. Und die saudi-arabische Bevölkerung?
Der heftige Protest gegen das Regime in Ägypten hat viele überrascht: Es
scheint, als sei er fast zufällig ausgebrochen. Doch die Revolte kommt
nicht aus dem Nichts. Lange glaubte man im Westen, politischer Wandel sei
nur von oben, vom Regime, oder schlimmstenfalls von islamistischen
Bewegungen zu erwarten. Nun zeigt sich, dass dies ein Trugschluss war. Denn
in den letzten 20 Jahren hat sich in Ägypten eine vielfältige
Zivilgesellschaft herausgebildet, die jetzt in Erscheinung tritt.
Ein wesentlicher Anstoß für diese Entwicklung kam ausgerechnet vom Regime
selbst. Schon 1997 forderte Husni Mubarak jeden Ägypter auf, die neue
Möglichkeiten des Internets zu nutzen. Mubarak wollte Ägypten zum Vorbild
einer modernen Wissensgesellschaft in der Region machen.
Eine ägyptische Gesellschaft zur Förderung des Internets wurde gegründet,
im ganzen Land wurden kostenlose Einwahlnummern plakatiert: unter der
Durchwahl 77777 konnte sich jeder Ägypter per Modem gebührenfrei ins
Internet einloggen. Da nur eine kleine reiche Schicht zu Hause einen
eigenen PC stehen hatte, schossen auf dem Land und in den Städten fortan
die Internetcafés aus dem Boden.
Internetfreiheit, Pressezensur
Zwar wurde parallel dazu die Presse zensiert und die Meinungsfreiheit immer
wieder eingeschränkt: Zeitungen wurden verboten, Journalisten zu
Haftstrafen verurteilt. Doch zugleich betrachtete die Regierung Mubarak die
"ägyptische Informationsautobahn" als einen wichtigen Standortvorteil, um
ausländische Direktinvestitionen ins Land zu ziehen. Deshalb wurden
Internetseiten in Ägypten nie zensiert oder blockiert - kein Vergleich zu
den Verhältnissen in Tunesien, Iran oder Saudi-Arabien.
Umso größer der Schock, als das Regime angesichts der Proteste im Januar
2011 plötzlich beschloss, das ganze Land für ein paar Tage flächendeckend
vom Internet zu nehmen - ein weltweit einmaliger Vorgang, der die
Demokratiebewegung aber nicht mehr aufzuhalten vermochte.
Viele Menschenrechts- und Frauenrechtsvereine nutzten das Internet von
Beginn an intensiv für ihre politische Lobbyarbeit und richteten eigene
Websites ein. Schon 1997 bot etwa die Friedrich-Ebert-Stiftung in Kairo
Seminare zur strategischen Nutzung des Internets für Bürgerrechtsvereine,
aber auch für Provider, Programmierer und offizielle Stellen an.
So begann die Internetära in Ägypten. Seither sind Internet und Facebook
für viele Ägypter zur zentralen Freizeitbeschäftigung geworden. Eine eigene
Seite einrichten konnte man sich ja an jedem Ort der Welt, zur Not, da es
vielen jungen Ägypter an einer eigenen Wohnung mangelt, auch auf dem Balkon
der Eltern. E-Learning verbreitete sich wie ein Lauffeuer unter jungen
Frauen und Männern.
Heute engagieren sich Ägypter in unzähligen Facebookgruppen, ob gegen die
Beschneidung von Frauen oder für Umweltprojekte. Die Umweltgruppe "Keep
Egypt clean", vor 5 Jahren gegründet, hat heute 85.000 Mitglieder, "Stop
Sexual harassment in Egypt" immerhin 5.000.
Vernetzte Facebook-Aktivisten
Diese Facebook-Gemeinschaften bildeten auch die Basis des Protests, der in
den vergangenen Tagen auf dem Tahrir-Platz in Kairo sichtbar wurde. Vor
allem von zwei Gruppen gingen die Demonstrationen dort aus: der Bewegung
"6. April" und der Facebook-Gruppe "We are all Khaled Said".
Der erste Name bezieht sich auf jenen Tag im Jahr 2008, an dem ein
Arbeiterstreik in der Stadt Mahalla al-Kubra stattfand. Um ihn zu
unterstützen, gründeten zwei Internetaktivisten unter diesem Datum eine
Facebook-Gruppe, auf der sie zugleich zu einem Generalstreik gegen das
Steigen der Lebensmittelpreise aufriefen: einem Streik, der wie so viele
der letzten Jahren im Westen keine Beachtung fand.
Die zweite Gruppe geht auf einen 28-jährigen Blogger zurück, der im Juni
2010 in Alexandria von Polizisten zu Tode geprügelt wurde. Said ist zur
Ikone der ägyptischen Demokratiebewegung geworden - so wie in Tunesien der
Exstudent und Obsthändler Mohamed Bouazizi, der sich im Dezember selbst
verbrannte, weil die Polizei ihn willkürlich drangsalierte.
Weißer Fleck der Globalisierung
Dazu kommt, dass das arabische Satellitenfernsehen mittlerweile eine
informierte panarabische Öffentlichkeit hervorgebracht hat: So konnte der
Funke aus Tunesien nach Ägypten überspringen. Dort hat die Zahl der Vereine
und ihrer Aktivisten, die nun als "Akteure des Wandels" auftreten, in den
letzten Dekaden stark zugenommen. Zwar wurden die Gesetze für solche
Vereine ständig verschärft, doch sie fanden Wege, die Verbote zu umgehen
und weiterzuarbeiten.
Hinzu kamen Teilreformen des Staates, wie es sie in den letzten zehn Jahren
in vielen arabischen Ländern selbst in so sensiblen Bereichen wie dem
islamischen Erbrecht gab. Sie haben die Menschen dort für die
Veränderbarkeit gesellschaftlicher Verhältnisse sensibilisiert.
Doch viele Außenstehende glaubten weiterhin, es gäbe in arabischen Ländern
überhaupt keinen Fortschritt von unten. Mit Blick auf die "Arabischen
Berichte über die menschliche Entwicklung" wurden sie von vielen als "weiße
Flecken" der Globalisierung betrachtet. Dabei nutzen in Ägypten heute 17
Millionen Menschen das Internet, und fast ein Drittel von ihnen – 5
Millionen – ist bei Facebook angemeldet.
Heute werden die Demonstrationen über das Internet nicht nur organisiert,
sondern auch orchestriert. Kaum war die Internetsperre aufgehoben,
kursierten schon wieder E-Mails mit Ratschlägen, wie man sich auf
Demonstrationen verhalten sollte, um keine Eskalation zu provozieren.
Und auch wenn sich der Protest längst verselbstständigt hat, bleibt etwa
Facebook doch ein wichtiger Gradmesser für die weitere Entwicklung. An der
Popularität seines Profils lässt sich ablesen, wie beliebt der
Oppositionspolitiker Mohammed al-Baradei derzeit ist.
Die Facebookgruppe "El Baradei for president" wuchs von Februar bis
September letzten Jahres von 80.000 Mitgliedern auf 250.000 an. Doch seit
dem Herbst stagniert sie – sie hat sogar 1.000 Mitglieder verloren. Die
Herzen und Köpfe der Ägypter könnte deshalb jetzt Amr Mussa gewinnen – der
Generalsekretär der Arabischen Liga, läuft sich nun für die
Mubarak-Nachfolge warm.
4 Feb 2011
## AUTOREN
Sonja Hegasy
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