# taz.de -- Dossier Arabische Revolution: "Wir sangen die Lieder unserer Eltern" | |
> Sie sind sich nicht in allem einig - drei junge Ägypter, die bei der | |
> Revolution dabei waren. Ein Chat-Gespräch über Islamisten, Eltern und | |
> eine neue Verfassung. | |
Bild: Die jungen Ägypter können es selbst kaum fassen, dass sie das Regime ge… | |
taz: Salma, Ashraf, Sherif, habt ihr erwartet, dass die Proteste gegen | |
Mubarak erfolgreich sein würden? | |
Sherif: Ich habe nie geglaubt, dass Demonstrationen in diesem Land etwas | |
bringen. Wir haben 30 Jahre in einer Diktatur gelebt. | |
Salma: Du befürwortest doch eher Stabilität als Wandel. | |
Sherif: Ja, ich habe immer Stabilität bevorzugt, obwohl ich nicht glücklich | |
war. Ich dachte immer, es wird sich etwas ändern, wenn Mubarak tot ist. | |
Ashraf: Da war ich anderer Meinung. All die Probleme Ägyptens hängen nicht | |
allein an einer Person, sondern am System, dem alten Regime. | |
Salma: Genau. | |
Ashraf: Und dieses Regime ist immer noch an der Macht und der Kampf noch | |
nicht vorbei. | |
Salma: So wie du, Sherif, hatten viele ihren Glauben verloren, das sie | |
selbst etwas ändern können. Ein Sieg wie dieser gibt den Menschen | |
Vertrauen, vor allem ein so hart erkämpfter, für den Hunderte starben. | |
Vertraut ihr den Militärs? | |
Ashraf: Ich nicht. | |
Sherif: Bisher traue ich ihnen, sie haben noch nichts getan, was mich | |
zweifeln lassen würde. | |
Salma: Ashraf und ich trauen ihnen nicht, aber wir glauben auch nicht, dass | |
sie die Macht übernehmen wollen. | |
Sherif: Ich bin mir sicher, dass sie das nicht wollen. | |
Ashraf: Wir zahlen jetzt den Preis dafür, dass wir keine Führung haben. Die | |
Militärs sind Teil des Systems, und ihre Hände sind nicht rein. Viele der | |
jetzigen Gouverneure waren zuvor Generäle und in Korruption verwickelt. | |
Sherif: Es ist komplizierter. | |
Was meinst du damit, Sherif? | |
Sherif: Nach dem 28. Januar hat die Armee nichts gegen das Volk | |
unternommen. | |
Ashraf: Aber so hast du nicht gedacht, als das alles anfing, du hattest | |
Angst, sie würden putschen. | |
Sherif: Ich hatte Angst, als die Ausgangssperre verhängt wurde. Aus | |
Erfahrung wissen wir, dass das nicht gut ist. Aber dieses Mal haben sie zum | |
Volk gehalten. | |
Ashraf: Aber Tantawi [der Verteidigungsminister; d. Red.] ist immer noch an | |
der Macht. | |
Sherif: Er ist nicht allein. | |
Salma: Die Soldaten haben uns nur nicht angegriffen und versucht, halb | |
neutral zu bleiben. Aber sie haben uns nicht beschützt. | |
Wollt ihr ein politisches System wie das in Westeuropa? | |
Salma: Nein. | |
Ashraf: Wir versuchen nicht, ein Modell zu kopieren. | |
Salma: Außenpolitisch gibt es da große Differenzen zu Westeuropa. Zum | |
Beispiel die Palästinafrage und die Abkommen mit Israel. Da sind die | |
meisten dagegen. | |
Sherif: Ich will keine islamische Regierung. | |
Salma: Niemand will das. Wie kommst du darauf? | |
Sherif: Ich sage nur, wovor ich Angst habe: dass eines Tages die | |
Muslimbruderschaft an der Macht ist. | |
Salma: Aber sie haben selbst gesagt, sie wollen eine zivile Regierung. | |
Ashraf: Das Problem ist, dass die meisten liberalen Ägypter nicht an der | |
Politik teilhaben. | |
Salma: Ein Argument der alten Regierung gegen Demokratie. | |
Sherif: Das stimmt nicht, Salma. Ich habe immer gedacht, dass die | |
derzeitigen Parteien eine Rolle spielen müssen. Das haben sie bisher nicht, | |
weil sie alle auf die ein oder andere Weise mit dem Regime verbunden sind. | |
Alles, was ich will, ist ein ziviler Staat. | |
Salma: Da stimmen wir überein. Aber ich glaube, dass die Islamphobie, die | |
propagiert wird, Propaganda ist, um Demokratie in Ägypten zu verhindern. | |
Ashraf: Die Islamphobie lässt die Leute denken, der Islam sei ein | |
Angriffsziel und sie müssten für ihre Religion kämpfen. Und das schürt Wut | |
und Rassismus. | |
Gibt es einen Common Sense in der Bevölkerung, wie eine neuen Verfassung | |
aussehen kann? | |
Ashraf: Schwer zu sagen, wir hatten keine ordentlichen Wahlen oder | |
Umfragen. Aber ich weiß, es gibt große Unterschiede zwischen dem, was man | |
in Westeuropa, und dem, was man in Ländern wie Ägypten glaubt. Etwa was | |
nichtreligiöse Ehen angeht. | |
Sherif: Das stimmt. | |
Ashraf: Das muss sich ändern, aber nicht durch Zwang. | |
Sherif: Aber religiöse Parteien sollten nicht zugelassen werden. | |
Salma: Das ist scheinheilig, warum solltest du selbst anerkannt werden, | |
aber nicht sie? Sie müssen jede Form der Ehe akzeptieren - und wir müssen | |
ihre Existenz akzeptieren. | |
Sherif: Ist irgendwer dazu bereit? | |
Salma: Ich schon. Und ich glaube, wir sind schon nah dran. | |
Ashraf: Ich muss dazu bereit sein, da ist keine Wahl. Wie sollte ich sonst | |
von Demokratie sprechen können? Die Türkei ist ein gutes Beispiel. Die | |
Armee dort schützt den zivilen Staat. So sollte es auch bei uns sein. | |
Muss eine politische Revolution mit einer Revolution der Gesellschaft | |
einhergehen? | |
Ashraf: Ich glaube, die Menschen sind dabei, sich zu verändern. Aber das | |
wird lange dauern. | |
Salma: Armut und Korruption haben die schlechtesten Seiten der Menschen | |
hervorgebracht. | |
Sherif: Stimmt. | |
Ashraf: Und die Revolution die besten. | |
Salma: Ja. Auf dem Tahrir-Platz waren die Menschen anders. Kooperativ und | |
tolerant. | |
Wird das anhalten? | |
Salma: Nein. | |
Ashraf: Nein, aber ich glaube, wenn sich das politische System ändert, | |
werden sich auch die Menschen ändern. | |
Sherif: Das ist ein langer Prozess. Was den Staat angeht, müssen wir | |
kurzfristiger denken. Er muss wieder laufen, als Staat des Volkes, nicht | |
mit einem neuen Diktator. | |
Salma: Das Polizeisystem muss ein anderes werden. | |
Sherif: Das sollte in der Verfassung stehen. | |
Ashraf: Das Problem mit der Polizei ist, das sie an ihre Macht, die sie | |
durch das Notstandsgesetz hat, gewohnt ist. Korrupt ist sie auch. | |
Was ist mit den Frauenrechten? | |
Ashraf: Das überlasse ich Salma. | |
Sherif: Ja, Salma. | |
Salma: Ich glaube, dass Frauen, wenn sie die Chance dazu haben, ihre | |
Bedürfnisse aussprechen und sich von denen lösen werden, die sich | |
"Frauenrechte-Organisation" nennen und vom alten Regime gelenkt waren. | |
Ashraf: Ich glaube, gute Bildung und ein besserer Lebensstandard werden | |
schon viel erreichen. | |
Salma: Als Frau und Aktivistin bin ich insbesondere von der Polizei | |
bekämpft worden. Sie wollten mich mit sexueller Belästigung einschüchtern. | |
So lange ist das nicht her. | |
War eure Rebellion auch eine gegen eure Eltern? | |
Sherif: Ich glaube schon. So wie ich das ich wahrnehme, will die ältere | |
Generation vom Militär regiert werden. | |
Salma: Die Revolution wandte sich gegen den Glauben, dass wir selbst nichts | |
tun können. | |
Ashraf: Aber das heißt nicht, dass da ein Kampf zwischen Generationen | |
stattfand. Es ist eher eine Kontinuität. | |
Salma: Ja, sogar die Lieder, die wir gesungen haben, sind die unserer | |
Eltern. Es ist wie ein alter Kampf, der gerade erst gewonnen wurde. | |
16 Feb 2011 | |
## AUTOREN | |
Frauke Böger | |
## TAGS | |
Ägypten | |
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