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# taz.de -- Debatte Palästina: Keine Spur von Intifada
> Auch die Palästinenser hätten gute Gründe für eine Revolte. Doch der
> arabische Aufbruch geht sowohl am Westjordanland als auch am Gazastreifen
> vorbei.
Nicht nur Ägypter, Libyer und Tunesier - auch die Palästinenser hätten
einigen Anlass, auf die Straße zu gehen: Unmut über die anhaltende
israelische Besatzung, Unzufriedenheit mit den immer autoritärer agierenden
Regimes in Ramallah und Gaza, Wut über die ausbleibende Aussöhnung zwischen
Hamas und Fatah, Protest gegen die Belagerung des Gazastreifens, Empörung
über das Veto der USA im UN-Sicherheitsrat gegen eine Verurteilung der
Siedlungspolitik Israels.
Aber der revolutionäre Furor, der die arabischen Regimes der Region
reihenweise ins Wanken brachte, scheint an den Palästinensergebieten vorbei
zu gehen. Keine Spur von Intifada!
Vielleicht führt gerade die Vielzahl der Adressaten dazu, dass den
kleineren Demonstrationen, die es bislang gab, die klare Stoßrichtung
fehlte. Wie nervös die palästinensische Führung dennoch auf den Aufstand
gegen Mubarak reagierte, zeigte die knüppelharte Reaktion auf zaghafte
Proteste in Ramallah.
Auch im Gazastreifen ließ die Hamas nur kontrollierbare kleinere
Protestmärsche zu. Das Risiko, dass sich Solidaritätskundgebungen mit der
ägyptischen Revolte gegen sie selbst wenden könnten, wollten die
"Regierungen" in Ramallah und Gaza vermeiden.
## Doppelter Präventivschlag
Oppositionellen Regungen im Westjordanland begegnete die palästinensische
Fatah-Führung jüngst mit einem doppelten Präventivschlag: Zum einen
kündigte sie für Juli die längst überfälligen Kommunalwahlen sowie
Parlaments- und Präsidentschaftswahlen für September an. Zum anderen trat
in Ramallah das gesamte Kabinett zurück. Der mit der Regierungsbildung
beauftragte alte und neue Ministerpräsident Salam Fayyad tat kund, er wolle
die Hamas einbeziehen, um die Wahlen vorzubereiten.
Und die PLO versprach, die seit Monaten ausgesetzten Gespräche über eine
nationale Versöhnung mit der Hamas wieder aufzunehmen. Schließlich wandte
sich Fayyad per Twitter an die internetaffine palästinensische Jugend und
bat um Vorschläge für vakante Ministerposten - eine Anregung vielleicht
auch für Kanzlerin Merkel, wenn sie bei der nächsten Kabinettsumbildung
nach neuen Ministern sucht.
Indem er die Hand zur Hamas ausstreckte, reagierte Ministerpräsident Fayyad
auf den vordringlichsten Wunsch aller Palästinenser, die interne Spaltung
zu überwinden. Gleichwohl lehnte die Hamas eine Teilnahme sowohl an den
geplanten Wahlen als auch an einer gemeinsamen Regierung ab. Das
islamistische Regime im Gazastreifen, trotz gewisser Lockerungen der
israelischen Blockade noch immer das größte Freiluftgefängnis der Welt, ist
offensichtlich stärker daran interessiert, seine Macht dort zu festigen und
die langsame, aber stetige Islamisierung der Gesellschaft voranzutreiben,
als sich auf einen nationalen Versöhnungsprozess und das Risiko von Wahlen
einzulassen.
Politische Einschüchterung und Verfolgung Oppositioneller durch die Hamas
in Gaza finden - spiegelverkehrt - im Westjordanland ihre Entsprechung
durch Fatah-Kräfte. Wer den politischen Gegner einsperrt, schafft aber
nicht gerade günstige Bedingungen für eine nationale Aussöhnung.
## Was können Wahlen bringen?
Ob Wahlen einen Ausweg aus dieser Sackgasse weisen können, ist umstritten.
Die angeschlagene palästinensische Autonomieverwaltung in Ramallah wird
kaum an Legitimität gewinnen, wenn die Hamas die nächsten Wahlen
boykottiert. Die Fatah kann aber auch nicht auf einen großen Wahlerfolg
hoffen, denn die nötige politische und personelle Rundumerneuerung blieb
auch nach der Wahlniederlage gegen die Hamas 2006 aus. So spielen beide
Seiten auf Zeit. Politische Strategien werden durch die schlichte Hoffnung
ersetzt, man werde durch geduldiges Abwarten im innerpalästinensischen
Machtkampf am Ende die Oberhand behalten.
Ob aus den versprochenen Wahlen überhaupt etwas wird, steht deshalb noch
völlig in den Sternen. Solche Ankündigungen gab es in der palästinensischen
Geschichte schon häufiger: Meist dienten sie nur als politische Drohung,
nicht als demokratisches Versprechen. So verkümmert der revolutionäre
Tsunami in Palästina zu einem Sturm im Wasserglas. Die angekündigten
Maßnahmen der palästinensischen Führung in Ramallah markieren weniger eine
demokratische Öffnung. Sie gleichen eher Schmerzmitteln für die Bevölkerung
- mit beruhigender Wirkung.
## Ruhe im Auge des Orkans
In Tunis, Kairo, in Tripolis und Sanaa werden die Karten derzeit neu
gemischt. In Ramallah, Gaza oder Tel Aviv scheint dagegen alles so zu
bleiben, wie es ist. Für die demokratischen Bewegungen der arabischen
Ländern besitzt der israelisch-palästinensische Konflikt keine Priorität.
Nichts deutet daraufhin, dass sich die Entwicklung in den Nachbarländern
auf den Nahostkonflikt auswirken wird - weder als Katalysator für einen
neuen Friedensprozess noch als Auslöser eines neuen Waffengangs.
In Ramallah und Gaza sichern Hamas und Fatah ihr politisches Terrain. In
Tel Aviv garantiert das Aussitzen des Konflikts mit den Palästinensern das
Überleben der rechtsnationalen Koalition. Auf der einen Seite ein
bescheidener wirtschaftlicher Aufschwung und erträglichere Verhältnisse für
die Palästinenser, auf der anderen Seite keine Terroranschläge, freie Hand
für das israelische Militär und den jüdischen Siedlungsbau - das entspricht
in etwa den Vorstellungen, die der israelische Regierungschef Netanjahu von
einem "ökonomischen Frieden" hegt.
Solange die Stabilität der Palästinensischen Autonomiebehörde in Ramallah
durch ausländisches Geld und israelischen Goodwill gewährleistet ist, wird
sich an dieser Situation wenig ändern. Von außen sind auch keine Impulse zu
erwarten. Nachdem die vermeintliche Stabilität der arabischen Staaten einer
neuen Unübersichtlichkeit gewichen ist, bemüht man sich in Washington und
Brüssel um Schadensbegrenzung: Flüchtlingsabwehr, Sicherung von
Energiequellen und Einflussphären sowie Unterstützung der
Demokratisierungsprozesse - eine weitere Baustelle kann da niemand
gebrauchen. Nichts scheint im Nahen Osten derzeit so stabil wie der
israelisch-palästinensische Konflikt.
11 Mar 2011
## AUTOREN
Christian Sterzing
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