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# taz.de -- Parlamentswahl in Irland: Die Frau, die Bertie beschimpfte
> Mit Nasenstecker und Wollmütze: Joan Collins will für die neue United
> Left Alliance ins Dubliner Parlament. Ihre Partei und sie haben nach der
> Finanzkrise gute Chancen.
Bild: Nach der Finanzkrise ist alles anders in Irland. Auch die Wahlplakate.
DUBLIN taz | Wie eine Politikerin, die kurz vor dem Einzug ins irische
Parlament steht, wirkt sie nicht. Joan Collins trägt einen Nasenstecker,
drei Ringe an jedem Ohr und Jeans, die über dem Knie zerrissen sind. Doch
die sieht man nicht, als sie am Abend auf Stimmenfang geht. Collins hat
sich einen langen Mantel und eine Wollmütze angezogen, weil es heftig
regnet.
Sie wird im Sommer 50, im Hauptberuf ist sie Postangestellte. Zur Politik
ist sie erst vor zehn Jahren gekommen, als sie sich gegen die Einführung
der Müllabfuhrgebühren engagierte. 2004 wurde sie im Dubliner Stadtteil
Crumlin in den Bezirksrat gewählt, fünf Jahre später konnte sie den Sitz
verteidigen. Bei den Parlamentswahlen am Freitag kandidiert sie für United
Left Alliance, ein Bündnis aus verschiedenen linken Organisationen, das
sich erst Ende vorigen Jahres formiert hat.
Trotz des Regens sind 15 Helfer gekommen, um sie im Wahlkampf zu
unterstützen. Man hat sich für den Abend zwei Straßen in Walkinstown
vorgenommen, einem Arbeiterviertel mit kleinen, weißen Reihenhäusern. Am
Walkinstown Drive schwärmen die Wahlhelfer aus und klingeln an den Türen.
Collins bleibt zunächst im Hintergrund. Wenn einer der Bewohner an einem
Gespräch interessiert ist, ruft man sie hinzu. Das sind an diesem Abend vor
allem Frauen, die Männer sind kurz angebunden, denn im Fernsehen wird ein
Fußballspiel des FC Arsenal übertragen.
Wut auf die Koalition
Die Wut auf die Koalitionsregierung aus Fianna Fáil und den Grünen ist fast
an jeder Haustür zu spüren. "Ich bekomme acht Euro weniger in der Woche",
sagt eine Hauspflegerin, "während die abgehalfterten Politiker riesige
Pensionen einstreichen und die Bankiers sich schon wieder Bonuszahlungen
genehmigen." Was sie dagegen tun werde, falls sie ins Parlament einziehe,
will die Frau von Collins wissen.
Die United Left Alliance will den Kredit in Höhe von 85 Milliarden Euro,
den Irland im Dezember vom Internationalen Währungsfonds (IMF) und von der
Europäischen Union für die Rettung der Banken bewilligt bekam, rückgängig
machen. "Allein die Zinsen werden in drei Jahren bei zehn Milliarden Euro
liegen", sagt Collins. "Es ist klar, dass Irland das nicht zahlen kann.
Warum also weitere Milliarden verschwenden?" Die Hauspflegerin nickt
zufrieden und verspricht Collins, sie am Freitag zu wählen.
Collins lebt seit 25 Jahren im Wahlkreis Dublin South Central, der südlich
ans Stadtzentrum grenzt. Er besteht neben Walkinstown hauptsächlich aus den
Stadtteilen Drimnagh, Crumlin und Ballyfermot. Größter Arbeitgeber ist die
Guinness-Brauerei, aber der Wahlkreis gehört dennoch zu den ärmsten im Land
und leidet unter Arbeitslosigkeit, Drogenmissbrauch und antisozialem
Verhalten. Der Anteil von alleinerziehenden Müttern liegt bei über 38
Prozent, das ist fast doppelt so hoch wie der landesweite Durchschnitt.
Der Hollywood-Schauspieler Gabriel Byrne stammt aus Crumlin, der "General"
Martin Cahill - der Unterweltboss, der von der IRA erschossen wurde - lebte
eine Zeitlang hier, ebenso wie der Schriftsteller Brendan Behan, der sich
zu Tode gesoffen hat. An seinem Haus in der Kildare Road Nummer 70 ist eine
Gedenktafel angebracht.
Der Tross der Wahlhelfer ist inzwischen in den Walkinstown Green
eingebogen. Collins geht auf ein Haus zu. "Hier haben meine Eltern früher
gewohnt", sagt sie und klopft an die Tür. Ein etwa 50-jähriger, rundlicher
Mann im Trainingsanzug öffnet die Tür. Nachdem Collins sich vorgestellt
hat, sagt er, dass er noch nicht wisse, wen er wählen werde: "Aber meine
Frau wird dir ihre Stimme geben." Ob seine Frau ihn womöglich noch
überzeugen könne? "Wie ich sie kenne, wird ihr das zweifellos gelingen",
sagt er.
Fünf Sitze sind in dem Wahlkreis zu vergeben. Collins ist realistisch.
"Labour wird zwei Sitze gewinnen, Fine Gael und Sinn Féin je einen", sagt
sie. "Um den letzten Sitz kämpfen Michael Mulcahy von Fianna Fáil und ich."
Mulcahy hat, wie die meisten Fianna-Fáil-Kandidaten, den Parteinamen nur
ganz klein auf die Wahlplakate drucken lassen, denn die Partei ist
verhasst. Collins Chancen sind nicht schlecht.
Ihr Bekanntheitsgrad stieg vor drei Wochen schlagartig, als der frühere
Premierminister Bertie Ahern in den Abendnachrichten live vor dem
Parlamentsgebäude interviewt wurde. Er bereue lediglich, dass er kein
Nationalstadion während seiner Amtszeit bauen ließ, sagte er. Da platzte
Collins. Sie baute sich neben ihm auf, ließ eine Schimpftirade los und
schnauzte ihn an, dass er sich schämen solle.
Sie hatte die Intervention nicht geplant. Sein selbstgefälliges Grinsen
habe sie so geärgert, dass sie spontan reagierte. "Es hat mich auf die
Palme gebracht, dass er jetzt mit 370.000 Euro im Jahr in Pension geht,
während andere an der Armutsgrenze leben", sagt sie.
Im Wahlkampf wird sie immer wieder darauf angesprochen. "Du bist doch die
Frau, die Bertie beschimpft hat", sagt ein älterer Herr mit grauem Bart und
Schiebermütze. "Das hast du gut gemacht, er hat es verdient, und alleine
dafür bekommst du meine Stimme." Im Nachbarhaus hat sie weniger Glück. Die
beiden Bewohner, zwei junge Männer, wollen die Labour Party wählen - aus
taktischen Gründen. "Wir wollen verhindern, dass Fine Gael die absolute
Mehrheit bekommt und alleine regieren kann", sagt der Jüngere der beiden.
Dass Fine Gael, der "Stamm der Gälen", die Wahlen haushoch gewinnen wird,
steht fest. Deren Parteichef Enda Kenny ist eine graue Maus, ein begnadeter
Redner ist er auch nicht, und vor dem ersten Fernsehduell der Parteiführer
hat er sich gedrückt. Er habe andere Verpflichtungen, entschuldigte er
sich, doch als die Debatte begann, ertappte ihn ein Kamerateam beim
Hühnchenessen in einem Restaurant.
Bei den Umfragen, wen man als geeignet für das Amt des Premierministers
halte, lag er monatelang im Hintertreffen, doch in den vergangenen acht
Tagen hat er sich fast unbemerkt und ohne erkennbaren Anlass an die Spitze
geschlichen.
Kein Vorteil für die Grünen
Seine Partei unterscheidet sich nur in Nuancen von Fianna Fáil, beide
Parteien stehen rechts von der Mitte. Kenny sagte denn auch, dass er an dem
Sparhaushalt und dem Deal mit IMF und EU nichts ändern werde. Die Labour
Party, der wahrscheinliche Koalitionspartner, wenn es nicht für die
absolute Mehrheit reicht, ist damit einverstanden.
Zwar hat Labour gegen den Haushaltsplan gewettert, aber in letzter Sekunde
den Misstrauensantrag gegen den bisherigen Premierminister Brian Cowen
zurückgezogen und dadurch die Verabschiedung des Budgets ermöglicht. Es
waren die Grünen, die schließlich die Koalition aufkündigten und die
Regierung zu Fall brachten. Genützt hat es ihnen nichts, sie können froh
sein, wenn überhaupt einer ihrer sechs Abgeordneten den Sitz verteidigen
kann.
Die United Left Alliance kann dagegen mit fünf bis acht Mandaten rechnen,
hinzu kommen noch eine Reihe parteiunabhängiger Linker, sodass es zum
ersten Mal einen nennenswerten linken Block im Dáil, wie das Parlament
heißt, geben wird. "Wir sind noch keine richtige Partei", sagt Collins.
Nach den Wahlen müsse man Strukturen aufbauen, um sich zu konsolidieren und
zu wachsen. Bekanntester Vertreter des Bündnisses ist Joe Higgins, der
sozialistische Europa-Abgeordnete.
Er ist zu Collins Unterstützung auf die Wahlkampfveranstaltung im
schmucklosen Gemeindezentrum von Crumlin gekommen. 150 Menschen wollen die
beiden reden hören und mit ihnen diskutieren, darunter auch Collins Mutter.
Tess Collins ist 83, manchmal hilft sie im Wahlkampf aus. Sie wohnt schon
lange in Artane. Das liegt außerhalb des Wahlkreises, aber ein Wahlplakat
ihrer Tochter nimmt sie trotzdem mit. "Als Souvenir", sagt sie. Wird ihre
Tochter es schaffen? "So Gott will."
23 Feb 2011
## AUTOREN
Ralf Sotscheck
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