# taz.de -- Debatte Klimawandel: Ein Winter ist ein Winter ist ein Winter | |
> Kaum ist der Winter mal so kalt, wie es sich für einen Winter gehört, | |
> wird von Lobby-Seite behauptet, die Erderwärmung mache Pause. Dabei wird | |
> gelogen, gelogen, gelogen. | |
Bild: Diese Schafe kennen den Unterschied zwischen Wetter und Klima. Bei Fritz … | |
Bislang herrscht in Deutschland unter den Entscheidungsträgern in Politik, | |
Wirtschaft und Gesellschaft ein erfreulicher Konsens, Klimaschutz sachlich | |
fundiert auf der Grundlage seriöser Wissenschaft zu diskutieren. Anders in | |
den USA: Dort hat sich etwa die konservative Tea-Party-Bewegung auf die | |
Fahnen geschrieben, dass der anthropogene Klimawandel ein Hirngespinst ist, | |
und maßgebliche Teile der Wirtschaft machen Lobbyarbeit mit dubiosen | |
"Klimaskeptiker"-Thesen. | |
Greift dies nun auch auf Deutschland über? Das legt unter anderem ein | |
"Essay" von RWE-Manager Fritz Vahrenholt in der Welt nahe: ein | |
außerordentliches Lehrstück der Verdrehung wissenschaftlicher Fakten, das | |
eine genauere Betrachtung lohnt. | |
Vahrenholt beginnt: "Der zweite außergewöhnlich kalte Winter in Nordeuropa | |
und Nordamerika kündigt sich an, und schon gibt es erste Zweifel an der | |
durch Klimagase verursachten globalen Erwärmung. Mojib Latif, einer der | |
Protagonisten der Klimaforschung, überraschte kürzlich mit der Aussage: Die | |
Erwärmung verstecke sich hinter der Abkühlung." Zwar war der letzte Winter | |
in Deutschland der kälteste seit zehn Jahren, aber keineswegs | |
außergewöhnlich kalt - in jedem Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts gab es einen | |
kälteren Winter, oft sogar zwei oder drei (wie in den 1980ern). | |
Normaler kalter Winter | |
Der Winter kam uns nur deshalb kalt vor, weil wir uns an milde Temperaturen | |
gewöhnt hatten: Der Winter 2006/2007 etwa war der wärmste seit Beginn der | |
Aufzeichnungen im Jahr 1761. Zudem erlauben lokal kalte Winter keine | |
Rückschlüsse auf die globale Durchschnittstemperatur: Laut Nasa-Daten war | |
der letzte Winter weltweit der zweitwärmste hinter 2006/2007. Kein seriöser | |
Forscher hat deshalb Zweifel an der globalen Erwärmung, schon gar nicht | |
Mojib Latif, dessen zitierte Aussage auch gar nichts mit den kalten Wintern | |
zu tun hat. Sie ist älter und bezog sich auf seine Modellprognose einer | |
vorübergehenden globalen Abkühlung, die aber - wie wir inzwischen wissen - | |
nicht eingetroffen ist. | |
Vahrenholt behauptet weiter, seit 1998 mache die globale Erwärmung Pause. | |
Auch falsch: In allen fünf globalen Klimadatenreihen zeigt der Trend selbst | |
ab 1998 weiter nach oben. Auch hier zitiert Vahrenholt zum Beleg seiner | |
falschen These einen führenden Klimaforscher: "Kevin Trenberth […] bekannte | |
nun: ,Es ist eine Schande, dass die Wissenschaft die derzeitige Pause der | |
Erderwärmung nicht erklären kann.'" Allerdings steht auch dieses Zitat in | |
einem anderen Kontext und die Worte "derzeitige Pause der Erderwärmung" | |
kommen im Original gar nicht vor. Trenberth hat selbst umgehend | |
klargestellt, dass das Zitat falsch ist und schreibt: "Die entsprechenden | |
Daten zeigen auch keine Pause in der globalen Erderwärmung seit dem Jahr | |
1998, wie es in dem Beitrag fälschlicherweise behauptet wird." | |
Es geht nicht um die Sonne | |
Trenberth ist Leiter der Abteilung Klimaanalyse am Nationalen | |
Atmosphärenforschungszentrum der USA. Statt ihn falsch zu zitieren, sollte | |
Vahrenholt besser zuhören, was Trenberth wirklich sagt. Etwa zur Hitzewelle | |
in Moskau und der Flutkatastrophe in Pakistan: "Diese Ereignisse wären ohne | |
die globale Erwärmung nicht passiert." Vahrenholt versucht stattdessen, die | |
fiktive Pause der Erderwärmung, kalte Winter und Wetterextreme | |
gleichermaßen auf die Sonnenaktivität zu schieben: "It's the sun, stupid"! | |
Sein Kronzeuge ist der britische Forscher Mike Lockwood, der laut | |
Vahrenholt "den Nachweis führen konnte, dass die heißen Sommer in Russland | |
und die kalten Winter in Nordeuropa die gleiche Ursache haben: | |
Veränderungen der Sonnenflecken". | |
Tatsächlich hat Lockwood einen statistischen Zusammenhang zwischen den | |
Wintertemperaturen in England und der Sonnenaktivität gefunden. Vahrenholt | |
verschweigt aber, wie schwach dieser ist: Er erklärt nur 5 Prozent der | |
Temperaturschwankungen! Der wärmste Winter seit rund 250 Jahren (2006/2007) | |
fand gerade im Sonnenminimum statt, das laut Lockwood kalte Winter etwas | |
begünstigt. Lockwood selbst sagt dazu: "Die Wirkung der vom Menschen | |
verursachten Treibhausgase auf den Klimawandel der letzten Jahrzehnte ist | |
ein Vielfaches größer als der Effekt von solaren Schwankungen." | |
Unredliche Argumente | |
Vahrenholts Beitrag ist durchtränkt vom Vorwurf gegenüber Klimaforschern, | |
sie würden natürliche Klimafaktoren wie die Sonne nicht ernsthaft | |
erforschen. Eine bewährte Methode der "Klimaskeptiker": einfach unsinnige | |
Vorwürfe erheben, etwas wird schon hängen bleiben. Dabei widerlegen alle | |
von ihm zitierten Forscher seine These, indem sie zu natürlichen | |
Klimaschwankungen forschen. Allein 2010 sind in der Fachliteratur hunderte | |
Studien zum Zusammenhang von Sonnenaktivität und Klima erschienen. Dass | |
dabei dennoch Vieles ungeklärt bleibt, hat einen simplen Grund: Die Wirkung | |
der Sonnenschwankungen auf das Klima ist derart schwach, dass sie trotz des | |
charakteristischen 11-jährigen Sonnenzyklus nur schwer in Klimadaten zu | |
entdecken ist. | |
Auch ich habe mehr Studien zu natürlichen als zu menschlichen | |
Klimaeinflüssen publiziert, auch zur Sonnenaktivität. Vahrenholt gefällt | |
nur das Ergebnis nicht: etwa dass auch ein großes Sonnenminimum die globale | |
Erwärmung nur um wenige Zehntelgrad abschwächen würde. Er schreibt zu | |
unseren Resultaten: "Ob sich die Sonne nach dem Potsdamer Modell verhält | |
oder wie in der kleinen Eiszeit - wir wissen nicht, was die Natur | |
bereithält." Er verschweigt, dass auch im größten Sonnenminimum der | |
"kleinen Eiszeit", im sogenannten Maunder-Minimum des späten 17. | |
Jahrhunderts, die globale Temperatur nur wenige Zehntel kühler war als | |
davor und danach, und dass unser Modell den damaligen Temperaturverlauf gut | |
wiedergibt - sonst hätten wir es nicht für eine Zukunftsprojektion | |
verwendet. | |
Vahrenholt hat nicht ein seriöses Argument gegen die anthropogene Erwärmung | |
und beweist einmal mehr: Wer Zweifel an der Dringlichkeit von Klimaschutz | |
sähen will, muss schon kräftig die Tatsachen verdrehen. Doch nur mit einer | |
ehrlichen Debatte kann die Klimakrise bewältigt werden. | |
24 Feb 2011 | |
## AUTOREN | |
Stefan Rahmstorf | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
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