# taz.de -- Debatte soziale Menschenrechte: Kein Leben ohne Wasser | |
> Ein freier Markt allein kann Nahrung, Wasser und Klimastabilität nicht | |
> garantieren. Deshalb muss die WTO als größte Macht die sozialen | |
> Menschenrechte durchsetzen. | |
Bild: Elementares Menschenrecht: Zugang zum Wasser. | |
Die UNO-Generalversammlung hat vor Kurzem ein Recht auf Wasser | |
unverbindlich proklamiert. Das ist bloße Symbolpolitik. Denn ein solches | |
Recht ist längst in rechtlich bindenden Menschenrechtserklärungen | |
enthalten. Gleiches gilt für das Recht auf Nahrung. Trotzdem leiden | |
weltweit Milliarden Menschen an Nahrungs- und Wassermangel. | |
Und besonders die Industriestaaten lassen aufgrund des vorrangig von ihnen | |
zu verantwortenden Klimawandels die weltweiten Wasser- und | |
Nahrungsressourcen weiter schrumpfen. Menschenrechten fehlt es offenkundig | |
an Institutionen und auch an Konzepten. Unser Verständnis von Freiheit | |
weltweit muss überdacht werden. | |
Soziale Menschenrechte normieren im Völkerrecht und nationalen Recht die | |
elementaren Freiheitsvoraussetzungen wie Nahrung, Existenzminimum, Wasser | |
oder Bildung. Bisher sind die sozialen Menschenrechte jedoch deutlich | |
durchsetzungsschwächer als die klassischen bürgerlich-politischen Rechte | |
auf Meinungs-, Versammlungs- oder Eigentumsfreiheit. Dabei machen diese | |
ohne die sozialen Rechte keinen Sinn. Denn Freiheit - und diese jedem | |
Einzelnen zu gewähren ist ja das Ziel der Menschenrechte - gibt es nur, | |
wenn auch deren unhintergehbare Voraussetzungen wie Nahrung, Wasser, Klima, | |
Frieden und Gesundheit garantiert und einklagbar sind. | |
Nicht allein die direkte staatliche Gewalt gefährdet die Freiheit, sondern | |
ebenso der fehlende staatliche Schutz vor Mitmenschen, die anderen den | |
Zugang zu Ressourcen verwehren. Noch heute ist jede unzulässige kurzzeitige | |
Verhaftung ein Topthema - zu Recht. Dass aber Millionen Menschen pro Jahr | |
verhungern, weil Staaten ein rein eigennütziges Konsumenten- und | |
Unternehmensverhalten hinnehmen, das sieht bisher kein Gericht als | |
Grundrechtsproblem an. Das ist ein Fehler. | |
Selbst wenn dies erkannt wird, bleibt die Anwendung sozialer Menschenrechte | |
schwierig. Denn mindestens drei weitere Lernschritte sind noch zu gehen: | |
Erstens machen Menschenrechtsverletzungen oft nicht vor nationalen Grenzen | |
halt. Zweitens realisieren sich ihre Folgen häufig erst später: Klimawandel | |
oder Bioenergiepflanzenanbau entfalten ihre schädigende Wirkung manchmal | |
erst in der nächsten Generation und auch nicht notwendig in dem Land, in | |
dem sie ihren Ursprung haben. Und drittens muss man sich darüber klar | |
werden, was soziale Menschenrechte für Einzelereignisse bedeuten. Die | |
Welternährung etwa wird nicht durch die einzelne Bioenergiepflanze | |
gefährdet, sondern durch den massenhaften Anbau weltweit. | |
Und last but not least stellt sich die Frage, welches Gewicht soziale | |
Rechte haben sollten, wenn sie mit kollidierenden Menschenrechten abzuwägen | |
sind - etwa mit den Wirtschaftsgrundrechten der anbauenden Bauern und | |
Unternehmen. | |
Weltmenschenrechtsgericht | |
An dieser Stelle können Gerichte der Politik einen Rahmen für die | |
Vermittlung dieser konfligierenden Rechte setzen. Sie können sicherstellen, | |
dass politische Entscheidungen interessenübergreifend gefällt werden und | |
eine korrekte Tatsachengrundlage haben. Mit ihrer Hilfe ließe sich die | |
Wasser- und Ernährungssituation in der Region realistisch einschätzen. | |
Innerhalb dieses - auch noch näher beschreibbaren - Rahmens muss jedoch die | |
Politik die nötigen Abwägungen treffen. Allerdings reicht die nationale | |
Politik nicht, um ein internationales Nahrungsproblem wie die Bioenergie zu | |
regulieren. Denn wir haben einen globalen Nahrungsmittelmarkt. | |
Nicht nur die Politik, sondern auch die | |
Menschenrechtsdurchsetzungsmechanismen müssten deshalb stärker | |
international werden. Denn nationale Verfassungsgerichte können schlecht | |
der internationalen Politik Schranken ziehen. Das könnte nur ein | |
Weltmenschenrechtsgericht, das das alte Nationalstaatsdenken weiter | |
zurückdrängt. | |
Und schon sind wir beim nächsten großen Problem: Schon für manche | |
Demokratien ist dieser Gedanke gewöhnungsbedürftig. Erst recht | |
unrealistisch ist ein weltgerichtlicher Menschenrechtsschutz jedoch in | |
Halbdemokratien und Diktaturen. Egal ob national oder international - | |
Gerichte und Menschenrechte auf Wasser, Nahrung oder Klimastabilität haben | |
nur dann eine Chance, wenn sich die Demokratie sukzessive durchsetzt. Was | |
ein Gericht zum Recht auf Wasser zu sagen hat, wird Diktatoren kaum | |
interessieren, solange sie mit Bioenergiepflanzen Geld verdienen können. | |
Bisher tun selbst wir Europäer uns schwer damit, dem Europäischen | |
Gerichtshof für Menschenrechte Macht über nationale Politik zu geben. | |
Die WTO als Lösungsmodell? | |
Ein konkreter Schritt könnte die Stärkung der Menschenrechte im | |
Freihandelsregime der WTO sein. Bisher setzen die WTO-Gerichte den | |
Freihandel etwa mit Energiepflanzen ohne Rücksicht auf die Menschenrechte | |
durch. Ein freier Markt allein kann Nahrung, Wasser und Klimastabilität | |
jedoch nicht garantieren. | |
Die WTO gibt oft Anlass für Ärger, aber sie verfügt wenigstens überhaupt | |
über funktionierende Institutionen. Und sollen die sozialen Menschenrechte | |
in der globalisierten Welt des Freihandels praktisch relevant werden, | |
müssen sie im Rahmen der WTO berücksichtigt werden. Wie in der | |
EU-Geschichte sollte der allseits interessierende Freihandel in der WTO | |
deshalb sukzessive politisch eingerahmt werden. Gemeint sind hier nicht | |
gerichtliche Exportverbote für Nahrungsmittel, sondern starke Klima-, | |
Umwelt- und Sozialstandards in der WTO. Das Ziel wäre: Freihandel nur noch | |
mit umwelt- und sozialpolitischer Flankierung. | |
Integriert man in die mächtigen WTO-Institutionen das Mehrheitsprinzip noch | |
deutlich stärker, könnte man gar die bekanntlich schwache globale | |
Klimapolitik überrunden. So ist eine menschenrechtlich reformierte WTO | |
derzeit die einzig realistische Möglichkeit, um Institutionen zu | |
entwickeln, die für eine dringend benötigte globale Umwelt- und | |
Sozialpolitik unabdingbar sind. Einschließlich von menschenrechtlichen | |
Rahmensetzungen durch die WTO-Gerichte. | |
10 Aug 2010 | |
## AUTOREN | |
Felix Ekardt | |
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