| # taz.de -- Freitagscasino: Der Hunger der anderen | |
| > Die Finanzwelt kauft gezielt Ackerland auf und kopiert freudig den | |
| > Landadel. Und die Finanzkrise ist noch lange nicht vorbei. Im Gegenteil: | |
| > Sie bedroht unser aller Rücklagen. | |
| Die Frage ist verzwickt und wird doch millionenfach gestellt: Wo bloß | |
| lassen sich die eigenen Ersparnisse noch sicher anlegen, wenn selbst | |
| Staaten in den Bankrott steuern? Griechenland ist pleite, Irland auch, und | |
| bald dürfte Portugal EU-Hilfen beantragen. Die Finanzkrise ist nicht | |
| vorbei, sondern bedroht die Rücklagen eines jeden. | |
| Die Königsanalyse | |
| Doch Trost ist nah. Es gehört zu den Wundern dieser Finanzkrise, dass es in | |
| Zeiten der allgemeinen Ratlosigkeit nie an Ratgebern fehlt. Zu einer | |
| Institution ist der Bestsellerautor Max Otte geworden. Mit seiner von ihm | |
| sogar patentierten "Königsanalyse" gibt er auch folgende Anweisung: Kaufen | |
| Sie Ackerland! "Der Adel ist damit ja auch über die Jahrzehnte und | |
| Jahrhunderte ganz gut gefahren." | |
| Diese Selbst-Nobilitierung durch Boden-Akquise hat nicht nur Max Otte | |
| entdeckt. Weltweit kaufen die Kapital-Investoren Böden auf. Legendär sind | |
| die Chinesen, die sich in Afrika mit Flächen versorgen. Aber auch in | |
| Deutschland erfährt das Land eine ganz neue Wertschätzung, die sich nicht | |
| nur auf die Landlust-Leser beschränkt. | |
| "Börse-Online", nie um eine Umfrage verlegen, hat daher 70 Fachmakler | |
| befragt. Das Ergebnis wurde in der vergangenen Woche präsentiert und zeigt | |
| einmal mehr, dass die deutschen Äcker zum Spekulationsobjekt geworden sind: | |
| Die meisten Flächen werden nicht mehr von Landwirten gekauft - sondern von | |
| Finanzinvestoren. | |
| Gefragt wurde auch nach den Motiven für diesen neuen Run aufs Land. 85 | |
| Prozent der Käufer gaben an, sich gegen eine mögliche Inflation absichern | |
| zu wollen. Daher "suchten" sie nach einem "Sachwert". Jeweils 40 Prozent | |
| wollten vom Boom bei den Agrarrohstoffen profitieren oder aber ihr | |
| "Portfolio diversifizieren". | |
| Viel Geld ist gar nicht nötig, um an diesem Run teilzunehmen: Ein Hektar in | |
| Baden-Württemberg kostete 2009 im Durchschnitt 19.012 Euro, in | |
| Nordrhein-Westfalen waren es 26.841 Euro. Wer es lieber billig will, sollte | |
| sich in Brandenburg umsehen. Dort war ein Hektar schon für 4.715 Euro zu | |
| haben, weil die Böden der "Streusandbüchse des Heiligen Römischen Reiches" | |
| bekanntlich eher minderwertig sind. | |
| Aber der wahre Investor interessiert sich sowieso nicht für den absoluten | |
| Preis - sondern für die "Wertsteigerung", die mit einer Akquise zu erzielen | |
| ist. Zumindest im Jahr 2009 wurden die Bodenspekulanten nicht enttäuscht. | |
| Wie das Statistische Bundesamt ermittelte, sind landwirtschaftliche Flächen | |
| 2009 im bundesweiten Durchschnitt um 9,6 Prozent teurer geworden. Und so | |
| konnte "Börse Online" melden, dass unter den Maklern "großer Optimismus bei | |
| der Preisentwicklung" herrscht. | |
| Essen muss jeder | |
| Diese Zuversicht ist neu. Denn in den vergangenen Jahrzehnten war mit | |
| Agrarland überhaupt kein Geld zu machen. So kostete ein Hektar in | |
| Baden-Württemberg 1990 durchschnittlich 20.999 Euro. 2009 waren es, wie | |
| erwähnt, nur 19.012 Euro. Selbst die jüngsten Preissteigerungen haben also | |
| den langfristigen Wertverlust nicht ausgeglichen - und dabei ist die | |
| Inflation noch gar nicht eingerechnet. | |
| Die professionellen Agrarinvestoren wissen natürlich um diese enormen | |
| Wertverluste in der Vergangenheit, doch die Zukunft sehen sie trotzdem | |
| rosig. Ihr Kalkül ist denkbar einfach: Sie spekulieren darauf, dass | |
| Nahrungsmittel knapp und teuer werden. Denn die Weltbevölkerung wächst | |
| weiter, der Klimawandel lässt weltweit die Erträge sinken, und außerdem | |
| drängt Konkurrenz auf den Acker: Wo früher klassische Nutzpflanzen angebaut | |
| wurden, wachsen nun Biokraftstoffe, um das schwindende Öl zu ersetzen. | |
| Vor allem aber hat die Landwirtschaft ein "Alleinstellungsmerkmal", das sie | |
| gerade in den unsicheren Zeiten einer Finanzkrise zum idealen Anlageobjekt | |
| macht: Auf Nahrungsmittel können Menschen nicht verzichten. Sie müssen | |
| nicht unbedingt Auto fahren, sie können auch mit wenig Wohnraum auskommen. | |
| Aber essen müssen sie, um zu überleben. Bei Lebensmitteln sind die Menschen | |
| erpressbar. | |
| Übrigens muss man nicht unbedingt einen Acker kaufen, um mit Lebensmitteln | |
| zu spekulieren. Es reicht völlig, sich an Nahrungsmittelkonzernen zu | |
| beteiligen. Max Otte rät in seinem neuesten Buch gleich mehrfach dazu, sich | |
| Nestlé-Aktien ins Depot zu legen, die für ihn "die sicherste und beste | |
| Aktie der Welt" ist. | |
| Die Acker-Blase | |
| Mit dem Run aufs Land hat die Finanzkrise ihre letzte, zynische Eskalation | |
| erreicht. Der Drang zur Ackerkrume ist das Eingeständnis, dass sich stabile | |
| Renditen nur noch durch Erpressung erwirtschaften lassen. | |
| Die Finanzkrise ist in ihrem Kern immer eine Verteilungskrise gewesen. Sie | |
| ist überhaupt nur entstanden, weil sich Vermögen und Einkommen weltweit bei | |
| den reichsten zehn Prozent konzentrieren. In den obersten Schichten | |
| sammelte sich das Geld, während es unten fehlte. Der Massenkonsum | |
| stagnierte, was wiederum die Realwirtschaft behinderte. Doch gleichzeitig | |
| wuchs das Finanzkapital, das auf die Suche nach Rendite ging. Die bequeme | |
| Lösung hieß zunächst: Kredit. Ob in den USA, Irland oder Spanien: Die | |
| kaufkraftschwachen Massen wurden mit Hypotheken beglückt. Diese Blase ist | |
| nun geplatzt; viele Konsumenten sind überschuldet. Sie müssen aus ihren | |
| neuen Häusern wieder ausziehen, sparen am Urlaub und den Kleidern. Nur auf | |
| Nahrungsmittel können sie nicht verzichten. Deswegen werden die | |
| Agrarflächen für Renditejäger nun interessant. | |
| Es ist also naheliegend, dass eine neue Blase entsteht - eine Ackerblase. | |
| Wie alle Blasen würde sie sich selbst verstärken. Wenn sich immer mehr | |
| Investoren für Agrarland interessieren, wird es automatisch teurer, und | |
| diese "Wertsteigerung" überzeugt dann weitere Anleger, dass es sich um | |
| "goldenen Boden" handelt, den man unbedingt erwerben muss. | |
| Wie jede Blase würde auch eine Acker-Blase platzen. Aber das ist kein Grund | |
| zur Schadenfreude. Denn solange sich die Blase aufpumpt, würden weltweit | |
| die Lebensmittelpreise steigen - und ausgerechnet am Hunger der Armen | |
| wollen die neuen Agrarinvestoren verdienen. | |
| 26 Nov 2010 | |
| ## AUTOREN | |
| Ulrike Herrmann | |
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