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# taz.de -- Gewerkschaftsproteste in Wisconsin: "Es ist ein Kampf ums Überlebe…
> Die Republikaner wollen die Reste der US-Gewerkschaften demontieren,
> meint Lawrence Mishel. Für deren Zukunft ist er gewiss: "Etwas wird
> entstehen". Man wisse nur noch nicht, was.
Bild: Das seit elf Tagen besetzte Capitol in Madison, Wisconsin.
taz: Herr Mishel, in Wisconsin sieht es so aus, als entstünde in den USA
eine neue Arbeiterbewegung.
Lawrence Mishel: Wenn es bloß so wäre …
Worum geht es dann?
Die Republikaner versuchen die letzten Reste der US-Arbeiterbewegung zu
demontieren. Für die Gewerkschaften ist es ein Kampf ums Überleben.
Warum tobt dieser Kampf gerade jetzt und in Wisconsin?
Die Staaten im industriellen Midwest und Mid-Atlantic sind die stärksten
Gewerkschaftsstaaten überhaupt und traditionell demokratisch. Aber im
November haben die Republikaner dort bei den Kongresswahlen und den
Gouverneurswahlen gewonnen. Jetzt machen sie sich an die Gewerkschaften.
Aber sie haben damit in ein Wespennest gestochen.
Was ist von den Gewerkschaften in den USA noch übrig?
Im Privatsektor nicht viel. Nur in bestimmten Industrien und an bestimmten
Orten spielen sie eine Rolle.
Und im öffentlichen Dienst?
Da haben sie zwar nie besonders hohe Löhne und Sozialleistungen durchsetzen
können, aber sie haben beachtliche Mitgliederzahlen: 35 Prozent im
nationalen Durchschnitt, in manchen Bundesstaaten viel mehr.
Der republikanische Gouverneur von Indiana, Mitch Daniels, hält die
Gewerkschaften für die stärkste Lobby in den USA, stärker als die Öllobby.
Das ist ein Witz. Wenn die Gewerkschaften tatsächlich so stark wären wie
die Ölindustrie, würden sie jede Menge Subventionen bekommen. Jetzt im
Ernst: Die Gewerkschaften sind die stärkste Lobby auf der Seite der
Beschäftigten, obwohl sie in einigen Bundesstaaten keine Tarifverträge
abschließen und in den meisten Staaten nicht einmal streiken dürfen.
So etwas wie Sozialpartnerschaft gibt es in USA nicht?
In Deutschland werden Regeln festgelegt, die für alle gelten, für
gewerkschaftlich organisierte Beschäftigte wie für nichtorganisierte. In
den USA hingegen bestimmen Walmart und andere gewerkschaftsfreie
Niedriglohnarbeitgeber die Regeln. Wir haben hier einen gesetzlosen
Arbeitsmarkt. Die Leute können die meisten Rechte am Arbeitsplatz nicht
durchsetzen. Nicht einmal solche, die von der Regierung garantiert sind.
Welche Rechte meinen Sie?
Nehmen Sie den Mindestlohn oder die Überstundenentlohnung. Für Beschäftigte
mit niedrigen Löhnen ist es manchmal schwer, überhaupt an ihre Löhne zu
kommen. Darum gibt es ja die "Worker's Centers", die jede Menge Energie
darauf verwenden, fällige Löhne einzukassieren, die zum Beispiel
eingewanderten Arbeitern für geleistete Arbeit zustehen. Das ist eine
komplett andere Situation als in Europa.
Welche Zukunft haben die Gewerkschaften, wenn in der Privatwirtschaft nur
6,9 Prozent und im öffentlichen Dienst nur 35 Prozent der Beschäftigten bei
ihnen organisiert sind?
In den Zwanzigerjahren haben Fachleute Bücher über das Ende der
amerikanischen Arbeiterbewegung geschrieben. Und dann kam es in den
Dreißigern zu dem Aufstieg der Industriegewerkschaften. Wir wissen nicht,
was da entstehen wird, aber etwas wird entstehen.
In Wisconsin ist viel die Rede von der Middle Class. Sie hingegen sprechen
von Arbeitern. Um wen geht es nun?
In den USA identifizieren sich die meisten Leute mit der Middle Class.
Ist das Semantik?
Nicht nur. Es geht auch darum, wie Amerikaner sich selbst sehen. Das ist
anders als in Europa.
Präsident Barack Obama hat die "Attacke gegen die Gewerkschaften"
kritisiert. Die 14 demokratischen Senatoren in Wisconsin verhindern durch
ihre Abwesenheit eine Abstimmung im Senat. Wie bewerten Sie die Rolle der
Demokraten in diesem Konflikt?
Die Demokraten zeigen einiges an Rückgrat. Ich bin überrascht und sehr
erfreut. Ich finde, der Präsident hat das Nötige getan. Wir haben jetzt
eine Debatte in diesem Land. Und da sollte jeder mitmachen.
Allerdings haben auch demokratische Gouverneure in New York und Kalifornien
radikale Sparprogramme angekündigt. Ist das ein politisches Handicap für
die Demokraten?
Wir haben eine riesige Rezession. Und die Einnahmen in den Bundesstaaten
sind tief eingebrochen. Sie müssen ihre Budgets ausgleichen. Das wird
unweigerlich zu Kürzungen bei den Ausgaben der Bundesstaaten führen - zu
niedrigeren Löhnen und zu höheren Eigenbeteiligungen der Beschäftigten bei
der Kranken- und der Rentenversicherung.
Machen Demokraten und Republikaner eine ähnliche Politik?
Was in Kalifornien und was in Wisconsin passiert, ist qualitativ völlig
unterschiedlich. Der republikanische Gouverneur in Wisconsin will mit
seinem Haushaltsgesetz dafür sorgen, dass die Gewerkschaften jedes Jahr
eine amtliche Zulassung einholen müssen, dass sie ihre Mitgliedsbeiträge
nicht mehr vom Lohn abbuchen können und dass sie nicht mehr über Löhne
oberhalb der Inflationsrate verhandeln dürfen.
Sind Lohnkürzungen der richtige Weg, um Haushalte auszugleichen?
Manche dieser Gouverneure haben die Steuern gekürzt, bevor sie jetzt den
Beschäftigten die Löhne kürzen. So läuft es in diesem Land. Die
wohlhabenden Leute, die Geschäftsleute, verlangen Steuerkürzungen. Das ist
eine Sache, die politisch geregelt werden muss.
Welchen Einfluss wird der Konflikt auf die Präsidentschaftswahl haben?
Die Politik in diesem Land ist sprunghaft. Wir hatten eine starke Reaktion
auf George W. Bush, die zur Wahl von Obama führte. Das wiederum löste eine
starke Reaktion auf Obama aus, und die führte im November zum Wahlerfolg
der Republikaner. Was die Republikaner jetzt tun - sowohl in den
Bundesstaaten als auch auf der nationalen Ebene, wo sie Frauenrechte,
Umweltschutz und Arbeitsrecht attackieren -, wird ebenfalls Reaktionen
provozieren. Ich haben den Eindruck, dass sie alles tun, um starke Kräfte
gegen sie auszulösen.
28 Feb 2011
## AUTOREN
Dorothea Hahn
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