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# taz.de -- Aufstand in Libyen: Tausende Tote
> Gaddafi geht im Osten des Landes in die Offensive und kündigt an, "bis
> zum letzten Mann" kämpfen zu wollen. Tausende sind bereits gestorben,
> sagen Menschenrechtsorganisationen.
Bild: Aufständische in der Nähe von Adschdabija haben einen Panzer der Armee …
TRIPOLIS/WASHINGTON/BERLIN dpa/afp/dapd/taz | Nach Schätzungen von
Menschenrechtlern sind bei den Protesten in Libyen bereits Tausende
gestorben. Die Internationale Menschenrechtsliga (FIDH) in Paris sprach am
Mittwoch von bis zu 3.000 Toten. Sprecher einer libyschen
Menschenrechtsorganisation gingen sogar von der doppelten Zahl aus. Die
FIDH hatte bei ihrer letzten Schätzung am 23. Februar noch von 640 Toten
gesprochen. Diplomaten schätzten die Zahl bisher auf 1.500 bis 2.000. Der
Internationale Strafgerichtshof leitet Ermittlungen gegen Libyen ein.
Staatschef Muammar al-Gaddafi ließ sich indes in Tripolis während einer
Feier zum "34. Jahrestag der Herrschaft des Volkes" feiern. Eine
stundenlange Rede von ihm wurde im Staatsfernsehen übertragen. Er werde
kämpfen "bis zum letzten Mann und zur letzten Frau", sagte er und drohte
"tausende Libyer werden sterben, wenn Amerika oder die NATO intervenieren."
„Ich habe kein Amt, von dem ich zurück treten könnte. Ich bin nicht
Premierminister", sagte Gaddafi weiter. Das Einfrieren seines Vermögens im
Ausland bezeichnete er als "Diebstahl".
Libysche Menschenrechtler erhoben zudem Vorwürfe gegen den Tschad, der nach
seinen Angaben eine wichtige Rolle bei den ausländischen Söldnern im
Dienste von Muammar al-Gaddafi spiele. "Zwei tschadische Generäle
befehligen die Söldner", sagte ein Sprecher. Er gab die Zahl der Söldner
mit 3000 in der Hauptstadt Tripolis und weiteren 3000 in deren Vororten an.
Unterdessen gehen die Kämpfe im Osten des Landes weiter, Augenzeugen
berichten vom Einsatz von Kampfflugzeugen in den Städten Brega und
Adschdabija.
## Offensive im Osten
Gaddafi-Truppen haben am Mittwoch eine Offensive im von der Protestbewegung
kontrollierten Osten des Landes gestartet. Eine Ölanlage nahe der Stadt
Brega sei kampflos besetzt worden, sagte ein Manager der Ölfirma Sirte,
Ahmed Dscherksi. Am Mittag sei dort ein Kampfflugzeug eingesetzt worden
sein. In Brega dauerten die Kämpfe am Mittwochnachmittag noch an, berichtet
die BBC. Zwei Kampfflugzeuge bombardierten ein Munitionsdepot nahe der
ostlibyschen Stadt Adschdabija, berichteten Augenzeugen.
Adschdabija liegt 750 Kilometer östlich von Tripolis, Brega 200 Kilometer
von der zweitgrößten Stadt Bengasi entfernt, dem Nervenzentrum der
Aufständischen im Osten. In der Ölanlage arbeiten rund 4.000 Arbeiter.
Augenzeugen sagten, eine Rebelleneinheit sei auf dem Weg nach Brega, das 70
Kilometer südwestlich von Adschdabija liegt. Das Munitionsdepot dort seien
gegen 10.00 Uhr bombardiert worden. "Ich kann die Jets jetzt angreifen
sehen", sagte ein Augenzeuge der Nachrichtenagentur AP. Ein anderer
berichtete, Rebellen seien auf dem Weg westlich der Stadt, um sich Gaddafis
Truppen entgegen zu stellen. "Wir sind bereit, ihren Angriff
zurückzuschlagen", sagte er.
Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag leitet unterdessen
Ermittlungen gegen Libyen wegen möglicher Verbrechen gegen die
Menschlichkeit ein. In einer Erklärung vom Mittwoch hieß es, Chefankläger
Luis Moreno-Ocampo habe sich dazu nach vorläufiger Auswertung bislang
zusammengetragener Informationen entschieden.
## Kämpfe auch nahe der Hauptstadt
Zudem eroberten Truppen Gaddafis offenbar zwei Orte in der Umgebung der
Hauptstadt von den Rebellen zurück. Die Explosion eines Tanklasters am
Mittwoch in Tripolis löste Panik unter Anwohnern aus.
Ob es sich um einen Sabotageakt handelte, war zunächst nicht bekannt. Die
Feuerwehr rückte mit vier Löschwagen aus, um die Flammen zu bekämpfen.
Anwohner griffen ausländische Journalisten an, die am Ort der Explosion
eintrafen. Sie trieben die Reporter in das Hotel zurück, in dem diese
wohnen.
Gaddafi-Truppen hätten die strategische wichtige Stadt Gharjan im
Nafussa-Gebirge bei Tripolis zurückerobert, berichtete ein Einwohner. Nach
Angaben von Gefolgsleuten Gaddafis wurde auch der Ort Sabratha westlich der
Hauptstadt wieder eingenommen, der in der vergangenen Woche abwechselnd von
Kräften des Regimes und Aufständischen kontrolliert wurde.
## Offenbar Fahndung nach Gaddafi-Gegnern
Gharjan war am vergangenen Freitag von den Rebellen eingenommen worden,
berichtete der Einwohner der Nachrichtenagentur AP. Nach der Rückeroberung
hätten Gefolgsleute Gaddafis Offiziere festgenommen, die zu der Opposition
übergelaufen seien. Es seien Suchlisten mit den Namen Oppositioneller
erstellt worden. Die Fahndung habe sofort begonnen.
Angriffe auf die von der Protestbewegung gehaltenen Stadt Sawija seien am
Dienstag erneut abgewehrt worden, berichteten Einwohner aus der 50
Kilometer westlich von Tripolis gelegenen Stadt. Auch Versuche von Gaddafis
Truppen, die Kontrolle über einen umkämpften Luftwaffenstützpunkt bei
Misrata auszuweiten, seien gescheitert, hieß es von dort.
Der Sohn des Staatschefs, Saif al-Islam Gaddafi, gibt sich ruhig: "In zwei
Tagen wird alles wieder den gewohnten Gang nehmen", sagte er in einem
Interview dem Le Figaro vom Mittwoch. Die Lage sei ausgezeichnet und vom
Fall des Regimes gar keine Rede. Die Situation im Osten des Landes sei
etwas chaotisch, doch werde auch dort bald Ruhe einkehren, erklärte er
weiter. Er gestand, dass es bei den Protesten mehrere hundert Tote gegeben
hat, bestritt jedoch erneut die Luftangriffe auf Zivilisten.
Unterdessen untersucht die London School of Economics, ob [1][Saif in
seiner Doktorarbeit abgeschrieben] hat.
## Ausschluss aus dem Menschenrechtsrat
Wegen des brutalen Vorgehens gegen Regierungsgegner wurde Libyen am
Dienstagabend offiziell aus dem UN-Menschenrechtsrat in Genf
ausgeschlossen. Mehr als zwei Drittel der 192 Mitgliedsstaaten der
Vereinten Nationen stimmten für den Ausschluss Libyens aus dem
Menschenrechtsrat. Nie zuvor war die Weltorganisation in dieser Form gegen
ein aktives Mitglied vorgegangen.
Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) beobachtet die Lage in
Libyen und an den Grenzen mit Sorge. Vor allem die Entwicklung in dem noch
vom Gaddafi-Regime beherrschten Westen Libyens mit der Hauptstadt Tripolis
sei alarmierendsagte IKRK-Sprecherin Anna Nelson.
Deutschland stellt eine Million Euro zur medizinischen Versorgung der aus
Libyen geflohenen Menschen bereit. Außenminister Guido Westerwelle sagte am
Mittwoch in Berlin, man gehe von mehr als 140.000 Flüchtlingen an den
Grenzen zu Tunesien und zu Ägypten aus. Auf Bitten der ägyptischen
Regierung werde zudem geprüft, ob Ägypter, die nach Tunesien fliehen
mussten, mithilfe der Bundeswehr wieder zurück in ihre Heimat transportiert
werden könnten.
Großbritannien hat eine Luftbrücke für ägyptische Flüchtlinge gestartet,
die an der libysch-tunesischen Grenze festsitzen. Premierminister David
Cameron erklärte am Mittwoch in London, die Ägypter würden in ihre Heimat
ausgeflogen. Der erste Flug sollte noch im Lauf des Tages in Großbritannien
starten.
Die US-Regierung denkt darüber nach, ob sie die diplomatische Beziehung zu
Libyen abbrechen soll, sagte ein hoher Beamter dem US-Nachrichtensender CNN
in der Nacht zum Mittwoch.
## Keine Übereinkunft mit der Nato
Eine Militärintervention sieht US-Verteidigungsminister Robert Gates zur
Zeit nicht. Er sagte am Dienstag, es gebe keine Übereinkunft mit der Nato
über einen Einsatz von Militär. Die USA wollten nicht in einen Krieg im
Nahen Osten ziehen. Der Pentagonchef bekräftigte zwar, dass die USA eine
Reihe von Militäroptionen prüften. Es sei aber noch keine Entscheidung
gefallen, sagte er auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit
Generalstabschef Mike Mullen in Washington.
Die USA verlegen nach Angaben von Gates zwei Kriegsschiffe ins Mittelmeer,
für humanitäre Hilfe und etwaige Evakuierungen. Kanada entsendet eine
Fregatte ins Mittelmeer, um dort mögliche internationale Aktionen im
Zusammenhang mit der Libyen-Krise zu unterstützen. US-Außenministerin
Hillary Clinton warnte vor einem langjährigen Bürgerkrieg in Libyen.
2 Mar 2011
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taz.lab 2011 „Die Revolution haben wir uns anders vorgestellt“
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