# taz.de -- Aufstand in Libyen: "Gaddafi muss lebend verhaftet werden" | |
> Der Aufstand in Libyen begann mit einer Demonstrantion für die | |
> Freilassung von Fathi Terbil. Der junge Anwalt vertritt Angehörige von | |
> Opfern einer Massenerschießung in einem Gefängnis in Tripolis. | |
Bild: Ein Plakat mit Bildern der Opfer der Massenerschießung im Gefängnis Abu… | |
BENGASI/BERLIN afp/taz | Wie die politischen Umstürze in Tunesien und | |
Ägypten scheinen auch die Massenproteste in Libyen eng mit dem Schicksal | |
einer zentralen Identifikationsfigur verbunden: Als die Kundgebungen am 15. | |
und 16. Februar in der Stadt Bengasi im Nordosten des Landes ihren Anfang | |
nehmen, fordern die Demonstranten vor allem die Freilassung des Anwalts | |
Fathi Terbil. | |
Terbil vertritt einige der Familien, die im Jahr 1996 bei einer | |
Massenerschießung im Gefängnis Abu Salim in der Hauptstadt Tripolis | |
vermutlich 1.200 Verwandte verloren. Bestätigte Angaben gibt es nicht, | |
Human Rights Watch hat aber [1][Zeugen der Erschießung] befragt. | |
Nach seiner Festnahme am 15. Februar versammelten sich in Bengasi | |
Unterstützer zu einer Sitzblockade vor einer Polizeiwache. Laut Foreign | |
Policy kamen unbestätigten Schätzungen zufolge 2.000 Menschen zusammen und | |
blieben auch nach Terbils Freilassung. Es kommt zu Auseinandersetzungen mit | |
Sicherheitskräften von Machthaber Muammar El Gaddafi, bei denen fast 40 | |
Demonstranten verletzt werden. | |
Ab diesem Zeitpunkt breitet sich der Aufstand über das ganze Land aus. Das | |
Ziel ist bald der Sturz Gaddafis. Die Vorbilder sind Tunesien, wo die | |
Selbstverbrennung eines jungen Arbeitslosen die Proteste auslöste, und | |
Ägypten, wo ein Aktivist Gräueltaten der Polizei anprangerte. | |
Als Terbil seine Geschichte bei einer Pressekonferenz in Bengasi erzählt, | |
ist er sehr aufgeregt. Die große Aufmerksamkeit der Medien ist er nicht | |
gewohnt. Er entschuldigt sich für die Schirmmütze auf seinem Kopf und die | |
Turnschuhe an seinen Füßen. Beides bezeichnet er als "Kleidung der | |
Revolution", die er wieder ablegen werde. In die Politik wolle er nicht, | |
stellt er sofort klar. Sein Ziel sei nur Gerechtigkeit für die im Gefängnis | |
Getöteten. Sie hätten lediglich bessere Haftbedingungen gefordert und seien | |
deswegen getötet worden, klagt er. | |
Terbil ist ein Mann des Rechts. "Ich hoffe aus vollen Herzen, dass Gaddafi | |
lebendig festgenommen wird", sagt der 39-Jährige nach fast zweiwöchigen | |
Kämpfen zwischen Demonstranten und Getreuen des Staatschefs, in denen | |
zahlreiche Menschen ihr Leben lassen mussten. "Er soll der Justiz übergeben | |
werden und einen gerechten Prozess bekommen", fügt er noch hinzu. Dann | |
gehen die Emotionen mit ihm durch. "Wenn dies nicht möglich ist...", sagt | |
er noch und führt eine Handkante in unmissverständlicher Geste zu seinem | |
Hals. | |
Seit der Übernahme der Mandate in den juristischen Verfahren um die | |
Gefängnisschießerei ist Terbil sieben Mal festgenommen worden, zuletzt am | |
15. Februar. "Rund 20 schwer bewaffnete Sicherheitskräfte sind zu mir nach | |
Hause gekommen und haben mich mitgenommen", sagt er. Die Nachricht habe | |
sich unter den Familien der Opfer verbreitet und zu den Protesten geführt. | |
"Ich wurde zu Abdallah Senussi, Gaddafis persönlichem | |
Sicherheitsverantwortlichen, gebracht", sagt Terbil weiter. Dieser sei | |
wegen der Proteste "sehr nervös" gewesen. | |
"Also habe ich vorgeschlagen, mich freizulassen, um mit den Demonstranten | |
zu sprechen", sagt Terbil. Dies habe Senussi jedoch abgelehnt und gesagt, | |
die Sicherheitskräfte würden die Kundgebungen verhindern. Allerdings habe | |
ihn Senussi nach den Forderungen der Demonstranten gefragt. "Die Wahrheit | |
über Abu Salim", sei seine Antwort gewesen. Nach den Zusammenstößen in der | |
Nacht sei er dann am Morgen entlassen worden, sagt Terbil. Die Ausbreitung | |
der Proteste in Libyen war zu diesem Zeitpunkt jedoch schon nicht mehr | |
aufzuhalten. | |
1 Mar 2011 | |
## LINKS | |
[1] http://www.hrw.org/en/reports/2006/06/28/libya-june-1996-killings-abu-salim… | |
## TAGS | |
taz.lab 2011 „Die Revolution haben wir uns anders vorgestellt“ | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Schriftsteller über libyschen Aufstand: "Es geht nicht um Brot" | |
Die Revolte im Lande Gaddafis hat nichts mit Armut zu tun, sagt der | |
Schriftsteller Ibrahim al-Koni. Die Geduld des Volkes sei schlicht am Ende. | |
Freie Presse in Libyen: Der alte Traum ist wahr geworden | |
In Bengasi haben sich die ersten unabhängigen Medien gegründet. Die | |
Tageszeitung "Freies Libyen" und ein Radioprogramm leben dabei vom | |
Enthusiasmus der Menschen. | |
Aufstand in Libyen: Tausende Tote | |
Gaddafi geht im Osten des Landes in die Offensive und kündigt an, "bis zum | |
letzten Mann" kämpfen zu wollen. Tausende sind bereits gestorben, sagen | |
Menschenrechtsorganisationen. | |
Aufstand in Libyen: Rebellen schlagen Gaddafi-Truppen | |
Die Aufständischen in Sawija und Misrata haben Angriffe von Gaddafi-Truppen | |
zurückgeschlagen. Die Situation der Flüchtlinge sei an einem Krisenpunkt | |
angelangt, sagen die Vereinten Nationen. | |
Aufstand in Libyen: "Gaddafi droht lebenslange Haft" | |
Der Internationale Strafgerichtshof prüft die aktuelle Lage in Libyen. | |
Dabei geht es vor allem um Verbrechen gegen die Menschlichkeit, sagt der | |
Völkestrafrechtler Kai Ambos. | |
Bürgerkrieg in Libyen: Gaddafi schießt, Diplomaten betroffen | |
Mit der Luftwaffe hat Gaddafi Aufständische im Osten angegriffen. 100.000 | |
Menschen sind auf der Flucht, nach Deutschland dürfen sie nicht kommen, | |
sagt Außenminister Westerwelle. |