# taz.de -- Opfer sind die Seeleute: Hilflos den Piraten ausgeliefert | |
> Die ostafrikanischen Freibeuter werden immer rabiater. Opfer sind nicht | |
> die Reeder, sondern die Seeleute. Politik, Gewerkschaften und Reeder | |
> streiten um Auswege. | |
Bild: Marinesoldaten an Bord der Fregatte "Brandenburg". | |
BERLIN taz | Seit sechs Wochen ist die "Beluga Nomination", ein Schiff | |
einer Bremer Reederei, verschleppt. Bei der Entführung gab es Tote. Und die | |
entführte Mannschaft des Frachters "Emsriver" kam erst in dieser Woche | |
frei, so die Papenburger Reederei Grona Shipping. Schiff und Seeleute waren | |
kurz nach Weihnachten vor der somalischen Küste entführt worden. | |
Seit 2008 steigt die Zahl der entführten Seefahrer dramatisch an. Piraten | |
haben seitdem 14 unter deutscher Flagge fahrende Schiffe in ihre Gewalt | |
gebracht. Wurden bis dahin jährlich immerhin schon etwa 200 Menschen auf | |
dem Meer gekidnappt, waren es 2010 schon 1.181 Besatzungsmitglieder und | |
Gäste, die auf 53 gekaperten Fracht-, Passagier- und Fischereischiffen als | |
Geiseln genommen wurden, meldet das Internationale Maritime Büro (IMB) in | |
London. | |
Für Experten wie den Buchautor Eigel Wiese spiegeln diese Zahlen den Wandel | |
vom Mundraub durch arme Amateurfreibeuter, die es auf Lebensmittelvorräte, | |
teure Taue und die Bordkasse abgesehen haben, zur organisierten | |
Kriminalität wider, "deren Chefs in Nadelstreifen in den Finanzzentren | |
Frankfurt, New York oder London thronen". | |
Für eine Professionalisierung spricht auch die regionale Häufung von | |
Geiselnahmen vor Somalia: Neun von zehn Entführten wurden Opfer vor der | |
ostafrikanischen Küste. Das Los der Matrosen wurde durch die Profikidnapper | |
noch bedrohlicher. Schon Krzysztof Kotiuk, 2009 entführter Kapitän einer | |
hamburgischen Reederei, berichtet von Isolationshaft und | |
Scheinerschießungen. | |
Der maritime Infodienst THB fasst den negativen Trend zusammen: Die | |
Behandlung durch ostafrikanische Piraten nehme "immer dramatischere | |
Ausmaße" an. Acht entführte Menschen starben im vergangenen Jahr. Dabei | |
"fährt die Angst an Bord mittlerweile in einem weit größeren Gebiet mit", | |
sagt die Internationale Transportarbeitergewerkschaft ITF. Zusammen mit | |
Reedern startete die ITF die weltweite Aktion "SOS" (Save Our Seafarers). | |
"Die Angst fährt mit" | |
Lange galt hauptsächlich eine küstennahe Zone am Horn von Afrika als | |
gefährlich, jetzt reicht der heikle Korridor tausend Seemeilen – über 1.800 | |
Kilometer – weit in den Indischen Ozean hinaus , ein Gebiet sechsmal so | |
groß wie die Bundesrepublik. Die maritimen Kriminellen nutzen zuvor | |
gekaperte Frachter als Basisschiffe, von denen aus sie mit schnellen Booten | |
zu neuen Kaperzielen aufbrechen. | |
Opfer sind Seemänner und -frauen selbst dann, wenn eine Kaperung wie im | |
Fall der hamburgischen "Taipan" durch niederländische Marinesoldaten | |
beendet wird. "Die richtige Last der Piraterie tragen die Seeleute, nicht | |
die Reeder", so Jan Kahmann, Kapitän und Piraterieexperte der | |
Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di. Die Gewerkschaft Ver.di warnt auch vor | |
einer weiteren Eskalation der Gewalt: So sprengen Piraten inzwischen die | |
auf einigen Schiffen eingerichteten und schwer gepanzerten "Panikräume" | |
auf. Der zweite Offizier der "Taipan", Igor Sukhoverkhow, berichtete im | |
Piratenprozess vor dem Landgericht Hamburg von einer wilden Schießerei mit | |
Maschinenwaffen und Panzerfaust. | |
Wie auf die zunehmende Bedrohung durch organisierte Seekriminalität | |
reagiert werden soll, ist politisch umstritten. Die deutschen Reeder | |
möchten Bundeswehrsoldaten an Bord stationieren. Die Bundesregierung möchte | |
mehr Schiffe unter deutscher Flagge und mit deutschen Seeleuten. Für das | |
Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung ist "ein nachhaltiger Rückgang | |
dieser Verbrechen auf See nur über eine Verbesserung der Situation an Land | |
zu erreichen". Praktikable Lösungen hierfür sind jedoch nicht bekannt. | |
Die meisten gekaperten Schiffe fuhren kostensparend unter fremder Flagge | |
und mit ausländischer Crew. So schippert die in dieser Woche freigekaufte | |
"Emsland" aus dem niedersächsischen Papenburg unter der Flagge des | |
Karibikstaates Antigua und Barbuda, und die geretteten sieben Matrosen und | |
ihr Kapitän reisten zu ihren Familien auf die Philippinen und nach | |
Russland. Ver.di-Piratenexperte Kahmann sagt, die globale Ungleichheit ist | |
schuld: "Nicht selten sind es Menschen, die in ihren Heimatländern keine | |
Perspektive finden und zu oft miesen Bedingungen auf fremden Schiffen | |
anmustern", sagt Kahmann der taz. "Und da von der Heuer meistens auch noch | |
eine große Familie leben muss, geht das Leid der Piraterie weiter." | |
8 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Hermannus Pfeiffer | |
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