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# taz.de -- Piratenprozess in Hamburg: "Fluchthelfer" im Landgericht
> Die in Hamburg angeklagten Somalier werden wegen Fluchtgefahr nicht aus
> der U-Haft entlassen. Grund sind öffentliche Solidaritätsaufrufe von
> Unterstützern.
Bild: Die Hälfte der angeklagten Somalier hat eine Beteiligung eingeräumt und…
HAMBURG taz | Das Hamburger Landgericht hat es abgelehnt, die zehn
somalischen Angeklagten im Piratenprozess vorerst freizulassen. Es wies
einen Antrag der teils jugendlichen Gefangenen zurück, die schon seit 15
Monaten andauernde U-Haft auszusetzen. Die zum Teil geständigen Somalier
müssten mit langen Freiheitsstrafen rechnen, deshalb bestehe erhebliche
Fluchtgefahr, so das Gericht. Weil es "öffentliche Solidaritätsaufrufe" in
Deutschland gegeben habe, stünden möglicherweise Fluchthelfer bereit.
Prozessbeobachter glauben, dass dies vor allem auf sie gemünzt ist. "Auf
abenteuerliche Weise wird eine Begründung für die angebliche Fluchtgefahr
aus dem Hut gezaubert", heißt es in einer Erklärung des Eine Welt
Netzwerks, der Gruppe "kein mensch ist illegal" (Kmii) und der
Dritte-Welt-Hafengruppe.
Seit Verhandlungsbeginn dokumentierten die Aktivisten minutiös jeden
Prozesstermin und veröffentlichten die Protokolle. Sie organisierten
Infoveranstaltungen zu Somalia, sammelten Spenden und demonstrierten vor
dem Gefängnis. Nun fühlen sie sich verleumdet: "Das Gericht verschweigt
seine Quellen für diese absurden Anschuldigungen und diffamiert so die
kritische Prozessbeobachtung", sagt Reimer Dorn von Kmii.
Der Verteidiger Andreas Beuth nahm die Prozessbeobachter in Schutz: Sie
hätten mit ihrer Öffentlichkeitsarbeit auf wichtige Probleme in Somalia wie
Fischraub, Giftmüllverklappung oder Militäreinsätze hingewiesen. "Daraus
Fluchthilfe zu konstruieren ist unlauter und abwegig", sagt Beuth.
## Anwalt erbost Begründung des Gerichts
Ein Sprecher des Hamburger Landgerichts verwies darauf, dass "keine
konkreten Gruppierungen benannt worden seien", die Fluchthilfe leisten
könnten. "Es gibt ja nicht nur diese eine."
Neben der langen Dauer der Untersuchungshaft erbost Anwalt Beuth vor allem,
mit welcher Begründung das Gericht eine vorläufige Freilassung ablehnt. "Es
grenzt an Zynismus, einerseits Jugendliche aus Somalia allein zur
Strafverfolgung herzubringen und ihnen dann keine tragfähigen Bindungen in
Deutschland zum Vorwurf zu machen", sagt Beuth. Er hat Akteneinsicht
beantragt, um nachzuvollziehen, weshalb das Gericht die Prozessbeobachter
als potenzielle Fluchthelfer sieht.
Es handelt sich um den ersten Prozess gegen somalische Piraten in
Deutschland. Die Anklage basiert auf dem sogenannten Weltrechtsprinzip, das
eine Verfolgung nach deutschem Strafrecht gestattet, wenn sich die Straftat
gegen international geschützte Rechtsgüter richtet.
## Alter der Angeklagten strittig
Die Hälfte der Somalier hat eine Beteiligung an dem Überfall eingeräumt und
sich im Gericht beim Kapitän der "Taipan" entschuldigt. Einige der
Angeklagten schilderten ihre Lebensumstände in Somalia: "Ich hatte nichts,
gar nichts, und habe mich danach gesehnt, etwas zu finden, womit ich
überleben kann", sagte einer. Andere berichteten von leeren Fischgründen,
Hunger in ihrer Familie oder dem Tod der Eltern im Bürgerkrieg. Ein Mann
gab an, mit der Entführung von Angehörigen zur Beteiligung an dem Überfall
gezwungen worden zu sein.
Strittig ist das Alter der Angeklagten. Einige hatten erklärt, unter 21
Jahre, einer sogar unter 14 Jahre alt zu sein. Gutachter stuften jedoch
anhand von Röntgenbildern nur drei der Somalier als Heranwachsende bis 20
Jahre ein. Sie werden nach dem Jugendstrafrecht behandelt, wegen des
"internationalen Informationsinteresses" lehnte das Gericht es jedoch ab,
unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu verhandeln.
Der Verteidiger Thomas Jung hatte gegen den Gutachter einen
Befangenheitsantrag gestellt. "Weder wurde ein Dolmetscher hinzugezogen,
noch gibt es eine wissenschaftliche Grundlage für die Alterseinschätzung
von Menschen aus Ostafrika", so der Anwalt. Bis zum 30. November sind
Prozesstermine angesetzt.
16 Aug 2011
## AUTOREN
Christian Jakob
## TAGS
Piraten
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