# taz.de -- Strafrechtler Nix über die Piratenprozesse: "Ich provoziere lieber" | |
> Christoph Nix lehrt Straf-, aber auch Bühnenrecht und ist im Hauptberuf | |
> Intendant und Regisseur. Ein Gespräch über das Gemeinsame von Theater und | |
> Juristerei. | |
taz: Herr Nix, wie viel Theater gibt es im Gerichtssaal? | |
Christoph Nix: Es gibt Situationen, in denen man im Plädoyer auch mal etwas | |
pathetisch werden kann. Aber ein rhetorisches Plädoyer rettet den Prozess | |
nicht, da ist eher die stille Recherche gefragt, die sorgfältige | |
Ermittlung, vor allem aber die Beherrschung des Beweisantragsrechts unserer | |
Strafprozessordung. | |
Aber Theatralik gibt es dort trotzdem? | |
Nur der schlechte Strafverteidiger ist theatralisch, bringt zu viel Pathos | |
rein, macht "den Dicken". Die große Show bringt dem Mandanten nichts. Der | |
gute Strafverteidiger kommt eher bescheiden daher. Darüber hinaus aber ist | |
der Strafprozess schon ein szenischer Vorgang. Der gute Beobachter versucht | |
zu erkennen, ob man einen Lügner als Zeugen vor sich hat, wie der Richter | |
funktioniert und der Staatsanwalt denkt. Das hat schon was mit Ausdruck zu | |
tun und ist insoweit theatralisch. Wann der richtige Zeitpunkt ist, sich | |
zurückzunehmen, wann stellt man welche Beweisanträge, das fand ich spannend | |
und anstrengend zugleich. | |
Wie haben Sie das gelernt? | |
Ich habe als Student an einem ganz interessanten Seminar teilgenommen mit | |
einem jungen Anwalt, der mit uns Theaterarbeit gemacht hat - das war die | |
Zeit vom Republikanischen Anwaltsverein. Wir haben geübt, wie man in den | |
Gerichtssaal reinkommt, welche Position und Haltung man einnimmt. Wir haben | |
auch über Angst gesprochen und viel Selbsterfahrung zugelassen. Ich bin | |
kein Schauspieler, wenn ich als Strafverteidiger arbeite, aber ich habe aus | |
dem Theater viel mitnehmen können: auch Bescheidenheit. | |
Sie sind heute Intendant in Konstanz, waren Schauspieler, Clown und Dozent. | |
Was war der Job ihres Lebens? | |
Oh Gott, ich hoffe, der kommt noch. Ich finde, dass Theater-Intendant und | |
Jura-Professor zwei sehr interessante Jobs sind. Wenn Sie so wollen, bin | |
ich sehr privilegiert. Aber es war auch harte Arbeit, denn man gehört | |
nirgendwo ganz dazu. Man kann als Intendant viel mehr gestalten, man kann | |
Einfluss nehmen. Das Schöne aber an meinem Uni-Job ist, dass ich mit vielen | |
Studentinnen und Studenten zu tun habe, die nicht von mir abhängig sind, | |
weil ich nicht ihr Hauptprüfer bin oder ihr Chef. So kann ich ein guter | |
Lehrer sein, dem es nicht um Macht geht, sondern um Diskurs und | |
Gesellschaftskritik. | |
Was ist mit Strafverteidiger und Clown? | |
Ich habe neulich meinen alten Zirkus noch mal besucht, bei dem ich Clown | |
war. Das ist viel soziales Elend, deren wirtschaftliche Lage hat sich sehr | |
verschlechtert. Die soziale Situation der Kleinzirkusse interessiert kein | |
Schwein, die sind einfach out, Roncalli hat die plattgemacht und weder | |
Grüne noch SPD interessieren sich für deren ökonomische Lage. | |
Sind sie deshalb kein Clown? | |
Daran lag es nicht. Ich war nie mutig genug, zu sagen: Ich lebe jetzt | |
davon. Ich wusste nicht, ob mein Talent dazu ausreichend ist. Ich war kein | |
schlechter Clown und mein Partner Edgar war wunderbar. Ich habe nur das | |
Experiment Clown nicht ganz zu Ende geführt. Aber ich bin ja noch nicht | |
tot. | |
Bleibt der Rechtsanwalt. | |
Auch den kann ich mir wieder vorstellen, wenn meine Intendanz zu Ende ist. | |
Leider gibt es nicht mehr viel klassisch-linke Kanzleien, die wollen alle | |
eher Geld verdienen und diese Alt-Linken vertreten ja heute eher Ackermann | |
und Co. Mich macht vor allem traurig, dass die Situation in den | |
Gefängnissen politisch kein Thema mehr ist. | |
Der Konstanzer Südkurier berichtet immer mal wieder über | |
Theatermitarbeiter, die sich über das Arbeitsklima und Ihren Umgangston | |
beschweren. | |
Ich bin ein Schaffer und erwarte viel von mir und von anderen Mitarbeitern. | |
In meinem Theater kann man sehr wohl mitbestimmen, selbst bei den Stücken, | |
ich bin offen für Vorschläge. Recherchieren Sie doch einfach mal im Haus. | |
Sie können mit jedem reden. Die Stimmung ist gut. Wir haben im Moment nur | |
einen Konflikt mit einem Regisseur, der selber gerne Intendant geworden | |
wäre. | |
Der Journalist denkt sich also die Kritik übenden Mitarbeiter aus? | |
Es kommt keine Kritik von den Schauspielern, das hat auch ihr Sprecher | |
schon mehrmals versichert. Es gibt ältere Kollegen, zum Beispiel im Ton, | |
denen ist mein Tempo zu viel. Ihr Kollege vom Südkurier wäre auch gerne | |
nicht mehr in der Provinz und hat ein privates Problem mit mir: ein | |
Vater-Sohn-Komplex. Der will sich nach oben schreiben. | |
Ach so. | |
Ich bin sehr selbstkritisch mit mir, deshalb habe ich auch eine Ausbildung | |
als Mediator gemacht. Ich reflektiere permanent meine Leitungstätigkeit, | |
man kann und muss sich immer wieder verbessern, daher mache ich auch eine | |
Supervision. Aber zweifellos hat man auch Gegner und Kritiker, wenn man | |
erfolgreich ist und Chef. Ich habe natürlich auch in 17 Jahren Intendanz | |
Menschen gekündigt. | |
Sie werden in Bremen Honorarprofessor für Bühnenrecht und Strafrecht - was | |
hat das miteinander zu tun? | |
Das hat nur etwas mit meinem Leben zu tun. Vom Fachgebiet her ist das eine | |
Zivilrecht und das andere eben Strafrecht, mein eigentliches Fachgebiet. | |
Bühnenrecht mache ich vor allem, weil ich im Theater bin und es dort kaum | |
Spezialisten gibt. | |
Was bringt die Kombination für die Uni Bremen? | |
Für die Hochschule hat das hoffentlich den Reiz, das ein Praktiker | |
Bühnenrecht lehrt und damit Profil bilden kann. Ich glaube es gibt sonst | |
keinen Universitätsprofessor, der das macht. Überwiegend aber lehre ich | |
Jugendstrafrecht. Wir geben einen Gesetzeskommentar zum Bühnenrecht heraus, | |
der eher arbeitnehmerfreundlich und billig ist. Das klingt paradox, weil | |
ich immer noch emanzipatorisch denke und trotzdem Chef bin, aber das ist | |
eher das Problem der anderen, die meinen, dies sei ein Widerspruch. | |
Was heißt eigentlich Bühnenrecht? | |
Das ist normales Arbeitsrecht, es gibt den speziellen Tarifvertrag | |
Normalvertrag Bühne. Das Hauptproblem der Theater aber ist nicht der | |
Tarifvertrag, sondern, dass die Politik sie zu Tode spart, das ist in | |
Bremen nicht anders, und statt dass die Belegschaft einig ist und kämpft, | |
sind sie kurzsichtig und machen die Intendanten zum Gegner. Aber | |
Intendanten sind allenfalls leitende Angestellte, die an kleinen Häusern | |
nicht mehr verdienen als Hochschullehrer. | |
Wie sieht die Jura-Vorlesung eines Theater-Manns aus? | |
Ich diskutiere gerne und provoziere noch viel lieber. Ich konfrontiere die | |
Studenten gerne auch mit allgemeinen politischen und rechtlichen Themen. | |
Ich glaube, ich bin immer sehr gut vorbereitet. Manchmal frage ich die | |
Leute auch, was sie für Tageszeitungen lesen. "Wie, Sie lesen nur den | |
Weser-Kurier?", "Gehen Sie ins Theater?" - diese Fragen entblößen ja | |
niemanden. | |
Sie schicken werdende Juristen ins Theater. Was bringt denen das fachlich? | |
Theater ist eine unglaubliche Konzentration, eben nicht nur ein Spiegel der | |
Gesellschaft. Man sieht, wie viele Lebenssituationen tragisch enden, | |
manchmal in Mord und Totschlag. Im Theater kann man aber auch lernen, wie | |
Gesellschaft historisch entstanden ist. Wenn man Recht als Kultur begreift, | |
erweitert Theater den Horizont. Dann können Juristinnen und Juristen | |
bessere Streiter werden für Demokratie und Gerechtigkeit. | |
Und wie kommt das an? Jura-Studenten gelten ja als recht brav. | |
Die, die ins Strafrecht und Jugendstrafrecht gehen, suchen ja nach | |
gesellschaftlichen Konflikten oder wollen andere bestrafen. Im Moment gibt | |
es wieder mehr kritische Leute im Seminar. Das ist schön. Ich war damals | |
einsamer, da war Jura noch mehr Herrschaftswissenschaft. Ich bin Jurist | |
geworden, weil ich kriminell gewesen bin, ich habe als Jugendlicher mit | |
anderen eine Kneipe kaputtgehauen. Damals bin ich von einem Anwalt | |
verteidigt worden, der später auch Ulrike Meinhof verteidigt hat. Der war | |
einfach ein guter Mensch, ein gutes Vorbild - der hat uns für 100 Mark | |
verteidigt. So wie der wollte ich auch werden. | |
6 Apr 2011 | |
## AUTOREN | |
Daniel Kummetz | |
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