| # taz.de -- Volkszählung 2011: Die Vermessung der Republik | |
| > Im Mai will der Staat seine Bürger zählen – und eine Reihe persönlicher | |
| > Fragen stellen. Anders als 1987 regt das heute kaum noch jemanden auf. | |
| > Warum? | |
| Bild: Die Volkszählung 1987 löste eine massive Protestwelle aus. | |
| BERLIN taz | Ab dem 9. Mai werden 80.000 Interviewer ausschwärmen, um die | |
| Bevölkerung in Deutschland zu erfassen. Es ist die erste Volkszählung seit | |
| 1987. Damals klingelten die Interviewer in der Bundesrepublik an jeder Tür. | |
| Und es gab so massiven Protest, dass über ihn heute noch | |
| Sozialwissenschaftler forschen. | |
| Die Behörden haben daraus gelernt. Sie gehen nun hauptsächlich im | |
| Verborgenen vor: Der Großteil der Daten wird elektronisch gesammelt. Die | |
| Interviewer klingeln nur an jeder zehnten Tür. Ein Grund dafür, dass sich | |
| in diesem Jahr kaum Widerstand gegen die Datenerfassung regt. Ein zweiter: | |
| Die Gesellschaft hat sich verändert. | |
| Offiziell wohnen derzeit 81,8 Millionen Menschen in Deutschland. Die Zahl | |
| basiert auf den letzten Volkszählungen in Deutschland - die letzte in der | |
| DDR fand 1981 statt. Seither wurden die Zahlen auf Grundlage der Daten über | |
| Geburten und Todesfälle, Hin- und Wegzüge fortgeschrieben. | |
| Statistiker schätzen, dass die Einwohnerzahl in Wahrheit um 1,3 Millionen | |
| niedriger liegt, vor allem weil Menschen, die ins Ausland ziehen, sich | |
| nicht abmelden. Korrekte Bevölkerungsdaten werden für | |
| Infrastrukturplanungen, die Einteilung von Wahlkreisen oder die Berechnung | |
| des Länderfinanzausgleiches gebraucht. | |
| ## Fragen zur Jobsuche | |
| Doch die Interviewer wollen nicht nur wissen, wie viele Personen in einem | |
| Haushalt wohnen. Mithilfe eines achtseitigen Fragebogens erkundigen sie | |
| sich auch nach Name, Telefonnummer, Schulabschluss, Beruf und Position | |
| darin, Ort des Arbeitgebers sowie Migrationshintergrund. | |
| Und warum müssen Arbeitslose sogar angeben, ob sie in den letzten vier | |
| Wochen Anstrengungen bei der Jobsuche unternommen haben und ob sie | |
| innerhalb von zwei Wochen eine Arbeit aufnehmen würden? | |
| "Wir brauchen diese Angaben, weil es Kriterien für die international | |
| übliche Definition von Arbeitslosigkeit sind und wir die Zahl der | |
| Arbeitslosen länderübergreifend vergleichen wollen", sagt Klaus Pötzsch vom | |
| Statistischen Bundesamt. | |
| Laut dem Zensusgesetz dürfen die Statistischen Ämter die Daten nicht | |
| weitergeben. Klaus Pötzsch verspricht auch, dass dies nicht passieren wird. | |
| Wenn es aber doch so kommt, dürfen andere Behörden die Daten auch benutzen. | |
| Ähnlich wie bei einer polizeilichen Durchsuchung, die hinterher für | |
| rechtswidrig erklärt wird: Die gefundenen Unterlagen dürfen trotzdem in | |
| einem Strafverfahren als Beweise verwendet werden. | |
| Im Vergleich zur heutigen allgemeinen Kontrolldichte im öffentlichen und | |
| privaten Raum war die Volkszählung von 1987 harmlos, meint der | |
| Bürgerrechtsaktivist Rolf Gössner. Und dennoch gab es damals eine breite | |
| Protestbewegung: "Initiativen zum Volkszählungsboykott schossen aus dem | |
| Boden, massenweise versammelten sich Betroffene in Riesensälen, um sich | |
| informieren zu lassen." | |
| Die Republik stand damals an der Wende zur Informationsgesellschaft. "Es | |
| gab dieses Unbehagen und Ängste vor dem, was sich da entwickelt. Und dazu | |
| kam die eigene Betroffenheit, weil ja damals alle Haushalte befragt | |
| wurden." | |
| Inzwischen ist die Informationsgesellschaft da. Die Bürger sind gut | |
| vernetzte Facebook-User. "Die Menschen nutzen alle Möglichkeiten neuer | |
| Telekommunikationsmittel und wissen sie auch zu schätzen", sagt Gössner. | |
| "Dabei verbirgt sich hinter der Fassade immer noch die Möglichkeit zur | |
| Kontrolle." | |
| Doch die staatliche Datensammlung ist diesmal nicht so greifbar wie 1987. | |
| Die meisten Daten holen sich die Statistiker direkt von den Einwohnermelde- | |
| und anderen Ämtern, um sie bei sich zusammenzuführen. | |
| Die Befragungen der Haushalte sind nur noch eine Stichprobe. Jeder | |
| Einwohner hat eine 90-Prozent-Chance, dass bei ihm kein Interviewer | |
| klingelt. Dadurch fehle die Betroffenheit, sagt Rolf Gössner. Er sieht auch | |
| noch ein Informationsdefizit. | |
| Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung versucht, eine Protestbewegung | |
| aufzubauen. Eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die | |
| Volkszählung ist allerdings bereits gescheitert. "Wir werden nicht aufgeben | |
| und arbeiten weiter daran, sachlich und kritisch über die Volkszählung | |
| aufzuklären und dagegen anzugehen", sagt der Aktivist Jens Rinne. | |
| 1987 gab es im Vorfeld der Volkszählung eine große Zahl von | |
| Boykottaufrufen. Heute vermeiden die Aktivisten dies, um sich nicht selbst | |
| strafbar zu machen. Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung schreibt auf | |
| seiner Internetseite aber zumindest, er wolle "auf die Möglichkeiten des | |
| zivilen Ungehorsams aufmerksam machen". | |
| 11 Mar 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Sebastian Heiser | |
| ## TAGS | |
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