# taz.de -- Volkszählung: "Der Zensus ist missbrauchsanfällig" | |
> Rolf Gössner, Vizepräsident der Liga für Menschenrechte, sieht die | |
> Volkszählung immer noch als Gefahr. | |
taz: Herr Gössner, seit 1987 gab es in der Bundesrepublik keine | |
Volkszählung mehr - ist es nicht Zeit für eine neue? | |
Rolf Gössner: Dass seit 1987 keine Volkszählung mehr stattgefunden hat, | |
bedeutet nicht, dass seitdem keine Daten mehr erhoben wurden. Zwar soll der | |
Zensus Basis- und Strukturdaten für künftige politische, wirtschaftliche | |
und gesellschaftliche Planungen liefern. Aber diese Volkszählung wird keine | |
politischen und wirtschaftlichen Fehlplanungen verhindern. Zu Fehlplanungen | |
kommt es meistens nicht wegen fehlender oder veralteter Daten, sondern | |
wegen falscher politischer Bewertungen und Entscheidungen. | |
Welche Risiken sind mit der Volkszählung verbunden? | |
Der Zensus kann in Persönlichkeitsrechte eingreifen und ist anfällig für | |
Missbrauch. Ohne Einwilligung der Betroffenen werden deren sensible Daten | |
aus staatlichen Registern zusammengeführt. Darüber hinaus werden bundesweit | |
bis zu acht Millionen Menschen zur Auskunft über ihre persönliche | |
Lebenssituation gezwungen. Die Daten bleiben bis zu vier Jahre gespeichert | |
und können über Ordnungsnummern zu heiklen Personenprofilen verknüpft | |
werden. Das ist insgesamt eine Gefahr für informationelle Selbstbestimmung, | |
für Datenschutz und Datensicherheit. | |
Befürchten Sie, dass das System zur Speicherung der Daten von außen | |
angreifbar ist? | |
Solche zentralen Großdatenbanken sind immer mit dem Risiko des Missbrauchs | |
durch Dritte verbunden. | |
Die Zählung 1987 wurde von vielen Seiten boykottiert. Wie sieht der | |
Widerstand heute aus? | |
Von Widerstand kann bislang nicht gesprochen werden. Eine | |
Verfassungsbeschwerde von Bürgerrechtlern ist vom Bundesverfassungsgericht | |
letztes Jahr aus formalen Gründen nicht zur Entscheidung angenommen worden. | |
Die verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen inhaltlich aber fort, Proteste | |
gegen den Zensus sind weiterhin gerechtfertigt. Im Falle der Verweigerung | |
kann die Auskunftsbereitschaft mit Bußgeldern erzwungen werden. Dagegen | |
kann man im Einzelfall klagen, aber das dauert bekanntlich sehr lange. | |
Welches Vorgehen empfehlen Sie den Befragten? | |
Wir empfehlen, sich umfassend und möglichst unabhängig eine Meinung zu | |
bilden. Die Internationale Liga für Menschenrechte wird ihre | |
Aufklärungsarbeit weiter fortsetzen und mit Veranstaltungen und | |
Publikationen auf die mit der Volksbefragung verbundenen Risiken hinweisen. | |
Sollen sich die Befragten der Volkszählung widersetzen? | |
Das müssen sie selbst entscheiden, zumal es bislang keine starke Bewegung | |
gegen den Zensus gibt. Sie müssen die Risiken, die mit dem Zensus verbunden | |
sind, mit dem Risiko der Zwangsmaßnahmen abwägen. Hilfestellung bei den | |
rechtlichen Möglichkeiten gibt es über den AK Zensus, der die Gegenwehr | |
gegen den Zensus koordiniert. | |
Wie würden Sie vorgehen? | |
Ich persönlich werde die rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, denn ich | |
halte die ganze Volkszählung für einen Verstoß gegen das im Grundgesetz | |
verankerte Verhältnismäßigkeitsprinzip. Das heißt: Die | |
datenschutzrechtlichen Risiken des Zensus und der Aufwand sind zu groß und | |
stehen in keinem vernünftigen Verhältnis mehr zu seinem gesellschaftlichen | |
Nutzen. | |
21 Jan 2011 | |
## AUTOREN | |
Janina Trebing | |
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