# taz.de -- Streit um Volkszählung: "Statistik, nicht Spitzelei" | |
> Ab Montag will der Staat Auskunft – zur Arbeitszeit, zur Herkunft, zur | |
> Toilette. Ein Gespräch zwischen der Autorin Juli Zeh, die den Zensus | |
> verweigert, und dem obersten Volkszähler Gert G. Wagner. | |
Bild: Wühlt der Staat im Privatleben? Die Volkszählung gibt Anlass zu Streit. | |
taz: Ab Montag stehen die Zensusbefrager vor der Tür, jeder zehnte Bürger | |
wird stichprobenartig befragt. Frau Zeh, werden Sie die Volkszähler | |
reinlassen? | |
Juli Zeh: Nein, die lasse ich nicht rein. | |
Gert G. Wagner: Sie müssen sie auch gar nicht reinlassen. Sie können den | |
Fragebogen auch online ausfüllen. | |
Die Frage zielte darauf ab, ob sie überhaupt die Fragen beantworten möchte, | |
egal ob an der Tür, per Post oder online. | |
Zeh: Ich weiß, dass ich gesetzlich verpflichtet wäre, zu antworten. Ich | |
werde mich trotzdem verweigern, sollte ich unter den Auserwählten sein. | |
Das kann teuer werden und bis zu 5.000 Euro kosten. | |
Zeh: Das Bußgeld würde ich in Kauf nehmen - und dagegen klagen. | |
Herr Wagner, wenn es viele Bürger so halten, haben Sie ein Problem. | |
Wagner: Ja, aber es wird nur ganz wenige geben, die sich der Befragung | |
verweigern. Weil der Zensus schlicht und einfach keinen massiven Eingriff | |
in die Persönlichkeitsrechte darstellt. | |
Zeh: Wenn ich mir anschaue, welche Fragen einem gestellt werden, habe ich | |
da große Zweifel. Warum muss der Staat wissen, ob mein Haus eine Dusche und | |
ein Toilette hat? Was hat das zu tun mit besseren Daten für den | |
Länderfinanzausgleich, womit die Befragung ja begründet wird? | |
Alle Wohnungseigentümer werden zusätzlich schriftlich befragt - tatsächlich | |
auch danach, ob sie eine Dusche und ein Klo haben. Warum? | |
Wagner: Um festzustellen, ob es Gegenden gibt, in denen die sanitäre | |
Versorgung nicht so gut ist, wie wir uns das vorstellen. Außerdem muss man | |
wissen, dass die Zensusfragen ja in ganz Europa gestellt werden. Und da | |
gibt es Gegenden, wo die Wohnungsqualität schlecht ist und diese Fragen | |
äußerst wichtig sind. Es geht eben nicht nur um den Länderfinanzausgleich, | |
sondern um eine bessere statistische Grundlage für staatliche und private | |
Planung insgesamt - in Deutschland und in Europa. Und es wird ja nicht | |
irgendwo ein Schild drangeklebt: In dieser Wohnung ist keine Toilette! Es | |
geht um Statistik und nicht um Spitzelei. | |
Zeh: Datensammlungen wecken immer Begehrlichkeiten. Im | |
Kommunikationszeitalter sind Daten ein Rohstoff, der Geld wert ist und ein | |
Mittel, um Herrschaft auszuüben. Nur dass der Rohstoff nicht irgendwo in | |
Afrika abgebaut wird. Es wird im Privatleben geschürft. Und wie wir in den | |
letzten Monaten gesehen haben, können Daten immer auch geklaut werden, auch | |
von Stellen, bei denen wir es nie vermutet hätten. Wikileaks hat das | |
eindrucksvoll gezeigt. | |
Wagner: Es ist aber extrem unwahrscheinlich, dass die Zensusdaten gestohlen | |
werden. Bei der Bundesagentur für Arbeit wird zum Beispiel für Millionen | |
Erwerbstätige sogar das Einkommen abgespeichert. Diese für Werbezwecke | |
sensationellen Daten wurden bisher auch noch nie gehackt. | |
Zeh: Nur weil es noch nicht passiert ist, ist es nicht ausgeschlossen. | |
Wagner: Aber das ist doch pure Spekulation. Wenn Sie jedes Risiko vermeiden | |
wollen, dürfen Sie auch nicht Auto fahren und keine Medikamente nehmen. | |
Zeh: Fakt ist: Der Diebstahl oder der Verlust von Daten ist immer möglich. | |
Sichere Daten sind deshalb immer nur die, die nicht erhoben werden. | |
Wagner: Alles was wir wissen, spricht dafür, dass die Zensusdaten nicht | |
missbraucht werden. Diese Angst vor irgendwelchen dunklen Mächten ist doch | |
irrational. | |
Zeh: Sie missverstehen mich absichtlich. Es geht mir um etwas | |
Grundsätzliches. | |
Wagner: Natürlich. In Deutschland geht es immer ums Prinzip. | |
Zeh: Ich wüsste nicht, warum Prinzipientreue falsch sein sollte. | |
Wagner: Welches Prinzip wird denn durch die Volkszählung verletzt? | |
Zeh: Es geht mir um die Würde. Das Erheben von Daten ist nicht erst dann | |
ein Problem, wenn sie missbraucht werden. Genauso wenig wie ich will, dass | |
der Nachbar in meinen Schubladen wühlt, will ich mir Fragen stellen lassen | |
müssen, die meinen persönlichen Lebensbereich betreffen. Ganz egal, was mit | |
den Antworten später gemacht wird. | |
Allzu persönlich sind die Fragen beim Zensus dann auch wieder nicht: Alter, | |
Geschlecht, Schulbildung. Statistische Basics eben. | |
Zeh: Dann sollten Sie sich den Fragenkatalog noch mal anschauen: "Haben Sie | |
in dieser Woche mindestens eine Stunde eine bezahlte Tätigkeit ausgeübt?", | |
wird da gefragt. "Falls nein: Warum nicht?" Da wird nach der Religion | |
gefragt und nach dem Geburtsland und dem der Eltern. Damit geht Deutschland | |
noch über die EU-Vorgaben hinaus. | |
Wagner: Stimmt. Die Religionszugehörigkeit hätte ich persönlich auch nicht | |
erfragt - aber nur deswegen, weil mir klar war, dass das Kontroversen | |
auslösen wird. Ich bin aber ausdrücklich dafür, dass nach dem | |
Migrationshintergrund gefragt wird. | |
Zeh: Warum? Wir hatten gerade eine sehr laute Debatte zum Thema Migration. | |
Wenn jetzt staatlich erhoben wird, wer alles aus der arabischen Welt kommt, | |
verschärft das die Fronten im angeblichen "Kampf der Kulturen" doch nur | |
weiter. | |
Wagner: Das Gegenteil wird der Fall sein. Mit diesen Daten wird die | |
Diskussion über das Leben von Einwanderern auf eine rationale Grundlage | |
gestellt. Wir werden erkennen, dass die Zuwanderung eine Bereicherung für | |
unser gemeinsames Leben ist. | |
Zeh: Nach der Sarrazin-Debatte sehe ich das pessimistischer. | |
Wagner: Warten wir mal ab. Statistiken wurden ja im Zuge der | |
gesellschaftlichen Aufklärung entwickelt. Deswegen interessieren sich | |
Statistiker auch nicht für die Daten von Frau Zeh oder Herrn Schmidt. Es | |
geht um anonyme statistische Aussagen. Und die werden vielen die Augen | |
öffnen. | |
Frau Zeh, woher kommt Ihr Misstrauen gegen den Staat? | |
Zeh: In seiner jetzigen Verfassung misstraue ich dem Staat nicht. Ich bin | |
sogar der Meinung, dass wir allen Grund haben, ihm zu vertrauen. Aber ein | |
System, so sonnig es uns heute vorkommen mag, besteht nicht für die | |
Ewigkeit. Deshalb sollten wir den staatlichen Kontrollanspruch immer so | |
klein wie möglich halten und nur das absolut Erforderliche zulassen. Das | |
ist die Lebensversicherung für die Demokratie. | |
Mit ihrer Zensusverweigerung stehen Sie etwas einsam da. In den Achtzigern | |
gab es eine riesige Bewegung gegen die Volkszählung, "Nur Schafe lassen | |
sich zählen", hieß es damals. Heute regt sich kaum einer auf. Was ist da | |
los? | |
Zeh: Es hat leider seit Jahren eine ungeheuerliche Trägheit eingesetzt. Die | |
Leute wehren sich kaum mehr - Stuttgart 21 ist da die große Ausnahme. | |
Wagner: Tatsächlich? Wutbürger gibt es überall. Aber nicht beim Zensus, | |
weil die Leute nämlich wissen, dass es keinen Grund gibt, sich darüber | |
aufzuregen. Sie konzentrieren ihre Energie lieber auf Proteste, die sich | |
wirklich lohnen. | |
Zeh: Mein Eindruck ist eher, dass die Leute völlig desinformiert sind, was | |
es mit dem Zensus auf sich hat. Ich erlebe das auch in meinem | |
Bekanntenkreis. | |
In Umfragen sagen zwei Drittel der Bürger, dass sie nicht genug über ihre | |
Rechte und Pflichten beim Zensus wissen. Da haben Sie doch was falsch | |
gemacht, Herr Wagner. | |
Wagner: Wieso? Wenn Sie die Leute fragen, wie sie ihre Steuererklärung | |
auszufüllen haben, werden Ihnen auch zwei Drittel sagen: Keine Ahnung. Dass | |
breite Teile der Bevölkerung nicht über Details gesetzlicher Regelungen | |
informiert sind, ist leider normal. Das rückt den Zensus nicht in ein | |
schiefes Licht. | |
Zeh: Es geht ja nicht nur darum, dass Detailkenntnisse fehlen. Ich glaube, | |
dass viele Leute überhaupt nichts über den Zensus wissen. Denen würde ich | |
am liebsten zurufen: Seid nicht so schlaff! Verteidigt eure Würde! Die | |
Daten gehören euch! | |
Sie wollen zum Volkszählungsboykott aufrufen? | |
Zeh: Wenn ich etwas mehr revolutionäre Energie hätte, würde ich das machen. | |
Aber das entspricht nicht meinem Naturell. Sich zu verweigern, kann nur | |
jeder für sich entscheiden. | |
Herr Wagner, schicken Sie doch bitte auf jeden Fall einen Volkszähler bei | |
Frau Zeh vorbei - allein damit wir erfahren können, ob sie wirklich ein | |
Bußgeld riskiert. | |
Wagner: Das kann ich nicht beeinflussen. Das wird allein dem statistischen | |
Zufall überlassen. | |
8 May 2011 | |
## AUTOREN | |
Wolf Schmidt | |
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