| # taz.de -- Debatte Atomkatastrophe: Japans große Einsamkeit | |
| > War es das an Hilfe? Müssen die Japaner und ihre Regierung mit dem GAU | |
| > allein fertig werden? Ein Plädoyer für mehr internationalen Beistand. | |
| Eben noch waren die Helfer aus aller Welt in Japan. Mindestens 91 Länder | |
| schickten Rettungsteams, um aus den Trümmern von Erdbeben und Tsunami | |
| Menschen zu bergen. Japan nahm die Helfer mit offenen Armen auf, anders als | |
| nach vorherigen Erdbebenkatastrophen. Auf einmal war das Land kein | |
| einsames, exotisches Inselreich mehr, es war Teil der Weltgemeinschaft, es | |
| litt, aber nicht allein. | |
| Inzwischen reisen die Helfer wieder ab. Auch weil die Regierungen, die sie | |
| schickten, um ihre Sicherheit besorgt sind. Das geht in Ordnung. Japan | |
| braucht jetzt keine Trümmerspezialisten mehr. | |
| Aber die Katastrophe dauert an, ja, sie weitet sich mit jedem Tag, an dem | |
| die beschädigten Atomkraftwerke in Fukushima große Mengen Radioaktivität | |
| freigeben, aus. Schon meldet die französische Atomsicherheitsbehörde IRSN, | |
| dass in Fukushima bereits 10 Prozent der in Tschernobyl frei gewordenen | |
| Radioaktivität in die Atmosphäre abgegeben wurden. | |
| Man ist also gut informiert. Aber wo bleiben jetzt die internationalen | |
| Helfer? Alle Welt lobt den todesmutigen Einsatz der japanischen Feuerwehr | |
| und anderer Nothelfer vor Ort in Fukushima. Auch einige amerikanische | |
| Militärs, so hört man, scheuen sich nicht, ihr Leben zu riskieren. | |
| Beobachter der Internationalen Atomenergiebehörde in Wien (IAEO) sind nach | |
| langem Zögern nach Tokio gereist. War's das? Sollen die Japaner nun im | |
| Großen und Ganzen mit dem GAU allein fertigwerden? | |
| ## Ein selbstkritischer Premier | |
| Kein Mensch dürfte dieser Tage so allein mit seinen Entscheidungen sein wie | |
| der japanische Premierminister Naoto Kan. Für alles, was jetzt in Fukushima | |
| passiert, trägt er die letzte Verantwortung. Auf ihn fällt bereits zurück, | |
| dass er sich am vorvergangenen Samstag mehrere Stunden lang mit den | |
| Gegenargumenten seiner Atommanager aufhielt, als er bereits die Notkühlung | |
| mit Meerwasser des defekten Reaktors 1 in Fukushima Daiichi angeordnet | |
| hatte. | |
| Doch die Atommanager wollten den Reaktor retten, der durch das Meerwasser | |
| für immer außer Betrieb gesetzt sein würde. Kan hätte ihnen gar nicht | |
| zuhören sollen. Dann wäre es vielleicht nicht zu der Wasserstoffexplosion | |
| im Gebäude von Reaktor 1 am Samstagnachmittag gekommen. | |
| Aber mit wem kann Kan jetzt seine Lage, seine Entscheidungsoptionen | |
| diskutieren? Wer lehrt ihn in kurzer Zeit das Handwerk einer Atomkrise? Wer | |
| erklärt ihm die Grenzen im Denken seiner Atommanager, über die er sich | |
| hinwegsetzen muss? Bestimmt nicht japanische Bürokraten. | |
| Seinesgleichen in aller Welt ist gefragt. Doch statt sich in Kans Lage zu | |
| versetzen, reiste US-Präsident Barack Obama am Wochenende wie geplant nach | |
| Südamerika. Statt in Fukushima auch eine Herausforderung für die westlichen | |
| Regierungen zu erkennen, beschäftigten sich die Führungen der meisten | |
| G-7-Länder am Wochenende fast ausschließlich mit Libyen. Es schien, als sei | |
| Japan wieder das, was es immer war: ein einsames, exotisches Inselreich. | |
| "Es gibt keinerlei Anlass zu Optimismus", waren bis zum Sonntag Kans letzte | |
| öffentliche Worte zu Fukushima. Nahm ihn etwa keiner mehr beim Wort? | |
| Die deutsche Bundeskanzlerin hätte am Wochenende ihren nuklearen | |
| Sicherheitsstab um sich versammeln sollen, sich mit ihren Experten die | |
| Situation in Japan vergegenwärtigen und dann ihre besten Ratschläge an Kan | |
| übermitteln sollen. Dann hätte Deutschlands Enthaltung im | |
| Weltsicherheitsrat mehr Sinn gemacht, dann hätten die Deutschen der Welt | |
| gezeigt, dass sie sich an anderer, vielleicht sogar entscheidenderer Front | |
| für die Weltgemeinschaft einsetzen. | |
| Zugegeben, es ist nicht immer leicht, den Japanern als Westler Ratschläge | |
| zu erteilen. Es gibt in Japan Menschen, die ausländischen Rat grundsätzlich | |
| ablehnen. Doch heute muss die Welt wissen: Das sind nicht diejenigen, die | |
| gerade Japan regieren. | |
| Japan hatte in seiner Nachkriegsgeschichte wohl noch nie einen | |
| intellektuell und politisch so weltoffenen und selbstkritischen Mann wie | |
| Naoto Kan an der Spitze. | |
| Das Gleiche gilt für den amtierenden Wirtschafts- und Industrieminister | |
| Banri Kaieda, der jetzt das wichtigste Ministerium in der Fukushima-Krise | |
| leitet. Beide entstammen der bürgerlich-liberalen Alternativszene Tokios, | |
| sind nicht Kinder jener typischen, einheimischen Politdynastien, die kaum | |
| über den eigenen Tellerrand hinausblicken konnten. | |
| Kan und Kaieda ist Kritik aus dem Ausland durchaus zuzumuten. Im Gegenteil, | |
| man kann davon ausgehen, dass beide, wo möglich und nötig, diese Kritik als | |
| Waffe gegen die in Japan gegenüber der Politik übermächtige Bürokratie | |
| einsetzen könnten. | |
| ## Das richtige Maß finden | |
| Aber nicht nur die japanische Politik ist derzeit alleingelassen, sondern | |
| auch jene mächtige Tokioter Bürokratie samt den AKW-Betreibern von | |
| Fukushima. Statt den Betreibern der Firma Tepco (Tokyo Electric Power | |
| Company) beizuspringen, wendet sich die internationale Atomgemeinde | |
| erschrocken von ihnen ab. Oder hat man von Areva- oder | |
| General-Electric-Leuten gehört, die jetzt ihren Tepco-Kollegen helfen? | |
| Mit schlechtem Beispiel gingen vergangene Woche Experten der IAEA voran. | |
| Statt sofort nach Tokio zu reisen, ließen sie die Welt erst einmal wissen, | |
| was Tepco nach Erdbeben in der Vergangenheit alles falsch gemacht hatte. | |
| Produktiv wäre es gewesen, ihnen vor Ort ohne öffentliche Kritik zu sagen, | |
| was sie jetzt besser machen können. | |
| Natürlich ist es schwierig, das richtige Maß an Kritik zu finden. Die | |
| nuklearen Aufsichtsbehörden sowohl in Frankreich als auch in den USA | |
| wählten Stufe 6 der bis Stufe 7 reichenden IAEA-Skala zur Bewertung des | |
| Fukushima-Unfalls. Die japanische Atombehörde Nisa geht dagegen bisher nur | |
| von einem Unfall der Stufe 5 aus, ähnlich wie in Three Mile Island. | |
| Damit erliegt Nisa ganz offensichtlich dem Versuch der Verharmlosung. Umso | |
| wichtiger ist es, dass die amerikanischen und französischen Atomaufpasser | |
| widersprechen. Aber vielleicht ist es besser, sie tun es mit einer anderen | |
| Unfallbewertung als mit Kritik in der Öffentlichkeit. | |
| Nur gilt für alle: Hilf, wer kann! Das ist bisher in den höchsten Etagen | |
| der westlichen Politik ebenso wie in der Atomwirtschaft nicht der Fall. | |
| Japan braucht in der Atomkatastrophe mehr internationalen Beistand. | |
| 21 Mar 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Georg Blume | |
| ## TAGS | |
| Fukushima | |
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