# taz.de -- Krisenbewältigung in Japan: "Wir sind doch Samurai" | |
> Die japanischen Behörden sind mit der Bewältigung der Dreifachkatastrophe | |
> überfordert. Nun helfen zahlreiche Privatinitiativen. | |
Bild: Aufräumarbeiten in Ofunato. | |
OSAKA taz | Die Dreifachkatastrophe hat in Japan einen Tsunami der | |
Hilfsbereitschaft ausgelöst. Aus dem ganzen Land machen sich Freiwillige | |
auf, um im Beben- und Tsunami-Gebiet den Überlebenden zu helfen. | |
Vor dem durch einen Feiertag am Montag verlängerten Wochenende schwoll der | |
Strom weiter an. Auch viele Angehörige warten nicht mehr auf Nachrichten | |
von Vermissten, sondern suchen selbst in den Notunterkünften nach Kindern, | |
Eltern und Partnern. Als besonders effektiv erweist sich ein Netz privaten | |
Hilfsorgruppen, das nach Kobe-Erdbeben 1995 entstand. | |
Drei Mitarbeiter des "Zentrums für Erdbebenhilfe" in Kobe trafen schon am | |
Tag nach dem Beben in Natori in der am schwersten verwüsteten Präfektur | |
Miyagi ein und verteilten Nahrung an Überlebende. Zwei Tage später schlugen | |
sie ihre Basis in einer Turnhalle in Minami-Sanrikucho auf und versorgen | |
Evakuierte aus der Gefahrenzone des Nuklearkomplexes Fukushima. "Wir haben | |
nicht genug Essen, Strom und Wasser", erklärt der 43-jährige Masamichi | |
Yoshitsubaki. | |
Beim "Japanischen Freiwilligen-Netzwerk" in der Präfektur Hygo melden sich | |
täglich neue Freiwillige, die Hilfsgüter verteilen wollen. Das Netzwerk hat | |
seine Basis in der nordwestlichen Präfektur Niigata aufgebaut, um von dort | |
Notunterkünfte zu versorgen. Benzinmangel behindert aber die Arbeit. "Wir | |
haben keine Zeit zu verlieren", sagt Leiter Hironobu Teramoto. | |
## Überlebende werden evakuiert | |
In Sendai, der einzigen Millionen-Stadt im Tsunami-Gebiet, richtete die | |
Stadtverwaltung einen Treffpunkt für Freiwillige in einer Turnhalle ein. | |
Hunderte Freiwillige kümmern sich seitdem um zehntausende Obdachlose. Auch | |
aus Tokio trafen bald Helfer ein. "So viele alte Menschen haben die Grenze | |
ihrer körperlichen Belastbarkeit erreicht", sagt Hideo Watanabe von der | |
Hilfsorganisation ADA, die in Sendai Suppe ausgibt. | |
Viele Überlebende sollen bald in andere Landesteile evakuiert werden. Die | |
sieben Präfekturen in der Region Kansai mit der Metropole Osaka wollen | |
mindestens 10.000 Menschen aufnehmen. Sie sollen in ihren bisherigen | |
Gruppen zusammenbleiben und werden von der Armee und privaten Gruppen | |
transportiert. "Wir können ihnen eine gute Umgebung für die Versorgung mit | |
Medikamenten und Nahrung bieten", erklärte Osakas Gouverneur Toru | |
Hashimoto. Auch dafür stehen viele freiwillige Helfer bereit. | |
"Sie brauchen bestimmt warmen Reis", sagt eine Frau in Saitama nördlich von | |
Tokio. Auch dort sollen Bebenopfer untergebracht werden. Die große | |
Hilfsbereitschaft ist die notwendige Ergänzung zu den staatlichen | |
Maßnahmen. Zwar ist Japan so gut wie kein anderes Land auf Beben und | |
Tsunami vorbereitet. Doch das Ausmaß dieser Katastrophe ist einfach zu | |
groß. | |
In der Provinz Iwate fühlten sich die Menschen hinter einer zehn Meter | |
hohen Schutzmauer sicher. Doch der Tsunami überwand die gewaltige Mauer | |
mühelos und verschlang noch im vierten Stock des städtischen Krankenhauses | |
Patienten in ihren Betten. Und kein Katastrophenplaner hatte bedacht, | |
Depots mit Treibstoff anzulegen, weil Erdbebenschäden normalerweise relativ | |
begrenzt auftreten. | |
## Schwierige Hilfe aus dem Ausland | |
Doch jetzt stapeln jetzt Hilfsgüter vielerorts, weil Treibstoff zum | |
Verteilen fehlt. Viele Japaner werden deshalb selbst aktiv. Vor allem Alte | |
und Bedürftige sind darauf angewiesen. In Karakuwa schleppen Schüler Wasser | |
in Eimern in die Notunterkünfte, deren Leitungen nicht funktionieren. "Wir | |
sind doch Samurai", erklärt ein Helfer im Fernsehen. Ein Anwohner spendete | |
einer Schule einen großen Reiskocher. Der Fischer Hiroyuki Nakamura aus | |
Kuwagasaki fährt jeden Tag aufs Meer und ernährt die Obdachlosen in der | |
Grundschule seines Heimatortes mit Kabeljau. | |
Auch Firmen helfen. Konzerne wie Sony, Toyota, Nintendo und Canon spendeten | |
jeweils umgerechnet 2,6 Millionen Euro und umfangreiche Sachhilfen, | |
darunter 30 000 batteriegetriebene Radios, 4 000 Solar-Laternen und eine | |
halbe Million Batterien. Japans größte Fluggesellschaft All Nippon Airways | |
befördert bis Mitte April alle Hilfsgüter und Rettungskräfte kostenlos. | |
Auch kleine Firmen geben viel, ein Videospiele-Produzent etwa einen | |
Monatsumsatz von 4,5 Millionen Euro. | |
Trotz des großen Bedarfs wird ausländische Hilfs nur begrenzt angenommen. | |
Eine Ursache ist die aufwendige Betreuung für Ausländer, die weder | |
Japanisch verstehen noch Ortskenntnisse haben. Bevorzugt werden | |
Organisationen mit japanischen Partnern. Auch Nationalstolz spielt eine | |
Rolle. "Wir können und wollen unsere Probleme selbst lösen", sagt ein | |
Mitarbeiter des Roten Kreuzes Japan. Tatsächlich gibt es inzwischen ein | |
neues nationales Zusammengehörigkeitsgefühl. | |
20 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Martin Fritz | |
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