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# taz.de -- Krieg in Libyen: Bomben auf Tripolis, Streit in Brüssel
> Das UN-Bündnis fliegt weiter Luftangriffe gegen libysche Ziele. Jetzt
> streiten die Nato-Mitglieder, ob sie von den USA die Einsatzführung
> übernehmen sollen. Vor allem die Türkei sperrt sich.
Bild: Die libyischen Rebellen fühlen sich bestärkt durch die UN-Luftangriffe.…
BRÜSSEL/NEW YORK dapd/dpa/rtr/afp | Wenige Tage nach dem Beginn des
Einsatzes gegen Libyens Machthaber Muammar el Gaddafi sind unter
NATO-Mitgliedern Forderungen nach einer Koordination durch das
Militärbündnis lauter geworden. Italiens Außenminister Franco Frattini
sagte am Montag, ansonsten könne das Land seine Luftwaffenstützpunkte nicht
länger zur Verfügung stellen.
Frattini sagte, die NATO müsse "die Initiative ergreifen". Anders als
bisher müssten alle Bündnismitglieder über das Vorgehen ihrer Partner
informiert werden. Die norwegische Verteidigungsministerin Grete Faremo
wies sechs von ihrem Land im Mittelmeer stationierte Flugzeuge an, am Boden
zu bleiben, bis "eine Kommandostruktur" geschaffen worden sei.
Frankreich wollte ursprünglich die Führung im Libyen-Krieg an sich reißen,
inzwischen ist aber auch die Regierung in Paris dazu bereit, die NATO mit
ins Boot holen. Außenminister Alain Juppé gab allerdings zu Bedenken, dass
die arabischen Staaten einen Einsatz unter Führung der NATO ablehnten.
Einen NATO-Einsatz blockiert aber auch der Bündnispartner Türkei - aus
Ärger darüber, dass Ankara von Frankreich nicht zum Libyen-Gipfel am
Wochenende eingeladen wurde. Ohne Zustimmung der Türkei kann die NATO weder
das Oberkommando des Einsatzes übernehmen noch die Durchsetzung der
Flugverbotszone über Libyen in die Hand nehmen.
Die internationalen Truppen wollen die Durchsetzung des Flugverbots in
Libyen nach Angaben der US-Streitkräfte bald bis auf die Hauptstadt
Tripolis ausweiten. Der US-Kommandeur für Afrika, General Carter Ham,
erklärte am Montag, er gehe davon aus, "dass sich die Flugverbotszone bald
bis Brega, Misrata und dann Tripolis erstreckt". Die Zone werde dann "etwa
1.000 Kilometer" abdecken.
## Westerwelle betont erneut: Deutschland beteiligt sich nicht
Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) bekräftigte, dass sich
Deutschland nicht militärisch an dem Einsatz beteiligen werde. Die
Bundesregierung trieb jedoch den zur Entlastung ihrer Verbündeten gedachten
deutschen Einsatz von AWACS-Aufklärungsflügen in Afghanistan voran.
Angestrebt würden Beschlüsse von Kabinett und Bundestag noch in dieser
Woche, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).
## Weiter Angriffe auf Stellungen der libyschen Armee
Am Abend wurde dem libyschen Fernsehen zufolge die Hauptstadt Tripolis zum
Ziel neuer alliierter Luftangriffe. In der Stadt war nach Einbruch der
Dunkelheit das Feuer von Flugabwehrgeschützen zu hören. Reporter mehrerer
Nachrichtenagenturen berichteten, sie hätten eine Explosion in Tripolis
gehört. Damit begann die dritte Nacht alliierter Luftangriffe gegen Libyen.
Zuvor hatten die USA nach Militärangaben zwölf Marschflugkörper auf
Luftabwehrstellungen, Kommandozentralen und Abschussbasen in Libyen
abgefeuert.
Nach eigenen Angaben hatte die Militärallianz in der Nacht zum Montag ein
Kommandozentrum der libyschen Armee in der Hauptstadt Tripolis zerstört,
das sich in einer Residenz Gaddafis befand. Ein libyscher
Regierungssprecher sprach von einer "barbarischen Bombardierung, die
hunderte Zivilisten hätte treffen können".
Dem Pentagon zufolge wurde die libysche Flugabwehr bereits "stark
geschädigt". Washington, Paris und London bezeichneten den bisherigen
Einsatz als "erfolgreich". Pentagon-Sprecher William Gortney sagte, es gebe
"keine Anzeichen" für zivile Opfer. Erstmals waren auch spanische,
belgische und kanadische Kampfjets im Einsatz.
Gaddafi-treue Einheiten, deren Vormarsch auf die Rebellenhochburg Bengasi
durch die Militärallianz gestoppt wurde, nahmen in der weiter südlich
gelegenen Stadt Adschdabija erneut Aufstellung. Hunderte Rebellen
versammelten sich vor Adschdabija, um die Stadt zurückzuerobern. Kämpfe gab
es auch um die Städte Sintan und Jefren südwestlich von Tripolis. In
Misrata töteten Gaddafis Truppen nach Rebellenangaben 40 Menschen, weitere
300 hätten Schussverletzungen erlitten.
Laut einer Meldung der staatlichen Nachrichteagentur Jana will der Diktator
bei einem "grünen Marsch" auf Bengasi Tausende Anhänger nach Bengasi, in
die größte von Rebellen gehaltene Stadt, schicken.
Nach Berichten von Oppositionellen und arabischen Medien soll Chamies
al-Gaddafi, ein Sohn des Machthabers, Opfer eines Kamikaze-Piloten geworden
sein. Er sei an den Folgen schwerer Brandverletzungen gestorben, nachdem
ein Deserteur der libyschen Luftwaffe mit seinem Kampfjet absichtlich auf
den Stützpunkt Bab al-Asisija stürzte.
An den Grenzen zu Libyen kommen nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks
UNHCR seit dem Eingreifen des Westens weniger Flüchtlinge an. Allerdings
steige innerhalb des Landes die Flüchtlingszahl.
## Washington will Hauptverantwortung abgeben
US-Verteidigungsminister Robert Gates erklärte, Washington erwarte,
"innerhalb weniger Tage den Fall in die hauptsächliche Verantwortung
anderer zu legen." Die USA, die seit Samstag die meisten Angriffe gegen
Stellungen Gaddafi-treuer Truppen geflogen haben, wollten die Koalition
weiterhin militärisch unterstützen. Sie würden "aber nicht die Hauptrolle
spielen", sagte Gates.
Das machte auch US-Präsident Barack Obama deutlich, der am Montag zu einem
Besuch in Chiles Hauptstadt Santiago weilte. "Wie schnell diese Übertragung
(des Kommandos) möglich sein wird, hängt von der Einschätzung unserer
kommandierenden Offiziere ab, dass die erste Phase des Einsatzes
abgeschlossen ist", sagte er. In der zweiten Phase werde dann die
humanitäre Hilfe im Mittelpunkt stehen. "Wir gehen davon aus, dass diese
Übergabe (des Kommandos) eher in Tagen als in Wochen stattfinden wird. Ich
erwarte auch, dass wir in den kommenden Tagen über mehr Informationen
verfügen werden, und dass das Pentagon die Bürger Amerikas und die Presse
in dieser Angelegenheit informieren wird."
US-Präsident Barack Obama sprach sich auch für eine Entmachtung Gaddafis
aus. Das militärische Vorgehen der USA sei dennoch ausschließlich darauf
ausgerichtet, die Zivilbevölkerung zu schützen und eine humanitäre
Katastrophe in Libyen zu verhindern, betonte er.
General Carter Ham, Chef des US African Command in Stuttgart erklärte, Ziel
der USA und der Koalitionstruppen sei nicht die Unterstützung der libyschen
Rebellen. Es gehe vielmehr um den Schutz von Zivilisten in dem
nordafrikanischen Land. "Wir schützen Zivilisten... Wir haben keinen
Militäreinsatz, die Opposition zu unterstützen", sagte er. Dies gelte
konkret für die Auswahl der Ziele für Koalitions-Angriffe. Zugleich warnte
der General vor libyschen Terroranschlägen in Afrika und in westlichen
Ländern. Die Flugverbotszone werde weiter in Richtung Tripolis ausgeweitet.
## Putin kritisiert Militäreinsatz
Der russische Ministerpräsident Wladimir Putin äußerte scharfe Kritik an
dem Militäreinsatz gegen Gaddafi. Die den Angriffen vorausgegangene
UN-Resolution erinnere ihn an einen "mittelalterlichen Aufruf zum
Kreuzzug", sagte Putin. Russland hatte sich bei der Abstimmung im
Weltsicherheitsrat enthalten.
## Sondersitzung des UN-Sicherheitsrates
Wegen der Luftangriffe auf Libyen ist der Sicherheitsrat der Vereinten
Nationen am Montag zu einer Sondersitzung zusammengetreten. Der libysche
Außenminister Mussa Kussa hatte das mächtigste Gremium der UN am Samstag
"wegen einer äußeren Verschwörung" gegen die "große Republik Libyen"
angerufen. Grundsätzlich hat jedes der 192 UN-Mitglieder das Recht, eine
Sondersitzung des Sicherheitsrates zu beantragen. Es liegt an den 15
Ratsmitgliedern, darunter in diesem und im nächsten Jahr auch Deutschland,
über den Antrag zu entscheiden. Den Vorsitz hat in diesem Monat China.
Der Sicherheitsrat hatte die Luftschläge am Donnerstag autorisiert. Erlaubt
sind alle militärischen Maßnahmen außer Bodentruppen - solange es dem
Schutz von Zivilisten dient. Deshalb können auch Angriffe auf
Fahrzeugkolonnen oder Kampfpanzer von der Resolution gedeckt sein.
Deutschland hatte sich, ebenso wie China, Russland, Indien und Brasilien,
der Stimme enthalten und will auch nicht in die Kämpfe eingreifen.
An dem Einsatz in Libyen beteiligen sich inzwischen auch Katar und die
Vereinigten Arabischen Emirate, wie der Generalsekretär des
Golfkooperationsrates, Abdul Rahman Hamad al Attijah am Montag bestätigte.
## EU friert Vermögen ein
Auch von der EU kommt trotz erheblicher Meinungsverschiedenheiten
mittlerweile geschlossene Unterstützung. In Brüssel beschlossen die
EU-Außenminister, das Vermögen von elf Vertretern der libyschen Führung
sowie von mehreren Banken und Unternehmen in der EU einzufrieren. Außerdem
wird Gefolgsleuten Gaddafis die Einreise verwehrt. Westerwelle forderte
zudem ein Ölembargo, um Einnahmen Gaddafis aus dem Ölgeschäft zu
unterbinden.
21 Mar 2011
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