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# taz.de -- Flüchtlinge aus Libyen: Auf der Flucht und vor dem Nichts
> Hunderttausende sind bereits vor Gaddafis Gewalt geflohen. Jetzt kommt
> der Krieg dazu. Dramatisch ist die Lage vieler Migranten aus Afrika
> südlich der Sahara.
Bild: 330.000 Menschen sind seit Ende Februar aus Libyen geflohen: Ghanaer an d…
BERLIN taz | Knapp 330.000 Menschen sind seit dem 22. Februar aus Libyen
geflohen. Die internationalen Luftangriffe gegen Gaddafis Militär seit dem
Wochenende ändern daran zunächst nichts. Im ostlibyschen Rebellengebiet
bringen sich die Menschen weiterhin vor Gaddafis Angriffen in Sicherheit,
und aus ganz Libyen fliehen die aus Afrika südlich der Sahara stammenden
Zuwanderer.
Nach der Zählung des Amts für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten
der UN (OCHA) sind seit dem 22. Februar rund 165.000 Menschen aus Libyen
nach Tunesien geflohen, rund 140.000 nach Ägypten und jeweils rund 10.000
nach Algerien und Niger. Ägypter stellen das größte Flüchtlingskontingent,
aber zahlreiche afrikanische und asiatische Länder sind vertreten.
Mit über 250 Flügen haben Hilfswerke wie die Internationale Organisation
für Migration (IOM) und das UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) bislang
56.000 aus Drittländern stammende Libyen-Flüchtlinge in ihre Heimatländer
repatriiert. Über die Hälfte davon stammt aus Bangladesch, der Rest vor
allem aus Tschad, Mali, Ghana, Niger, Nigeria, Vietnam oder den
Philippinen. Dazu kommen noch Ägypter im Westen Libyens, die über Tunesien
ausreisten.
Mehrere tausend Menschen sitzen im Niemandsland zwischen den libyschen und
den ägyptischen beziehungsweise tunesischen Grenzposten fest. So können
rund 2.000 Tschader, die aus dem Rebellengebiet im Osten Libyens fliehen
wollen, die Grenze zu Ägypten nicht überqueren: Die Rebellen halten sie für
Gaddafi-Söldner, da Libyens und Tschads Regierungen eng zusammenarbeiten.
An Libyens Westgrenze nach Tunesien haben Gaddafis Truppen ihre Präsenz
verstärkt und halten Flüchtende fern; unweit der Grenze laufen Angriffe
gegen Aufständische in den Bergen.
## Täglich fliehen Tausende
Das UNHCR arbeitet derzeit nach eigenen Angaben auf der Grundlage, dass
jeden Tag 1.500 bis 2.500 weitere Flüchtlinge Libyen verlassen. Dies würde
Repatriierungs- und Hilfskosten von 1,6 bis 3,2 Millionen Dollar pro Tag
bedeuten, heißt es im jüngsten UNHCR-Lagebericht - eine beträchtliche
Summe, sollte die Krise andauern. Am 7. März hatte OCHA international um
160,3 Millionen Dollar für die Versorgung von bis zu 400.000
Libyen-Flüchtlingen sowie 600.000 weiteren Hilfsbedürftigen innerhalb
Libyens gebeten. Dieser Appell ist derzeit zu rund zwei Dritteln
finanziert.
Doch die Flüchtlingszahlen steigen schneller als von der UNO vorgesehen,
weil der Krieg die Menschen weiter verunsichert. Allein am Sonntag
überquerten laut UNHCR 3.000 Menschen die libysche Grenze nach Ägypten und
1.800 die nach Tunesien. Anders als früher sind jetzt die Mehrzahl der
Ankömmlinge in Ägypten Libyer. Sie berichten, dass tausende weitere in
umkämpften Städten ihre Heimat verloren hätten. "Sie sagen, dass sie Angst
haben, nach 16 Uhr auf die Straße zu gehen; manche haben gesehen, wie ihre
Häuser verbrannten", sagte ein UNHCR-Sprecher am Dienstag in Genf. Am
Mittwoch soll ein UN-Hilfskonvoi aus Ägypten nach Bengasi starten.
## Sie bekommen keine Lebensmittel
Eine UN-Befragung von Libyen-Flüchtlingen in Tunesien, deren Ergebnisse
jetzt veröffentlicht wurden, brachte Erschreckendes aus dem Gaddafi-Gebiet
zutage. 80 bis 90 Prozent der fliehenden Migranten hatten demzufolge in
Libyen erlebt, dass ihnen Händler keine Lebensmittel mehr verkaufen. Die
Lebensmittelpreise seien ohnehin explodiert, präzisiert das
UN-Welternährungsprogramm (WFP): Brot plus 110 Prozent, Reis plus 88
Prozent, Speiseöl plus 58 Prozent. Ausländer bekämen keine medizinische
Versorgung. Auf dem Weg von Tripolis zur tunesischen Grenze werde den
Menschen an Straßensperren gewaltsam ihr gesamter Besitz abgenommen.
Immer mehr Flüchtlinge landen jetzt sogar im bitterarmen südlichen
Nachbarland Niger, früher wichtigstes Transitland für Schwarzafrikaner auf
dem Weg nach Norden. In der 4.000 Einwohner zählenden Wüstenstadt Dirkou
strandeten laut IOM allein am Wochenende 4.900 afrikanische
Libyen-Flüchtlinge; weitere 70 überfüllte Lastwagen seien aus Libyen
unterwegs.
Ein für Europa besonders brisanter Fluchtpunkt ist die italienische
Mittelmeerinsel Lampedusa vor der tunesischen Ostküste. Hier sind dieses
Jahr bereits über 15.000 Flüchtlinge gelandet, die meisten davon aus
Tunesien unmittelbar nach dem dortigen Umsturz im Januar. Seit einigen
Tagen nimmt die Zahl erneut rapide zu.
23 Mar 2011
## AUTOREN
Dominic Johnson
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