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# taz.de -- Nach der Anti-AKW-Bewegung: Einfach abschalten und fertig?
> Der Kampf gegen Atomkraft ist eine schichtenübergreifende Sache. Aber was
> passiert, wenn dieses Großthema keines mehr ist? Wird es neue, gemeinsame
> Themen gaben?
Bild: Widerstand im Kinderwagen: Doch wogegen kann sie in 30 Jahren demonstrier…
Sven Gábor Jánszky hat einen sehr besonderen Utopiegarten. Wenn der
38-Jährige zum "Zukunftskongress" in den Schlosspark Destedt zwischen
Braunschweig und Wolfsburg lädt, folgen ihm Innovationsmanager,
Abteilungsleiter und Chief Executive Officer von Unternehmen wie Nokia oder
Volkswagen ins Palmenhaus hinter den Herrenhäusern in der Lindenallee.
"Deutschlands innovativster Trendforscher", wie sich Jánszky selbst sieht,
leitet, wie er erzählt, aus Krisen gern Potenzial ab. "Für die Wirtschaft
sind soziale Brüche eine Frage von Zielgruppen", sagt er. Und die Frage des
Tages lautet: Ist es denkbar, dass einer ganz spezifischen Zielgruppe
demnächst eine stattliche Krise bevorstehen könnte?
25 Jahre ist Tschernobyl her, Fukushima erst ein paar Wochen. Und weil
feststeht, dass die Atomenergie in Deutschland ein Auslaufmodell ist,
stellt sich auch die Frage: Was wird eigentlich aus der Anti-Atom-Bewegung,
wenn die Reaktoren nicht mehr arbeiten? Um welche Themen wird sich die
gesellschaftliche Auseinandersetzung um Energie drehen, wenn Fukushima ein
Vierteljahrhundert zurückliegt?
"Konflikte werden in 25 Jahren nichts mehr mit Energie zu tun haben",
glaubt Jánszky. "Die Großkonzerne müssen nicht mehr zu den regenerativen
Energien gezwungen werden. Sie haben ihre Geschäftschancen dort schon
erkannt." Geht es nach dem "Trendforscher", könnte die Antwort kaum näher
liegen. "Dann werden wir eine zentrale Versorgung mit regenerativen
Energien haben. Und die Energiezentralen sind die Solarwüsten in Nordafrika
und die Offshore-Windparks auf hoher See." Atomkraftwerke aus - alles gut?
## Zentrale Macht oder Macht der Dezentralen
Ein bisschen hat Jánszky ja recht. Die Frage der Zukunft, sie ist, leider,
eine jahrhundertealte. Sie lautet: Wer wird künftig die Macht haben, über
die entscheidenden Ressourcen zu verfügen?
Jörg Rohwedder, gelernter Sparkassenkaufmann, Jahrgang 1968, hat einen
Utopiegarten, der allerdings mit dem von Jánszky nicht das Geringste zu tun
hat.
Rohwedder ist Geschäftsführer der Bewegungsstiftung im Öko-Haus in Verden
an der Aller. Da sitzt die Stiftung, die politische Aktivistinnen und
Aktivisten im ganzen Land mit Geld unterstützt, im Kampf für eine bessere
Welt. Er meint: "Natürlich, werden die Ernergiekonzerne versuchen, die
zentrale Verfügungsgewalt über die Ressourcen zu erhalten. Doch diese
Verfügungsgewalt gehört in die Hände der Menschen, in die Kommunen vor Ort,
in die Regionen. Darum wird es in Zukunft gehen - dass über
Ressourcenfragen wieder vor Ort mitbestimmt werden kann."
Auch Achim Brunnengräber hält diese Frage für die entscheidende. Der
Politikwissenschaftler hat gerade ein Buch veröffentlicht. Das Thema: die
Zivilgesellschaft der Zukunft und soziale Bewegungen im globalen Raum. Und
das heißt für ihn: im lokalen Raum. "Es wäre eine wunderbare Vision", sagt
er, "wenn soziale Bewegungen die Großthemen wieder aus den Augen verlieren
könnten, weil die politischen Zentralen einer lokal wie regional
angemessenen Politik gewichen sind."
## Ende der großen Themen und Erzählungen
Rohwedder und Brunnengräber träumen von einer demokratischen Kultur der
Region, von einer Partizipationspolitik in den Orten, von Kommunen, die
autark handeln - und von Menschen, die sich nicht mehr in der
Bundeshauptstadt beweisen müssen.
Eine Utopie, die vielleicht noch den Kampf gegen Atommüll-Endlager kennen
wird, aber nicht mehr den Kampf gegen Atomkraftwerke in Deutschland. Ein
Ende der großen Konflikte, der großen Erzählungen.
Und siehe da: In Stuttgart hat der protesterprobte Aktivist Gangolf Stocker
jahrelang an der Regionalisierung der Politik gearbeitet. In zäher
Kleinarbeit hat er Tausende angesprochen, hat so lange Überzeugungsarbeit
geleistet, bis eine Bewegung entstand, die Stadt und Land erschütterte. In
Stuttgart wollen sie nun Foren auf dem Marktplatz errichten, wo jeder über
politische Themen mitreden soll. Ganz so wie im alten Athen. Das wäre doch
mal ein Anfang.
Doch Moment mal: Schon in Athen hatten doch nur jene Männer von Stand eine
Stimme. Und können die Kommunen nicht auch zu Orten der Verhinderung
werden, in denen ökologische Fragen schnell zu sozialen Fragen werden?
Könnte es zum unfreiwilligen Produkt der Anti-Atom-Bewegung werden, dass
die neuen Hochspannungsnetze künftig erst recht durch die alten
Proletariergegenden führen, durch die Landstriche der Abgehängten? Das
mächtige Bürgertum mag zwar stets das Gute wollen, aber doch bitte nicht
vor der eigenen Haustür.
"In Stuttgart gehen die Akademiker auf die Straße", haben
Sozialwissenschaftler des Wissenschaftszentrums Berlin befunden. Und der
Rundumblick zeigt: In Berlin-Schönefeld demonstrieren Anwohner nicht gegen
mehr Urlaubsflüge, aber gegen den Lärm über ihren Häusern. Und in Hamburg
wurde der jahrzehntelange Kampf für ein gerechteres Schulsystem weggewischt
von einer Schar gut organisierter Konservativer, mit Kindern in den
Gewinnerbastionen der Gymnasien.
## Unter der Apokalypse geht gar nichts
Geraten die Kleinen nicht unter die Räder, wenn sie von der großen
Bildfläche verschwinden? Und ist nicht gerade die Macht, auf die Straße zu
gehen, eine, die besonders anfällig für soziale Schieflagen ist?
Die Antwort darauf ist jeden Montag am Berliner Alexanderplatz an der
Weltzeituhr zu bestaunen, wenn dort gegen Hartz IV und gegen soziale
Ausgrenzung demonstriert wird. Da kommen dann immer so eine Handvoll Leute.
Die soziale Frage, ein lästiges Abfallprodukt der Zukunft?
Hans-Rudolf Wicker, Jahrgang 1947, ist ein Mann, der das wissen könnte. Der
Sozialanthropologe von der Universität Bern hat sich lange mit sozialen
Bewegungen beschäftigt. "Die soziale Frage", sagt er, "tritt in den
Hintergrund. Den meisten Menschen geht es heute einfach besser als früher."
Für Europa gelte: "Wir leben länger und sind gesünder. Da ist wenig Platz
für existenzielle Bedrohungsszenarien."
Nein, wer in der differenzierten Gesellschaft der Zukunft noch Massen
ansprechen wolle, brauche künftig ganz andere Schreckgespenster:
"Herumschwirrende Meteoriten oder die Klimaveränderung - die Themen in 25
Jahren sind apokalyptischen Gehalts. Da geht es um alles." Die soziale
Frage hingegen, sagt Wicker, sei nun mal nicht apokalypsetauglich,
jedenfalls nicht in Europa.
Aber Wicker ist auch bescheiden. Die Zukunft, sagt er, liegt doch noch
immer im Heute. "Auch wenn die Atomkraftwerke in Deutschland stillstehen.
Die Endlagerfrage, all die anderen Kernkraftwerke weltweit - das ist Stoff
für ein weiteres Jahrhundert."
23 Apr 2011
## AUTOREN
Martin Kaul
## TAGS
Schwerpunkt Atomkraft
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