# taz.de -- Schul-Volksbegehren in Niedersachsen: Turbo-Abitur wird Wahlkampfth… | |
> Das Volksbegehren zur Abschaffung des Abiturs nach acht Jahren hat bisher | |
> nur ein Drittel der nötigen Unterschriften zusammen. Die Initiatoren | |
> sprechen dennoch von Erfolg und hoffen auf baldige Landtagswahlen. | |
Bild: Überzeugungsarbeit für ein (hessisches) Volksbegehren: In Niedersachsen… | |
HAMBURG taz | Nur noch drei Tage, dann ist am 2. Mai die vom Land gesetzte | |
Frist für das "Volksbegehren für gute Schulen" vorbei. "Wir werden die | |
erhofften 608.000 Unterschriften bis dahin wohl nicht mehr schaffen", sagt | |
Initiativensprecherin Andrea Hesse. Bei der jüngsten Sichtung im März habe | |
man rund 220.000 Stimmen zusammen gehabt. Zu wenig, um die Hürde der | |
Niedersächsischen Volksgesetzgebung zu überwinden. | |
Alle SchülerInnen auf Gymnasien und Gesamtschulen, so das Ziel, sollten ab | |
der 5. Klasse wieder neun Jahre Zeit bis zum Abitur haben. Auch sollten | |
kleinere Gesamtschulen erlaubt sein. Die Initiative war im Herbst 2009 als | |
eine Reaktion auf die Politik der CDU-FDP-Regierung entstanden, die seither | |
auch die Gesamtschulen zur Schulzeitverkürzung zwingt. | |
Auch dort soll das Abitur statt nach neun Jahren (G9) nunmehr nach acht | |
Jahren (G8) abgelegt werden. Hesse sagt: "Wir wollen den Druck rausnehmen, | |
der entsteht, weil alle Kinder zum G8 verdonnert werden." | |
Etwas Hoffnung gibt es für die Initiative, die von Elternräten aus ganz | |
Niedersachsen unterstützt wird: Noch ist eine Klage beim Niedersächsischen | |
Staatsgerichtshof offen. Zwar gibt es laut Anwalt Klaus Rosenzweig noch | |
keinen Termin, aber je nachdem, wie das Gericht entscheidet, könnte die | |
Abgabefrist um bis zu sechs Monate ab Urteilsverkündung verlängert werden. | |
Der Landeswahlleiter hat deshalb schon mal vorsorglich die Kreiswahlämter | |
angewiesen, auch nach dem 2. Mai noch Unterschriften anzunehmen. | |
Dennoch scheint das Quorum kaum überwindbar. "Für uns sind auch die 200.000 | |
Unterschriften ein großer Erfolg", sagt Hesse. Man habe mit vielen Menschen | |
Gespräche über Bildung geführt und die politische Diskussion beeinflusst. | |
"SPD, Grüne und die Linke sind auf unserer Seite." Das Thema könnte bei der | |
nächsten Landtagswahl, die Ende 2012 oder Anfang 2013 stattfinden wird, | |
eine Rolle spielen. | |
Allerdings fällt diese Unterstützung nicht eindeutig aus. Der Gesetzestext | |
des Volksbegehrens sah eine generelle Rückkehr auch der Gymnasien zum G9 | |
vor. G8, so Hesse, könnte es auf Beschluss einzelner Schulvorstände weiter | |
geben. Eine solche flexible Lösung findet bei den Grünen Zustimmung. "G8 | |
ist für viele Schüler schädlich, so lange es keine gebundenen | |
Ganztagsschulen gibt", sagt deren Bildungspolitikerin Ina Korter. | |
Die Reform überfordere viele Schüler. So hätten sich im derzeitigen | |
Abiturientenjahrgang statt üblicherweise zwei bis drei Prozent rund 18 | |
Prozent ein Jahr zurückstellen lassen. Für Korter ist das rot-grün regierte | |
Nordrhein-Westfalen ein Vorbild. Dort kehren gerade 14 Gymnasien zum alten | |
Modell zurück. | |
Die SPD ist etwas vorsichtiger. "Wir sagen entschieden, die Gesamtschulen | |
brauchen das Abitur in 13 Jahren", sagt der SPD-Bildungspolitiker | |
Claus-Peter Poppe. In der Frage, ob auch die Gymnasien zurückkehren | |
sollten, sei man eher zurückhaltend. Poppe: "Es gibt dazu keine | |
Beschlusslage." | |
Zwar gebe es Sympathien, zugleich spräche die Forderung nach einer | |
bundesweit einheitlichen Bildungspolitik gegen solche Sonderwege. | |
Die Linkspartei dagegen ist für eine generelle Rückkehr zum G9. "Das wäre | |
uns sogar lieber als eine flexible Lösung", sagt deren bildungspolitische | |
Sprecherin Christa Reichwaldt. | |
"Die Rückmeldung von allen Lehrern und Schülern ist, dass sie sehr | |
unzufrieden sind und die Schule keinen Spaß mehr macht." Es gäbe auch keine | |
überzeugende pädagogische Begründung für die Schulzeitverkürzung. | |
Allerdings glaubt auch Reichwaldt, dass diese Forderung politisch schwer | |
durchzusetzen ist. Wichtig sei vor allem die Rückkehr zum G9 an den | |
Gesamtschulen. "Für die ist das fatal, weil sie früh nach Leistung | |
differenzieren müssen, was nicht im Sinne integrativer Bildung ist." Hier | |
gehe Niedersachsen derzeit einen "Sonderweg". | |
Doch auch Korter und Reichwaldt nennen die bisherigen 220.000 | |
Unterschriften einen Erfolg. Dies sei nach der Abstimmung über ein | |
Kita-Gesetz im Jahr 2001 die zweithöchste Stimmzahl für ein Volksbegehren, | |
sagt Reichwaldt: "Will man wirklich direkte Demokratie, muss man diese | |
Hürde senken." | |
28 Apr 2011 | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Frankreich | |
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