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# taz.de -- Zum Tod Osama bin Ladens: Der Alte hinterm Berg
> Der Mann mit Turban und Zauselbart, im Schneidersitz und mit der
> Kalaschnikow – Osama bin Laden war auch eine schräge Pop-Ikone, ein
> Produkt unserer Projektionen.
Bild: Gewehre waren seine Begleiter: Osama bin Laden.
Welch eine Meldung wäre das noch vor sechs, sieben Jahren gewesen – "Osama
bin Laden von US-Spezialeinheiten getötet". Heute ist das selbst für
Nachrichtenjunkies eine Meldung, die allenfalls mit Interesse aufgenommen
wird "… ach, ja, bin Laden". Die Nachricht von seinem Tod kommt jedenfalls
Jahre zu spät, als dass sie noch große Emotionen aufwühlen oder gar
weltpolitische Wellen schlagen könnte. Einerseits.
Andererseits war Osama bin Laden die erste ikonographische Figur des neuen
Milleniums. Er war eine Ikone des Bösen: Der Mann mit Turban und dem langen
Zauselbart, der der Weltmacht USA und dem Westen den Kampf ansagt – das
Gesicht eines Massenmörders. Immerhin hat die al-Qaida, deren Gesicht er ja
war, die ikonographischen Bilder schlechthin des vergangenen Jahrzehnts
produziert: Die Bilder der Flugzeuge, die in die World-Trade-Center-Türme
jagen; die Bilder der brennenden Türme; der Menschen, die hunderte
Stockwerke tief in den Tod springen; der einstürzenden Hochbauten. Diese
Bilder sind für immer mit dem Bild von dem hageren, zottelbärtigen Mann
verbunden.
Und so war er von Beginn an mindestens so sehr, wie er eine reale Person
und der tatsächliche Führer eines Terrornetzwerkes war, auch ein Mysterium,
Produkt unserer Projektionen, eine Kunstfigur.
Seine bizarren Videobotschaften – in irgendwelchen Höhlen in Pakistan
aufgenommen, in denen bin Laden bizarre religiös-politische
Erweckungspredigten hielt, im Schneidersitz, den Turban auf dem Kopf, die
Kalaschnikow in der Hand – sie lieferten das Material für diese
Projektionen. Der Typus, der hier zu besichtigen war: Der Alte vom Berg,
der seltsam rabulistische Botschaften auf Band sprach, die man erst
entschlüsseln musste. Einer, der sich immer auch ein bisschen als
Wiedergänger des Propheten inszenierte, als spielte er das Arabien des 7.
Jahrhunderts nach. Freilich, mit Hilfe von Satellitentelefonie und
Internet. Ein Entrückter.
## Versimpelter Antiimperialismus verrührt mit Utopie
Er war nicht der Erste, der etwas versimpelten Antiimperialismus mit einer
islamisch-religiösen regressiven Utopie verrührte, aber er war der Erste,
der damit globale Bedeutung erlangte. Im Grunde beruhte seine Botschaft auf
vier Postulaten. Erstens: Die islamische Welt wird vom Westen, den
Ungläubigen, unterdrückt, ausgesaugt. Zweitens: Die islamische Welt ist
selbst korrumpiert. Drittens: Eure Welt, also die Welt der Ungläubigen und
derer, die ihnen auf den Leim gehen, ist niedrig. Viertens: Die islamische
Idealgesellschaft ist die, die der Prophet Mohammed vor 1300 Jahren
errichtet hatte.
In den Milieus entwurzelter junger Muslime von Islamabad bis Neukölln wurde
er damit zeitweise zu einem Helden, zu einer Projektionsfläche für ihr
Gefühl, zurückgesetzt zu sein. Und so war er für die einen die Ikone des
Bösen und für die anderen Posterboy von Zorn und Rebellion. Sein Gesicht
wurde zum Signifikanten, der zunehmend leer wurde und von jedem nach Wunsch
gefüllt werden konnte.
Solche Projektionen haben ihre reale Wirklichkeit, man wird ihnen nicht
Herr, indem man darauf hinweist, dass sie Imagination sind. Denn oftmals
ist nichts realer als die Imagination. Aber ebenso wahr ist, dass so starke
Emotionen, wenn sie vornehmlich auf Projektionen beruhen, ihr Verfallsdatum
schon in sich eingeschrieben haben.
## Al-Quaida als Franchise-Unternehmen
Seit Jahren hat man von Osama bin Laden nur mehr fallweise gehört, und wenn
mal wieder eine Audiobotschaft von ihm auftauchte, dann legten deswegen die
Analyseabteilungen der Geheimdienste wohl keine Nachtschicht mehr ein. In
seiner Al-Qaida-Organisation hatte ihm der biedere Doktor Ayman al-Zawahiri
längst den Rang abgelaufen. Aber die Organisation selbst war mehr ein Label
geworden, dessen Wortführer keinen großen Einfluss mehr hatten. Al-Qaida
wurde zu einem Franchise-Unternehmen, bei dem jede lokale Terrorgruppe oder
-zelle ihr Ding machte. Schaffte sie es, irgendwo eine Bombe hochgehen zu
lassen – wie gerade eben wieder in Marokko – dann wurde das, wie in der
Sprache der Nachrichtenagenturen heißt, "Al-Qaida zugerechnet".
Aber auch die Popularität der Dschihadisten hat gelitten: dass die
Terrorsekte hauptsächlich Muslime in die Luft jagte, ethnischen oder
religiösen Zwist säte und unschuldige Zivilisten tötete, trug ihr selbst
unter fundamentalistischen Muslimen mehr und mehr Gegner ein. Und sie
reagierte darauf wiederum, wie das bei allen extremistischen Sektierern der
Fall ist, mit aggressiver Feinderklärung gegen alle und jeden.
Kurzum: Osama bin Laden war unwichtig geworden. Mehr noch: Jeder wusste
das.
Die Zeit, als man in ihm einen sah, der "mit dem Westen im Krieg steht",
ist lange vorbei. Er war nicht vollends vergessen, aber doch eher einer,
der einmal Verbrechen begangen hat und nach dem deshalb immer noch gesucht
wurde.
## Bisschen viel Wilder Westen
So dass die Special-Forces-Operation, die nun zu seinem Tod führte, bei
nicht wenigen Menschen im Westen ein etwas mulmiges Gefühl auslöst. Nein,
nicht, dass man seinen Tod beweinen muss. Aber dass US-Präsident Barack
Obama sagt, "der Gerechtigkeit wurde Genüge getan", hat doch einen
eigentümlichen Zungenschlag. Hätte er gesagt: "Beim Versuch, ihn
festzunehmen wurde bin Laden bei einem Feuergefecht getötet" – okay. Aber
einfach erschießen ist eben nicht die Gerechtigkeit, die man von einer
Weltmacht der Rechtsstaatlichkeit erwartet würde wollen. Da steckt ein
bisschen zu viel Wilder Westen drin, auch für viele jener, die die Meldung
von Osamas Ende als eine gute Nachricht betrachten. Und wenn’s schon
praktisch nicht anders geht, soll man wenigstens die richtigen Worte
finden.
Aber woher kommt dieses zwiespältige Gefühl? Der Grund ist eben, dass Osama
bin Laden schon lange nicht mehr als der brandgefährliche Weltfeind Nummer
1 angesehen wurde, ja nicht einmal mehr als der Alte vom Berg, sondern eher
als der Alte hinterm Berg.
Als Faszinosum hatte er ausgedient. Aber als er noch Faszinosum war, was
war das eigentlich, das uns an dieser Figur elektrisiert hat? Womöglich war
das weniger die Faszination des Bösen, diese Angstlust, mit der man
elementare Gewalt – wie die des 11. September – eben auch zu betrachten
pflegt. Womöglich war bin Laden so eine Figur, die uns zeitweilig so
interessant vorkam, weil er auf so unbegreifliche Weise anders war, in
einer Zeit, in der alles immer ähnlicher wird.
Er war die Gegenfigur zur Ausbreitung der globalen Moderne, das letzte
Außen. Und ein wenig sah man auf ihn wie auf den Yogi oder den Guru, der
eine ganz andere Logik oder noch besser, der gar keine Logik verkörperte in
einer Welt voller Logik. Er war, als einer der sich im Schneidersitz in die
Höhle setzt und wirres Zeug murmelt, auch eine existenzialistische
Verstörung.
2 May 2011
## AUTOREN
Robert Misik
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