# taz.de -- Das Feindbild bin Laden: Osama, der Postmoderne | |
> Durch den Tod des Top-Terroristen verlieren die USA ein flexibles | |
> Feindbild. Wie gut das dem Land tatsächlich bekommen wird, muss sich erst | |
> noch zeigen. | |
Bild: Das Ende eines Feindbilds: Eine Skulptur des indischen Künstlers Sudarsh… | |
BERLIN taz | Auch wenn die martialische Rhetorik aufstößt: "Ein Sieg für | |
Amerika", wie George W. Bush das plötzliche Ende von Amerikas Staatsfeind | |
Nr. 1 in einer Erklärung nannte, ist es zweifellos. Und für die | |
amerikanische Nation mag sich mit der Tötung von Osama bin Laden auch eine | |
Wunde schließen. Wie gut den USA der Abgang dieses Schurken tatsächlich | |
bekommen wird, muss sich erst noch zeigen. Denn mit ihm verlieren sie so | |
etwas wie einen nützlichen Idioten. | |
Bin Laden, vom dem man nur verwackelte Videos kennt, dessen Gesicht so | |
ungreifbar schien wie der Dschinn in orientalischen Märchen, war immer mehr | |
ein politischer Schemen als eine real greifbare Gestalt. Das Unlesbare des | |
Netzwerkes namens Al Qaida war für den auf den Autor, auf den Täter | |
fixierten Westen nur schwer auszuhalten. Selbst seiner "größten" Tat | |
haftete etwas Unwirkliches an, schon weil sie so sehr auf das Symbolische | |
setzte. | |
Denn auch wenn der amerikanische Romancier Don DeLillo von der "strafenden | |
Wirklichkeit" sprach, die er erfuhr, als ihn das durch die Luft segelnde | |
Papier aus den Twin Towers wie Peitschenschläge traf: Von den meisten der | |
3.000 Toten fehlt bis heute jede Spur. Hin- und hergerissen von dem | |
Doppelcharakter des Anschlags zwischen Realität und Virtualität sprach Jean | |
Baudrillard damals von dem "absoluten Ereignis". Zumindest in seiner | |
Virtualität war der Schurke Bin Laden durchaus gut zu gebrauchen. Denn das | |
Bild des unfassbaren Terroristen schürte die Furcht vor ihm. | |
Schließlich konnte er wie ein Geist jederzeit und überall auftauchen. Er | |
fungierte aber auch als eine Art strategisches Dispositiv, das es den USA | |
erlaubte, es auf jeden Konfliktherd dieser Welt zu projizieren und überall | |
da einzugreifen, wo es ihnen geboten schien. Eine Projektion, die sich tief | |
ins Alltagsbewusstsein einschrieb. Kein Anschlag irgendwo in der Welt, | |
hinter dessen Meldung - scherzhaft oder nicht - nicht die Mutmaßung | |
auftauchte, Osama bin Ladens Al Qaida habe womöglich etwas damit zu tun. | |
Dessen Rolle war in der letzten Zeit zwar durch die arabischen Revolutionen | |
erheblich relativiert worden. | |
## Eilig auf hoher See beigesetzt | |
Aber diese Art von beweglichem Passepartout-Feindbild fehlt jetzt. Die | |
Gegenseite in dem zu identifizieren, was Samuel Huntington glaubte, den | |
"Kampf der Kulturen" nennen zu müssen, dürfte schwerer werden. Eilig wurde | |
Osama bin Laden noch am Montag, so hieß es, "auf hoher See" beigesetzt. | |
Kein letztes Bild von seinem schmerzverzerrten Gesicht, seinem gekrümmten, | |
von Kugeln durchsiebten Körper wird der Welt das unwiderlegbare Zeugnis | |
seiner realen Leiblichkeit geben. | |
Kein bei den UN hinterlegter Obduktionsbericht wird jeden möglichen Zweifel | |
an der Todesursache beseitigen. Noch im Tod umgibt den meistgesuchten Mann | |
der Welt ein Hauch von Irrealität. Und man kann sich schon jetzt die | |
Websites vorstellen, auf denen die Verschwörungstheorien über ihn | |
ausgebreitet werden. So könnte dieses schillernde Phantom der Postmoderne, | |
das aus den realen Ruinen von Ground Zero aufstieg, endgültig in das ewige | |
Reich der reinen Vorstellung eingehen. | |
2 May 2011 | |
## AUTOREN | |
Ingo Arend | |
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