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# taz.de -- Beziehung zwischen al-Qaida und Taliban: Keine Bin-Laden-Fans
> Die Beziehungen zwischen al-Qaida und den Taliban werden überbewertet.
> Deshalb könnte der Tod bin Ladens politischen Spielraum öffnen – wenn die
> USA mitspielen.
Bild: Haben mit al-Quaida nicht viel gemein: Taliban-Kämpfer geben ihre Waffen…
"Wir hoffen, dass al-Qaidas Aktivitäten mit dem Tod ihres Führers enden",
sagte Afghanistans Präsident Hamid Karsai, als ihn am Montag die Nachricht
von der Erschießung Osama bin Ladens erreichte. "Unsere (Stammes-)Ältesten,
Jugendlichen, Kinder und Frauen sind wirkliche Muslime, aber sie werden von
Al-Qaida-Kämpfern getötet." Am selben Tag, an dem die Operation der
US-Sondereinheit im pakistanischen Abbottabad lief, hatte ein Zwölfjähriger
im Basar der südostafghanischen Kreisstadt Barmal sich in die Luft
gesprengt, dabei vier Menschen getötet und mehr als ein Dutzend verletzt.
Das Bemerkenswerte an Karsais Botschaft: Auch er scheint Probleme damit zu
haben, eine klare Trennlinie zwischen der global-dschihadistischen
Organisation al-Qaida und den afghanischen Taliban zu ziehen. Karsai ist es
anscheinend wichtiger, Krieg und Terror in seinem Land ausländischer
Einmischung zuzuschreiben und so zu tun, als ob die Aufständischen im
Grunde keine Afghanen seien.
Auf dieser falschen Prämisse baute auch die Strategie des Westens zur
Aufstandsbekämpfung auf: Taliban und al-Qaida propagandistisch in einen
Topf werfen, die Taliban so lange bombardieren, bis sie sich an den
Verhandlungstisch bequemen, und Reumütigen unter den vom Weg abgeirrten
"Brüdern" (Karsai) die Wiedereingliederung in die afghanische Gesellschaft
anzubieten.
Ganz so einfach ist die Sache jedoch nicht. Gerade die führenden
US-Terroranalysten, die wegen Washingtons Boykott des Taliban-Regimes bis
2001 diese nur aus Telefonmitschnitten und Gefangenenverhören kennen,
scheinen ihrer eigenen Propaganda erlegen zu sein. Immer wieder ist
unterschiedslos von einem "Terrorsyndikat" die Rede, zu dem afghanische und
pakistanische Taliban, pakistanische und kaschmirische Terrorgruppen und
natürlich al-Qaida gezählt werden. Das hat auch Obama selbst beeinflusst,
dessen Afghanistan-Strategie im Wesentlichen der von Bush gleicht –
"al-Qaida zu stören und zu zerschlagen" –, nur ohne dessen messianische
Rhetorik.
## Die einen agieren regional, die anderen global
Will man die Folgen des Todes Osama bin Ladens für den Krieg in Afghanistan
abschätzen, ist eine genaue, ideologiefreie Analyse dessen nötig, was
al-Qaida und die afghanischen Taliban jeweils darstellen, wo und wie sie
operieren, welche Ziele sie verfolgen und wie viel Überschneidungen es
dabei gibt.
"Wir sind das eine, und al-Qaida ist etwas anderes", sagte der offizielle
Taliban-Sprecher schon im Mai 2009. "Sie sind global, wir operieren nur in
der Region, mit dem Ziel, das 2001 im Zuge der US-geführten
Militärintervention gestürzte islamische Emirat Afghanistan
wiederzuerrichten." Etwas später erklärte Taliban-Chef Mullah Omar, seine
Organisation verfolge "keinerlei Agenda, anderen Ländern Unheil zuzufügen".
In der Tat: Es waren keine Afghanen unter den Terroristen des 11.
September. Und im Unterschied zu Pakistans Taliban oder etwa
Lashkar-e-Taiba – der Gruppe, die 2008 die Anschläge in Mumbai verübte –,
gibt es keinen einzigen Fall, in dem ein afghanischer Talib sich später an
Terrorakten außerhalb Afghanistans beteiligt hätte.
Es gibt keine Afghanen in der Al-Qaida-Führung, umgekehrt gibt es keine
Araber in der Kommandostruktur der afghanischen Taliban. In
dschihadistischen Begriffen: Al-Qaida konzentriert sich auf den "fernen
Feind", die USA und ihre Verbündeten, auf deren Terrain, während die
Taliban den "nahen Feind" im eigenen Land bekämpfen – die Kabuler Regierung
und das, was sie als Okkupationstruppen "muslimischen" Territoriums
betrachten. Weder die USA noch die EU, Großbritannien oder die UNO haben
die Taliban je als terroristische Organisation gelistet.
## Bewusste organisatorische Abgrenzung
Schon vor 9/11 hielten die Taliban sich bewusst organisatorisch von
al-Qaida fern. Sie traten nicht der Weltweiten Islamischen Front für den
Dschihad gegen Juden und Kreuzfahrer bei, die bin Laden im Februar 1998 in
einer afghanischen Höhle mit Gruppen aus Bangladesch, Ägypten und Pakistan
gründete. Im Anschluss daran verlangte Talibanchef Mullah Omar sogar von
ihm, alle politischen Aktivitäten zu unterlassen, solange er Gast der
Taliban sei. Mullah Omar dürfte bin Laden bis heute nicht verziehen haben,
dass ihn die Anschläge in New York und Washington die Herrschaft über sein
Islamisches Emirat kosteten.
Im Gegensatz zu Terrorgruppen im Maghreb oder auf der Arabischen Halbinsel
traten die Taliban auch jetzt nicht al-Qaida bei. Die sogenannte Al-Qaida
Afghanistan dürfte nur auf jenen dschihadistischen Webseiten existieren,
über die sie nach wie vor Spenden akquiriert. Selbst der
US-Oberbefehlshaber in Afghanistan sprach von "weniger als 100"
Al-Qaida-Kämpfern in Afghanistan.
Die symbiotischen Beziehungen zwischen al-Qaida und Taliban unmittelbar
nach 2001, als beide von den US-Schlägen extrem geschwächt waren,
existieren nicht mehr. Inzwischen sind die Taliban auch ohne al-Qaida
handlungsfähig: Sie haben genug eigene Kampferfahrung und kontrollieren
oder beeinflussen weite Teile Afghanistans, sie erheben sogar Steuern - auf
westlich gesponserte Projekte und die milliardenschweren Militärkontrakte.
Diese Einnahmen dürften selbst die Zuflüsse aus dem Drogenhandel in den
Schatten stellen.
## Bin Ladens Tod eröffnet neue politische Ansätze
Der mangelnde Enthusiasmus der afghanischen Taliban für die globale
Dschihad-Agenda al-Qaidas lässt sich darauf zurückführen, dass sie
angesichts des angekündigten Abzugs der westlichen Truppen aus Afghanistan
bis 2014 trotz aller Rückschläge siegesgewiss sind. Von der internationalen
Gemeinschaft wollen sie sich nicht auf Dauer isolieren.
Die Taliban sind also nicht generell Fremdkörper in der afghanischen
Gesellschaft. Sie greifen sogar erfolgreich antiwestliche Stimmungen unter
jenen auf, die nicht ihre Anhänger sind, nicht zuletzt aufgrund der
zahlreichen Fehler der westlichen Interventionsmächte: von der sich
vertiefenden Kluft zwischen den Korruptionsgewinnern in der
Karsai-Regierung und dem großen Rest bis zur immer noch zunehmenden Zahl
getöteter Zivilisten.
Bin Ladens Tod wird nichts am unmittelbaren Kräftegleichgewicht in
Afghanistan ändern, nicht zuletzt, weil selbst die Taliban nicht
uneingeschränkt Bin-Laden-Fans sind. Aber politisch ergeben sich neue
Ansätze, wie sie bereits Alex Strick van Linschoten und Felix Kuehn im
Februar in einem viel beachteten Papier für die New York University
konstatierten: "Es existiert Spielraum, die Taliban bei den Themen Abkehr
von al-Qaida und Garantien gegen die Nutzung Afghanistans durch den
internationalen Terrorismus zu engagieren." Das wird aber nur
funktionieren, wenn man die Taliban jetzt nicht zwingt, den Bruch
öffentlich zu vollziehen.
3 May 2011
## AUTOREN
Thomas Ruttig
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