# taz.de -- Debatte Energiewende: Revolution per Windrad | |
> Die Behauptung, längere AKW-Laufzeiten hätten einen positiven | |
> Klimaschutzeffekt, ist schon immer falsch. Richtig ist vielmehr: Der | |
> Atomausstieg wäre ein Meilenstein für mehr Klimaschutz. | |
Bild: Braunkohle ist ein Klimakiller: Kohlekraftwerk Jänschwalde in Brandenbur… | |
Das Argument, der deutsche Atomausstieg würde zu steigenden CO2-Emissionen | |
führen und schade damit dem Klimaschutz, wird derzeit vor allem von | |
einschlägig bekannten Atomkraftbefürwortern ins Feld geführt, um den | |
beschleunigten Atomausstieg infrage zu stellen. | |
Auch der [1][Politologe Reinhard Wolf behauptete jüngst (in der taz vom 30. | |
April),] ein schnelles Abschalten der deutschen Atommeiler würde dem | |
Klimaschutz und damit auch "den Polynesiern" schaden. Dem steht die Haltung | |
gegenüber, dass mehr Klimaschutz nur mit einer grundlegend anderen | |
Energieversorgung, auf Basis erneuerbarer Energien und ohne Atomkraft, | |
möglich ist. | |
Das ist nicht jene "Revolution", die Bundeskanzlerin Angela Merkel mit | |
Blick auf die im September 2010 von ihrem Kabinett beschlossene | |
AKW-Laufzeitverlängerung feierte. | |
Sondern eine Revolution beim Ausbau der regenerativen Stromerzeugung, die | |
durch ein schnelles und konsequentes Abschalten der Atomkraftwerke | |
ausgelöst würde. Mehr Klimaschutz erfordert zudem eine drastische Senkung | |
des Stromverbrauchs und weit mehr Energieeffizienz als heute. | |
Sicher wird bei einem schnellen Atomausstieg für eine Übergangszeit mehr | |
Strom in Kohle- und Gaskraftwerken produziert. Dieser negative Klimaeffekt | |
ist jedoch begrenzt, weil die CO2-Emissionen europaweit über den | |
Emissionshandel begrenzt sind. | |
Deshalb war die Behauptung, längere AKW-Laufzeiten hätten einen positiven | |
Klimaschutzeffekt, schon immer falsch. Ein Effekt hingegen ist, dass der | |
CO2-Zertifikate-Preis dadurch sinkt. | |
## Weniger Strom verbrauchen | |
Wäre der EU-Emissionshandel optimal angelegt und nicht wie jetzt mit einer | |
Reihe von Schlupflöchern ausgestattet, würde es durch den Atomausstieg | |
überhaupt keinen negativen Klimaeffekt geben. | |
Derzeit ist leider damit zu rechnen, dass RWE und Co. versuchen, sich in | |
Entwicklungsländern mit fragwürdigen Klimaschutzprojekten CO2-Zertifikate | |
zu kaufen - aber das haben sie schon vor dem geplanten Atomausstieg getan. | |
Eine wesentliche Folge des Abschieds von der Atomkraft wird ein | |
ansteigender CO2-Zertifikate-Preis sein - und auch das ist gut für den | |
Klimaschutz. | |
Wichtiger hingegen - um die Frage zu beantworten, wie klimaverträglich der | |
Atomausstieg gestaltet werden kann - ist, welche Kraftwerke in nächster | |
Zeit gebaut werden. | |
Alle Analysen, die sich mit dem schnellen Atomausstieg befassen - zuletzt | |
jene von Olaf Homeyer, einem Mitglied des Sachverständigenrats für | |
Umweltfragen -, gehen davon aus, dass nur noch jene Kohlekraftwerke in | |
Betrieb gehen, die bereits genehmigt sind und gebaut werden. | |
Ob diese am Ende tatsächlich alle fertiggestellt werden, steht in den | |
Sternen. Denn ihr Betrieb wird immer unwirtschaftlicher, je höher der | |
CO2-Zertifikate-Preis steigt. Zudem klagt der BUND gegen ein in Bau | |
befindliches Eon-Kohlekraftwerk in Nordrhein-Westfalen. Es könnte also | |
durchaus sein, dass es am Ende einige zusätzliche Investitionsruinen in | |
Deutschland gibt. | |
## Signal an die Stadtwerke | |
Ein schneller Atomausstieg wird, wenn es denn keine staatliche Förderung | |
für Kohlekraftwerke gibt, also nicht zu dauerhaft höheren CO2-Emissionen | |
führen. Allerdings gibt es Signale von Vertretern der Bundesregierung und | |
von SPD- und Gewerkschaftsfunktionären, die verstärkt auf Kohle setzen | |
wollen. | |
Das sind Forderungen, die für den Klimaschutz zum Problem werden können. | |
Deshalb verlangen wir als Ergänzung zum Atomausstieg ein Bauverbot für neue | |
Kohlekraftwerke. Das wäre eine klare Richtungsentscheidung, welche | |
Kraftwerke in Deutschland überhaupt noch gebaut werden dürfen, und damit | |
die beste "Förderung" für den zwischenzeitlich erforderlichen Zubau neuer | |
Gaskraftwerke. | |
Viele Stadtwerke, die seit Jahren solche Projekte planen, realisieren sie, | |
sobald die Politik mit einem schnellen Atomausstieg und der Absage an neue | |
Kohlekraftwerke die Richtung vorgibt. Die Energiewende kann auch durch | |
Förderprogramme beschleunigt werden. Entscheidend ist jedoch die schnelle, | |
eindeutige und nicht mehr rückholbare Richtungsentscheidung "Raus aus der | |
Atomkraft". | |
Schon jetzt ist zu beobachten, dass mit deutlich mehr Schwung speziell am | |
Ausbau der Windenergie in Süddeutschland gearbeitet wird. Was wäre erst an | |
Dynamik möglich, wenn eindeutig entschieden wäre, dass die Erneuerbaren die | |
Stromversorgung schon bald in toto übernehmen sollen!? | |
Deshalb sieht der BUND im Atomausstieg den größten Katalysator für die | |
Energiewende und damit für den Klimaschutz. Strom wird in Deutschland genug | |
produziert. Probleme gibt es noch für wenige Stunden im Jahr mit hohem | |
Strombedarf, wenn zugleich kaum Wind weht und sich die Sonne versteckt. | |
Dies ist lösbar. | |
Wenn Deutschland den Nachweis bringt, dass es funktioniert und dass die | |
Energiewende vor allem ökologische und ökonomische Vorteile hat, dann wird | |
das positiven Einfluss haben auf die Energiepolitik in vielen Ländern der | |
Welt. Am Ende hätten auch die Menschen in Polynesien gewonnen. | |
## Ein GAU wäre unbezahlbar | |
Bei dem von uns geforderten sofortigen Atomausstieg geht es nicht um einen | |
deutschen Sonderweg, sondern um den konkreten Schutz von Menschen. Wer hat | |
denn die Anwohner von Krümmel, Biblis oder Isar gefragt, ob sie bereit | |
sind, die Risiken der Atomenergie länger zu tragen? Jede Verzögerung des | |
Atomausstiegs birgt enorme Risiken. | |
Niemand kann ausschließen, dass es nicht schon bald zur nächsten | |
Katastrophe kommt. Den Menschen in der Umgebung eines havarierten AKWs wäre | |
nicht geholfen, wenn es einen Ausstiegsbeschluss für ein "Irgendwann-Jahr" | |
gäbe. Ein GAU in Deutschland könnte nach neuesten Prognosen einen Schaden | |
von rund 6 Billionen Euro verursachen. Das entspricht dem Zwanzigfachen des | |
Bundesetats. | |
Derzeit sind bei uns 11 AKWs abgeschaltet. Sicher bedarf es noch eines | |
weiteren Anlaufs, auch die restlichen mit mehr Energieeffizienz | |
"wegzusparen" oder durch regenerative Energien zu ersetzen. Mit einer | |
wirklichen "Energierevolution" kann es jedoch gelingen, noch in dieser | |
Legislaturperiode das letzte Atomkraftwerk vom Netz zu nehmen. | |
13 May 2011 | |
## LINKS | |
[1] /1/debatte/kommentar/artikel/1/wer-fragt-die-polynesier/ | |
## AUTOREN | |
Hubert Weiger | |
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