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# taz.de -- Stadtwerkgründung in Stuttgart: Wir sind das Kraftwerk
> In Stuttgart wird ein Stadtwerk gegründet. Ähnliche Pläne gibt es auch
> andernorts. Das garantiert aber nicht immer eine ökologische und
> unabhängige Energieversorgung.
Bild: Mitten in der Nordsee: Der Offshore Windpark vor Borkum.
BERLIN taz | Wenn an diesem Donnerstag der Gemeinderat der Stadt Stuttgart
zusammenkommt, wird wahrscheinlich seltene Einheit herrschen, wo sonst der
Streit über Stuttgart 21 für große Fehden sorgt. Beschließen will man die
Gründung eines Stadtwerks, das künftig Strom, Gas, Wasser und Fernwärme
liefert und Ökoenergie erzeugt.
Im Grundsatz sind alle Parteien dafür, von der Fraktionsgemeinschaft
SÖS/Die Linke bis zu den Freien Wählern. Die Stuttgarterinnen und
Stuttgarter selbst hatten im vergangenen Jahr per Bürgerbegehren mit mehr
als 20.000 Unterschriften kundgetan, die Stadt möge ihre Energie- und
Wasserversorgung wieder selbst in die Hand nehmen. Nun kommt die Politik
diesem Wunsch nach.
Und das ist mehr als ein lokalpolitischer Akt: Stadtwerke stellen eine
große Hoffnung in der Energiewende dar. Sie investieren eher in kleine,
ökologische Kraftwerke und können helfen, die Marktmacht der großen
Energiekonzerne zu stutzen, die 80 Prozent der Stromerzeugung in
Deutschland kontrollieren. Deren große, zentrale Kohle- oder Atommeiler
könnten durch kleine, dezentrale Anlagen, Windräder oder Solarfelder
ersetzt werden.
Die wären dann in den Händen vieler, regionaler Stadtwerke, demokratisch
kontrolliert. Schließlich kann man einen Bürgermeister abwählen, einen
Konzernchef nicht. Das ist zumindest die idealtypische Beschreibung eines
Stadtwerks.
## Stromkonzerne im Umbruch
Noch vor einigen Jahren haben Städte und Gemeinden privatisiert, wo sie nur
konnten: Stuttgart etwa verkaufte im Jahr 2002 erst seine Stadtwerke an die
EnBW, das Land verkaufte EnBW zur Hälfte nach Frankreich. Jetzt hat das
Land erst EnBW zurückgekauft, und die Stadt gründet ein neues Stadtwerk -
eines von bundesweit 40 seit dem Jahr 2007. Mittlerweile produzieren sie
fast 10 Prozent des heimischen Stroms und beliefern - wenn auch nicht nur
mit selbst erzeugtem Strom - die Hälfte der Bundesbürger mit Strom.
Allerdings wäre die Gegenüberstellung - hier die sauberen Stadtwerke, dort
die bösen Stromkonzerne - grob vereinfacht. Denn auch RWE, Eon, Vattenfall
und EnBW investieren in Ökoenergie. Zudem sind sie in vielen Fällen mit
Stadtwerken verflochten; allein bei RWE sind es über hundert Beteiligungen.
Oft arbeitet man zusammen; so investiert RWE mit den Stadtwerken München in
einen Offshore-Windpark vor der englischen Küste oder zusammen mit 26
Stadtwerken in das Gemeinschaftsunternehmen Green Gecco.
## Hier gut, da böse?
Schließlich fördert die Bundesregierung Kleinkraftwerke, die ihre Abwärme
effektiv nutzen. Und dieser Markt lässt sich am besten mit Stadtwerken
erschließen. Die wiederum schließen sich auch schon mal zusammen, um
Großkraftwerke zu bauen: So plant Trianel, ein Konsortium aus Stadtwerken,
in Krefeld einen Kohlemeiler mit 750 Megawatt. Selbst der grüne
Oberbürgermeister von Tübingen, Boris Palmer, musste einräumen, dass seine
Stadtwerke an einem Kohlekraftwerk beteiligt sind.
Auf derlei Details kommt es nun auch in Stuttgart an. "Wenn man mit
ökologischen Argumenten werben will, kann man kein Stadtwerk mit einem
Atomkonzern EnBW zusammen gründen", sagt der Chef der stärksten Fraktion im
Gemeinderat, der Grüne Werner Wölfle. Das Strom-, Gas-, Wasser- und
Wärmenetz der Stadt wird von der EnBW Regional AG betrieben, deren
Mutterkonzern vier AKWs betreibt. Die EnBW-Konzession für die Energienetze
läuft Ende 2013 aus, die Stadt kann sie dann selbst betreiben.
Die CDU schließt eine Beteiligung der EnBW an den Stadtwerken nicht aus.
Die Grünen wollen dem Konzern erst einen ökologischen Kurs verpassen, über
die Beteiligung des Landes an dem Konzern. Der alte Regierungschef Stefan
Mappus (CDU) hat im vorigen Jahr fast die Hälfte auf Pump erworben.
## Bürger wollen mitreden
Nun ist die Situation für die Grünen vertrackt: Stimmen sie im Gemeinderat
einem Stadtwerk ohne EnBW zu, schaffen sie Konkurrenz für einen Konzern,
den die grün-rote Landesregierung ökologisch umbauen will. Mit EnBW würde
eine grüne Fraktion ein Stadtwerk mit gründen, das mit Atomstrom
verflochten ist. Die dritte Möglichkeit: Die Regional AG der EnBW wird an
die Stadtwerke verkauft, wobei auch das dem Mutterkonzern schaden könnte.
Denn die Regional AG könnte Kern einer lokalen, ökologischeren Ausrichtung
der gesamten EnBW sein.
Deren Mitarbeiter kündigen Demonstrationen an, weil sie um ihre
Arbeitsplätze fürchten. Einige Bürger haben ihre eigenen Vorstellungen: Die
Initiative "Kommunale Stadtwerke" lehnt EnBW als Partner komplett ab. Dort
will man eine Genossenschaft gründen, die bei den neuen Stadtwerken
einsteigen soll. Das Kapital soll von den Stuttgartern selbst stammen - 40
Millionen müsste man sammeln, um genug Anteile für einen Sitz im
Aufsichtsrat kaufen zu können, sagt der Vorsitzende Klaus Starke.
Allenfalls andere Stadtwerke als Partner wolle man akzeptieren. "Die
Politiker sind nicht selbstbewusst genug, um zu sagen: Wir nehmen die Sache
in die eigene Hand", sagt er.
Was am Ende herauskommt, ist noch unklar. Die Stadt hat sechs Modelle
entwerfen lassen, über die später entschieden wird. Für Starke steht eines
fest: "Die Bürger in der Stadt sind seit Stuttgart 21 wach geworden. Sie
wollen mitreden."
26 May 2011
## AUTOREN
Ingo Arzt
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