# taz.de -- CO2-Zertifikate aus dem Ausland: Abzocke im Namen des Klimaschutzes | |
> Manager sollen in großem Maßstab beim Emissionshandel den deutschen | |
> Fiskus betrogen haben. Die Anklage spricht von 250 Millionen Euro | |
> Schaden. | |
Bild: Das Abschmelzen des Polareises soll mit Klimaschutzmaßnahmen aufgehalten… | |
BERLIN taz/dpa | Es geht um sehr viel Geld und um Betrug im großen Maßstab | |
beim europäischen Handel von CO2-Emissionszertifikaten. Um Klimaschutz geht | |
es in einem der größten Wirtschaftsprozesse der letzten Zeit, der gestern | |
in Frankfurt am Main eröffnet wurde, allerdings nicht - und das | |
Umweltbundesamt wehrt sich gegen den Eindruck, der Emissionshandel sei | |
besonders anfällig für Abzocke. | |
Denn die sechs Angeklagten zwischen 27 und 66 Jahren sollen den deutschen | |
Fiskus um Hunderte von Millionen Euro geprellt haben, indem sie eine Lücke | |
im Steuersystem ausnutzten. | |
Laut Anklage sollen die Männer ein "Umsatzsteuer-Karussell" aufgebaut | |
haben. Dabei wurden CO2-Zertifikate aus dem europäischen Ausland gekauft, | |
für die keine Umsatzsteuer anfällt. Beim Verkauf der Lizenzen in | |
Deutschland wurde die Steuer fällig. Der Verkäufer kassierte sie, reichte | |
sie aber nicht ans Finanzamt weiter, wie es die Gesetze fordern. Der Fiskus | |
wiederum erstattete später diese Steuer und blieb auf der Ausgabe sitzen. | |
Der Schaden soll allein in Deutschland bei etwa 250 Millionen Euro liegen. | |
"Die Angeklagten schufen sich mit den Straftaten eine ständige | |
Einnahmequelle in Millionenhöhe", sagte der Staatsanwalt gestern bei der | |
Verlesung der umfangreichen Anklageschrift, die gut eine halbe Stunde Zeit | |
benötigte. Ein 28 Jahre alter Angeklagter soll den Fiskus laut Anklage | |
allein um über 100 Millionen Euro geschädigt haben. | |
## Durchsuchungen bei 230 Firmen und Haushalten | |
Die Entdeckung des Betrugs hatte 2010 zu bundesweiten Durchsuchungen von | |
230 Firmen und Wohnungen geführt. Auch in anderen EU-Staaten wie Italien | |
oder Großbritannien gab es Betrug mit dem Emissionshandel. Solche | |
Umsatzsteuer-Karussells sind grundsätzlich auch mit anderen Gütern möglich. | |
Aber das System des Emissionshandels war besonders anfällig, weil hier mit | |
ein paar Mausklicks im Internet große Mengen an virtuellen Zertifikaten und | |
Geld hin und her geschoben werden konnten. "Es ist ein virtuelles Gut, das | |
schnell und ohne Grenzkontrollen wie bei realen Gütern bewegt werden kann", | |
sagt Enno Harders, Abteilungsleiter bei der Emissionshandelsstelle (DEHSt) | |
beim Umweltbundesamt. "Das war Großkriminalität, die über viel Geld, Wissen | |
und IT-Kenntnisse verfügte." | |
Inzwischen haben die europäischen Staaten Lehrgeld gezahlt und ihre | |
Steuergesetze geändert. Manche Staaten befreiten die Zertifikate von der | |
Umsatzsteuer, in Deutschland muss jetzt der Käufer und nicht mehr der | |
Verkäufer die Umsatzsteuer abführen, was den Missbrauch verhindert, so | |
Harders. Der Betrug sei "kein Systemfehler des Emissionshandels" gewesen, | |
sondern ein Problem des Steuerrechts. | |
Auch in einer anderen Sorte von Betrügereien mit dem Emissionshandel sieht | |
Harders gewöhnliche Internetkriminalität. Vor einigen Jahren hatten | |
Kriminelle mit der "Phishing"-Methode Unternehmen geschädigt, die am | |
Emissionshandel teilnahmen. In E-Mails waren die Firmen aufgefordert | |
worden, ihre Passwörter auf einer gefälschten Seite der DEHSt anzugeben. | |
Sobald sie das taten, drangen die Täter in deren Emissionskonten ein und | |
stahlen die Zertifikate, die pro Tonne etwa 15 Euro wert sind. Die | |
Papierfirma Drewsen, die auf diese Weise über 1 Million Euro verloren haben | |
soll, hat die DEHSt deshalb auf Schadenersatz verklagt. Die Behörde weist | |
die Verantwortung für diesen Angriff zurück, hat aber seitdem die | |
Sicherheitsregeln für den Onlinehandel verschärft. | |
15 Aug 2011 | |
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