# taz.de -- Krise in Auffanglagern in Tunesien: Hoffen auf Europa | |
> Aus Libyen geflohene Menschen aus Somalia, Eritrea oder Irak harren in | |
> grenznahen Lagern in Tunesien aus. Sie fühlen sich vom Westen im Stich | |
> gelassen. | |
Bild: "Ban Ki Moon, rette uns!" Die Lage in den Flüchtlingslagern in Tunesien … | |
BEN GUERDANA taz | Mindestens vier Eritreer sind in der Nacht zum Sonntag | |
bei einem Feuer in einem Flüchtlingslager an der tunesisch-libyschen Grenze | |
gestorben. Nach Angaben des UN-Hochkommissariats für Flüchtlinge (UNHCR), | |
das das Lager betreibt, ist die Brandursache unklar, ebenso wie die Zahl | |
der Verletzten. Die Situation in dem Auffanglager bei Ben Guerdana, in dem | |
rund 4.000 Menschen untergebracht sind, ist seither angespannt: Viele Zelte | |
wurden zerstört, die Infrastruktur wurde geschwächt. | |
Am Montag demonstrierten Hunderte Flüchtlinge vor den UNHCR-Büros am Rande | |
der Zeltstadt. "Ban Ki Moon, rette uns!", riefen sie und errichteten eine | |
Barrikade auf der Straße zwischen dem Camp und der sieben Kilometer | |
entfernten libyschen Grenze. Einige Lagerbewohner klagen über Übergriffe | |
durch das am Camp stationierte tunesische Militär. Das verstärkte während | |
der Demonstration am Montag seine Präsenz. | |
In dem Lager sind vor allem Angehörige von Staaten untergebracht, in die | |
eine Rückkehr nach Ansicht des UNHCR derzeit ausgeschlossen ist: Somalia, | |
Eritrea, Sudan, Äthiopien, Elfenbeinküste und Irak. Ihre Lage ist besonders | |
schwierig. Anders als die über 50.000 Libyer, die im Landesinneren, in | |
Hotels und Privathäusern untergebracht sind, dürfen sie das unmittelbare | |
Grenzgebiet nicht verlassen. | |
Militärposten lassen die Flüchtlinge nur passieren, wenn sie eine spezielle | |
Erlaubnis bekommen haben. Mehr als 700 Menschen waren deshalb in den | |
letzten Wochen nach Libyen zurückgekehrt. Dort wollten sie die gefährliche | |
Fahrt über das Mittelmeer wagen, nachdem Gaddafi die Passage freigegeben | |
hat. | |
## "Ich habe nichts mehr" | |
Das hatte auch die 33-jährige Nimo Felahnur aus Mogadischu vor. Sie konnte | |
sich aus einem der brennenden Zelte retten. Nach ihren Schilderungen brach | |
das Feuer gegen Mitternacht in der Nacht zum Sonntag aus. Die Feuerwehr sei | |
erst nach einer Stunde in dem abseits gelegenen Teil des Camps angekommen. | |
Der Brand habe all ihre Ersparnisse und die Habseligkeiten vernichtet, die | |
sie bei ihrer Flucht aus Tripolis vor fünf Wochen retten konnte. "Jetzt | |
habe ich gar nichts mehr." | |
Felahnur verließ Mogadischu vor vier Jahren. Eigentlich wollte sie nach | |
Europa, kam aber zunächst nur bis in die libysche Hauptstadt. Dort | |
arbeitete sie bis zum Beginn des Bürgerkriegs als Putzfrau. Mitte April | |
floh sie wegen der Nato-Bomben aus Tripolis. Wie es nun, da sie sich die | |
Weiterreise nicht mehr leisten kann, weitergehen soll, weiß sie nicht. "Wir | |
werden hier im Stich gelassen, niemand hilft uns", sagt Felahnur. | |
Das sieht Firas Kayal ähnlich. Der UNHCR-Sprecher ist vor Ort, seit das | |
Camp am 24. Februar eröffnet wurde. Damals seien bis zu 14.000 Menschen pro | |
Tag über die Grenze gekommen. Fast alle von ihnen konnten mittlerweile | |
weiterziehen: Die Libyer verteilten sich über viele Städte im südlichen | |
Tunesien, Flüchtlinge aus stabilen Ländern wie Mali oder Ghana wurden von | |
der Internationalen Organisation für Migration (IOM) in ihre Heimat | |
ausgeflogen. | |
## Keine Perspektiven | |
Die, die noch heute im Camp sind, haben darauf keine Aussicht. | |
"Longstayers" nennt Kayal sie, 6.000 leben in den Camps des UNHCR. "Für sie | |
gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder nehmen die Industriestaaten sie | |
als Kontingentflüchtlinge auf - oder sie müssen für lange Zeit hier | |
bleiben." Jetzt sei der Westen gefordert. | |
Doch der hält sich bedeckt. Dreimal hat das UNHCR in den letzten Wochen die | |
EU dringend um Aufnahme der 6.000 Libyen-Flüchtlinge gebeten. Doch bisher | |
bieten EU und USA zusammen gerade mal 800 Plätze. Die Bundesregierung hat | |
noch überhaupt keine Zusagen gemacht. "Solange wir keine Reaktion bekommen, | |
können wir den Menschen keine Perspektive geben", sagt der deutsche | |
UNHCR-Sprecher Stefan Telöken. "Die Folge ist, dass die Flüchtlinge | |
versuchen, unter Lebensgefahr über das Mittelmeer nach Europa zu kommen." | |
"Dieses tödliche Risiko wird in Kauf genommen, weil die Situation im Lager | |
unerträglich und ausweglos erscheint", sagt Michel Hackert von der | |
Flüchtlingsorganisation Welcome to Europe, der das Lager besucht hat. | |
"Europa muss sich zur Aufnahme von Flüchtlingen aus dieser Region bereit | |
erklären." | |
24 May 2011 | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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