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# taz.de -- Zwei Monate Blindflug in Fukushima: Wie dreimal Harrisburg - nur sc…
> Tepco bestätigt, dass es in drei Atomreaktoren schon kurz nach dem
> Erdbeben zur Kernschmelze gekommen sei. Das radioaktive Wasser wird immer
> mehr zum Problem.
Bild: Die Bevölkerung wird zunehmend wütender in Tokio.
BERLIN taz | Der dreifache Super-GAU im havarierten AKW Fukushima Daiichi
ist nun offiziell - und er enthüllt wieder einmal die Ahnungslosigkeit der
Ingenieure. Dienstag erklärte die Betreiberfirma Tepco, auch in den Blöcken
2 und 3 seien die Reaktorkerne weitgehend geschmolzen und lägen am Boden
der Sicherheitsbehälter. Das gleiche Szenario hatte Tepco vor einigen Tagen
für den Reaktor 1 aufgestellt. Damit korrigieren die Atomwerker von Tepco
ihre monatelangen Angaben, dass die heißen Reaktorkerne nur "teilweise
beschädigt" seien. Jetzt ist klar: Die Kernschmelze ist passiert, und zwar
schneller als erwartet. Und keiner hat es mitbekommen.
Nach den jüngsten Angaben brannte Block 1 bereits 16 Stunden nach dem Beben
durch. Block 3 folgte etwa einen Tag später und Block 2 vier Tage nach der
automatischen Abschaltung beim Erdbeben am 11. März. Weil die Kühlung
ausgefallen war, verdampfte das Kühlwasser und legte die Stäbe frei, die zu
schmelzen begannen.
Die Messinstrumente für den Wasserstand fielen dabei unbemerkt aus, die
Ingenieure schätzten die Füllstände im Reaktor anhand der Wassermassen, die
in die kochenden Reaktordruckbehälter gepumpt wurden. Alle diese
angeblichen Messungen, Rechnungen und Schätzungen lagen jedoch weit
daneben, zeigt sich jetzt: Während Tepco seit zehn Wochen offiziell angab,
nur etwa 55 bis 70 Prozent der Brennstäbe seien beschädigt, ist jetzt klar,
dass ein Großteil der Kerne geschmolzen ist.
Damit hat sich weitgehend das "Harrisburg-Szenario" realisiert - allerdings
in dreifacher Ausführung und mit schwereren Folgen. Im AKW "Three Mile
Island" im US-Staat Pennsylvania war am 28. März 1979 ebenfalls ein Reaktor
außer Kontrolle geraten und hatte sich überhitzt. Nach hektischen Arbeiten
und dem Ablassen von radioaktivem Dampf in die Atmosphäre war etwa ein
Drittel des Reaktorkerns geschmolzen, aber im Druckbehälter geblieben. Erst
Jahre später konnte der Reaktor untersucht werden.
## Risse und Löcher
##
In Fukushima ist die Uransuppe am Boden der Druckbehälter dagegen immer
noch heiß. Zumindest im Reaktor 1 soll dieser Sicherheitsbehälter nach
Angaben von Tepco bereits Risse und Löcher haben, laut offiziellen Angaben
leckt zumindest aus Block 1 und 3 konstant Radioaktivität.
Allerdings seien alle drei geschmolzenen Kerne offenbar mit Wasser bedeckt
und nicht so heiß, dass sie drohten die Kerngehäuse durchzuschmelzen,
erklärte gestern der Stromkonzern. "Die relativ niedrigen Temperaturen
außen am Druckbehälter unterstützten diese Interpretation", sagte der
Atomexperte Wolfgang Renneberg der taz. "Aber dann fragt man sich nach den
bisherigen Erfahrungen, warum man jetzt gerade diesen Daten trauen soll."
Renneberg, der lange die Abteilung Reaktorsicherheit im
Bundesumweltministerium geleitet hat, nennt das Vorgehen der japanischen
AKW-Betreiber kriminell: "Ohne genaue Daten über den Zustand der Reaktoren
hätten sie nicht davon ausgehen dürfen, dass es keine größeren Schäden
gegeben hat. Und sie hätten sicherstellen müssen, dass ihre Messgeräte
funktionieren."
Ohne konstante Kühlung der Reaktoren hätten die geschmolzenen Kerne noch
lange das Potenzial, den Druckbehälter zu knacken und damit größere Mengen
an radioaktiver Glut in die Umwelt zu bringen. "Erst nach drei bis vier
Jahren werden die Kerne so weit abgekühlt sein, dass man nicht mehr von
außen regulieren muss." Nach wie vor rätseln die Ingenieure, wie lange das
Notkühlsystem überhaupt funktioniert hat. Und trotz all der Unsicherheiten
über den Hergang des Desasters widerspricht Tepco den Meldungen, bereits
nach dem Beben sei Radioaktivität ausgetreten. Erst der Tsunami habe den
Kühlkreislauf zerstört.
## Angst vor weiteren Nachbeben
An einem solchen stabilen Kühlkreislauf arbeiten die Ingenieure zwischen
den Trümmerhaufen von Fukushima vor allem für die immer noch kochenden
Abklingbecken. Im Reaktorblock 2 sollen die mit 80 Grad brodelnden Becken
auf 40 Grad gekühlt werden, um das Innere überhaupt zugänglich für
Arbeitskräfte zu machen. In den nächsten zwei Monaten will Tepco nach
Angaben des TV-Senders NHK an den Becken Wärmetauscher installieren.
In Reaktor 4 wiederum sollen demnächst Arbeitskräfte das angeknackste
Becken für Brennelemente durch Eisenstützen absichern. Da der Bau vom Beben
schwer angegriffen wurde, fürchten die Techniker, dass die extrem heißen
und radioaktiven Brennelemente im Becken 4 bei einem weiteren Nachbeben
oder einem Kollaps des Gebäudes aus der Höhe des fünften Stocks auf die
Erde stürzen und das Gelände noch heftiger verstrahlen könnten.
Auch beim Wasser tun sich neue Probleme auf. Tausende Tonnen sind in die
Gebäude gepumpt worden, dort in Kontakt mit den strahlenden Reaktorkernen
gekommen und stehen nun als strahlendes Hindernis im Keller der Gebäude.
Von dort will es die französische Firma Areva abpumpen, von Strahlung
reinigen und in einem geschlossenen Kreislauf wieder zu den Reaktoren
leiten. Dieser Kreislauf soll erst in einem Monat stehen, hieß es gestern
in einer Meldung des Fernsehsenders NHK. Die Tanks für das radioaktive
Wasser seien aber in drei bis vier Tagen voll.
## Task Force muss her
Um die Vorwürfe von Schlamperei vor Ort und Behördenversagen will sich ein
Spezialistenteam der UNO kümmern, das gestern in Japan eintraf. Für den
Atomexperten Mycle Schneider ist es dagegen dringend geboten, eine
internationale Task Force aus Experten zusammenzustellen. "Das ist
dringender denn je, denn bisher laufen die Hilfen alle bilateral. Länder
wie die USA und Frankreich haben dabei ihre eigenen Interessen", sagte
Schneider der taz.
Für ihn sind die Arbeiten in Fukushima eine größere Aufgabe als nach der
Katastrophe von Tschernobyl: "Da war zwar der Reaktor explodiert, aber die
gesamte Infrastruktur stand noch. In Fukushima gibt es ja nichts mehr!"
Viel Vertrauen in die bestehenden Strukturen hat Japans Regierung offenbar
nicht mehr. Gestern verkündete sie die Einsetzung einer unabhängigen
Untersuchungskommission, die Dokumente einsehen und Zeugen vernehmen könne.
24 May 2011
## AUTOREN
Bernhard Pötter
## TAGS
Atomkraftwerk
Schwerpunkt Atomkraft
Schwerpunkt Atomkraft
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