# taz.de -- In Japan reagieren die Beamten: Der Apparat versagt | |
> Zwei Monate nach dem Tsunami macht die Regierung in Tokio nicht den | |
> Eindruck, Herr der Lage zu sein. Die Katastrophe zeigt, dass eine | |
> effiziente Verwaltung allein nicht reicht. | |
Bild: Fast schon ein Ritual: Ministerpräsident Naoto Kan verbeugt sich in Demu… | |
BERLIN taz | Häufig können Regierungschefs in Katastrophenzeiten punkten. | |
Wenn ganze Landstriche im Chaos versinken, können sie mit klaren | |
Anweisungen an die Rettungskräfte, Besuchen vor Ort und tröstenden Worten | |
im Fernsehen Handlungsstärke und Entschlossenheit demonstrieren. Nicht so | |
in Japan. Jeder zweite Japaner wirft Ministerpräsident Naoto Kan und seinem | |
Kabinett Versagen vor und fordert seinen Rücktritt. | |
Diese schlechten Umfragewerte haben ihre Gründe in der aktuellen Situation: | |
Mehr als zwei Monate nach dem verheerenden Tsunami und den havarierten | |
Atomreaktoren von Fukushima macht die Regierung Kan nicht den Eindruck, | |
Herr der Lage zu werden. Im Gegenteil: Täglich treten neue Horrormeldungen | |
zutage. | |
In dem vom Tsunami gefluteten Katastrophengebiet harren immer noch | |
Zehntausende in miserabel ausgestatteten Notunterkünften aus. Die | |
japanische Wirtschaft muss weit größere Einbußen hinnehmen, als die | |
Regierung prognostizierte. Und dass es bereits wenige Tage nach dem | |
schweren Beben in Reaktor 1 von Fukushima I zu einer gefährlichen | |
Kernschmelze gekommen war, hat die Regierung erst vergangene Woche | |
offiziell zugegeben. Nun sickerte durch, dass es in den Reaktoren 2 und 3 | |
ebenfalls teilweise zu Kernschmelzen gekommen war. | |
Hat Kan all diese Informationen bewusst verschwiegen? Dann betreibt er | |
schlechte Informationspolitik. Oder wusste er tatsächlich nichts davon? | |
Dann hat er erst recht versagt. | |
## Versagt hat der Beamtenapparat | |
## | |
Dennoch: Kan trifft keine unmittelbare Schuld. Das miserable | |
Krisenmanagement ist dem japanischen Regierungssystem geschuldet. Und Japan | |
wird nicht von einem Ministerpräsidenten regiert, sondern von einem | |
effizienten Beamtenapparat, der in Krisenzeiten versagt. | |
50 Jahre Dauerherrschaft der konservativen Liberaldemokraten haben in Japan | |
zu einem ungewöhnlichen Regierungssystem geführt. Es konnte sich ein | |
hocheffizienter Beamtenstaat aus Experten herausbilden, der auch dann | |
genauso weiterfunktionierte, wenn die Politik versagte oder - wie seit | |
kurzem - sogar eine andere Partei regiert. 14 Regierungschefs sind in den | |
vergangenen 20 Jahren zurückgetreten - jeder für sich hat das Land in zum | |
Teil tiefe politische Krisen gestürzt. Das Land funktionierte dennoch | |
unbeirrt weiter. | |
Doch eine Katastrophe des Ausmaßes von Fukushima scheint auch diesen | |
Apparat zu überfordern. Plötzlich fehlt es in Japan an Zuständigkeiten. | |
Niemand will Verantwortung übernehmen. Die politischen Parteien zerlegen | |
sich in gewohnter Manier weiter gegenseitig oder verzetteln sich in | |
innerparteilichen Streitereien. Richtungsweisende Entscheidungen bleiben | |
vom Beamtenapparat aus. | |
## Der Ruf nach Rücktritte | |
Einmal schon hatte dieses System versagt. Beim großen Beben 1995 in Kobe | |
waren die Rettungsmannschaften schlecht ausgerüstet, Soldaten warteten | |
kostbare Stunden auf Befehle, statt nach Verschütteten zu graben. Tagelang | |
blieb Kobe sich selbst überlassen. Japans Verwaltung hat daraus | |
Konsequenzen gezogen. Das Land verfügt inzwischen über die weltweit besten | |
Rettungskräfte, und auch in die Rettungstechnik hat der Staat massiv | |
investiert. | |
Fukushima zeigt, dass es mit einer guten technischen Ausstattung nicht | |
getan ist. Angesichts der vielen Versäumnisse rund um die Katastrophe | |
werden die Rufe nach Sündenböcken auch unter der japanischen Bevölkerung | |
immer lauter. Träte Naoto Kan zurück, würde es jedoch den Falschen treffen. | |
Ohne politische Macht stellt sich vor allem die Frage, wer Japan die | |
Energiewende bringen soll ? Eine Verwaltung ist dazu nicht imstande. | |
25 May 2011 | |
## AUTOREN | |
Felix Lee | |
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