# taz.de -- Abschiedsinterview Polizeipräsident Glietsch: "Polizisten sind nic… | |
> Dieter Glietsch hat neun Jahre lang die Berliner Polizei geleitet, jetzt | |
> geht er in Pension. Er ist sich sicher, dass die Behörde nach seiner | |
> Amtszeit besser dasteht. | |
Bild: So kennt man ihn: Dieter Glietsch, besonnen guckend bei einer gemeinsamen… | |
taz: Herr Glietsch, seit 2002 haben Sie an der Spitze der Berliner Polizei | |
gestanden. Machen Sie drei Kreuze, das alles vorbei ist? | |
Dieter Glietsch: Ganz im Gegenteil. Etwas Schöneres als dieses Amt hätte | |
ich mir für meine letzten neun Dienstjahre nicht vorstellen können. | |
Haben Sie in Ihrem Kalender schon die nächsten sieben Kongresse zur | |
Sicherheitspolitik vermerkt? | |
Nein. Sicherheitspolitik war ein Teil meines Berufslebens und das endet am | |
31. Mai. | |
Wenn es nicht die Vorschriften des Beamtenrechts gäbe - hätte man Sie mit | |
80 raustragen müssen? | |
Das hätte passieren können. Es kann schwierig werden, wenn man es Leuten | |
wie mir überlässt, zu beurteilen, wann sie den Punkt erreicht haben, an dem | |
sie besser in den Ruhestand gehen. | |
Leuten, die von Macht und Verantwortung nicht lassen können? | |
Nein, Leuten, die so viel Freude an ihrem Beruf haben. | |
Bitte erklären Sie uns den Spaß. | |
Mir hat es sehr viel Freude gemacht, in diese Behörde gemeinsam mit den | |
Führungskräften und Mitarbeitern so weiterzuentwickeln, dass die Berliner | |
Polizei trotz erheblicher Personalreduzierungen heute nicht schlechter | |
dasteht als bei meinem Amtsantritt vor 9 Jahren. | |
Ein bescheidener Abspruch. | |
Ich neige nicht zu Übertreibungen. Man kann aber sicher auch sagen, dass | |
wir heute manches besser machen als vor 10 Jahren. | |
Sie haben bei Ihrem Amtsantritt einen Mentalitätswechsel bei der Polizei | |
angestrebt. Ist der bei der Bevölkerung angekommen? | |
Das glaube ich schon. Mir war es auch deshalb wichtig, dass die Polizei die | |
Bedeutung der Prävention für ihre Arbeit und ihr Verhältnis zur Bevölkerung | |
erkennt. | |
Geht es ein bisschen genauer? | |
Wir gehen auf die Menschen zu und bieten ihnen Zusammenarbeit, Beratung und | |
Unterstützung an. Wir gehen in die Schulen, Kindergärten und Jugendzentren, | |
zu Migrantenorganisationen und in die Moscheen. Damit machen wir auch | |
deutlich: Wir legen keinen Wert darauf, mit dem Knüppel loszuschlagen oder | |
mit dem Wasserwerfer drauf zu halten. Das gilt auch für Einsätze wie den 1. | |
Mai. Vorurteile und Vorbehalte werden abgebaut, das Bild der Polizei | |
verändert sich und es verändern sich auch Einstellungen in der Polizei. | |
Beim Amtsantritt hatten Sie der taz gesagt, Sie hätten das Ziel sagen zu | |
könne, die Polizei habe alles menschenmögliche getan, um einen Lösung für | |
Gewaltrituale am 1. Mai zu tun. | |
Ich würde sagen, wir haben mehr erreicht, als ich mir damals vorstellen | |
konnte. | |
Am diesjährigen 1. Mai gab es einen heftigen Pfefferspray-Einsatz der | |
Polizei. Man hat den Eindruck, am Ende Ihrer Amtszeit wird wieder | |
eingerissen, was Sie zuvor aufgebaut haben. | |
Der Eindruck ist nicht berechtigt. Polizeieinsätze sind kein automatischer | |
Betriebsablauf. Da steckt man nicht einen Chip vorne hinein und am Ende | |
kommt das gewünschte Produkt heraus. Jeder Einsatz wird gut vorbereitet, | |
aber die Lage entwickelt sich nicht immer nach Plan und Fehler sind | |
möglich. Deshalb war es auch immer eines meiner Ziele, eine Fehlerkultur zu | |
entwickeln. Wir haben den Ehrgeiz, die ersten zu sein, die Fehler erkennen | |
und einräumen, weil wir nur so aus ihnen lernen können. Wir haben aber auch | |
den Anspruch, dass diese Fehlerkultur von Außen unterstützt wird. | |
Neue Polizeitaktik am 1. Mai war, dass Gruppen von 20 Beamten im Zickzack | |
durch die Menschenmenge am Kottbusser Tor gezogen sind. Schaulustige wurden | |
angerempelt und bekamen Pfefferspray ins Gesicht. Wie passt dass zu Ihrem | |
Deeskalationskonzept, Unbeteiligte so wenig wie möglich in Mitleidenschaft | |
zu ziehen? | |
Wo sich eine problematische Menschenmenge ansammelt, durchmischen wir sie | |
mit Polizeikräften, damit gar nicht erst die Möglichkeit entsteht, aus der | |
Menge heraus auf eine Polizeiformation, die ihr gegenübersteht und | |
abwartet, was passiert, mit Flaschen und Steinen zu werfen. Dieses Konzept | |
haben wir schon erfolgreich im Vorjahr umgesetzt. Die Frage ist, ob jeder | |
Pfeffersprayeinsatz gerechtfertigt war. Daran bestehen Zweifel. | |
Als mobile Wagenburg durch die Menge zu ziehen ist für die Beamten bestimmt | |
ganz schön stressig. Ist der großzügige Einsatz des Pfeffersprays | |
vielleicht auf darauf zurückzuführen? | |
Das ist Gegenstand der Nachbereitung. Wir haben solche Situationen auch | |
schon bewältigt, ohne dass es Kritik an Pfefferspray-Einsätzen gegeben hat. | |
Manchmal führen aber neue Einsatzmittel zu Veränderungen im | |
Einsatzverhalten. Es ist ein Unterschied, ob ich ein handgroßes | |
Reizstoffsprühgerät habe, oder ob ich ein RSG 8 habe, das so aussieht wie | |
ein kleiner Feuerlöscher. Das wirkt schon optisch ganz anders. Deshalb | |
werden wir sehr kritisch prüfen, was da gemacht wurde. Und ich habe das | |
auch zum Anlass genommen, nochmals zu verdeutlichen, dass Reizstoffeinsatz | |
eine Form des unmittelbaren Zwangs ist, mit der man genauso zurückhaltend | |
umgehen muss, wie mit dem Einsatzmehrzweckstock. | |
Jetzt kommt aber demnächst ihr Nachfolger und kann all Ihre Anweisungen | |
wieder kippen. | |
Ich kann mir nicht vorstellen, dass mein Nachfolger das will. Ich glaube | |
auch nicht, dass ihm das so ohne weiteres gelingen würde. Denn die | |
Strategien und Konzepte, die heute die Arbeit der Berliner Polizei heute | |
prägen, sind keine Vorgaben durch den Polizeipräsidenten, sondern sie | |
wurden durch die Führungskräfte mit ihren Mitarbeitern selbst erarbeitet. | |
Das sind ihre Strategien und Konzepte, mit denen sie Erfolg hatten. Da kann | |
kein Polizeipräsident kommen und sagen, das ist alles Quatsch. | |
Und was ist mit der lang angekündigten Einzelkennzeichnung? Sie gehen in | |
Pension und die Schilder sind immer noch nicht an den Uniformen. | |
Das wird in den nächsten Wochen umgesetzt. Die Namensschilder für den | |
täglichen Dienst sind beschafft. Die Beschaffung für die Rückenkennzeichen | |
der Einsatzeinheiten läuft. | |
Aber es gibt immer noch heftige Widerstände innerhalb der Polizei. | |
Die Geschäftsanweisung ist in Kraft. Sie wird von den Gewerkschaften | |
abgelehnt, aber von einer großen Zahl der Mitarbeiter und von den | |
Führungskräften mitgetragen. Und zu beachten ist sie auch von denen, die | |
sie ablehnen. | |
Am 1. Mai haben Zivilpolizisten Anzeige gegen Kollegen erstattet haben, | |
weil sie von denen verletzt worden sind. Erschrecken Sie solche Vorfälle? | |
Sie erschrecken mich deshalb nicht, weil ich weiß, dass es im Einsatz immer | |
wieder Belastungssituationen gibt, die die eingesetzten Kräfte überfordern | |
und Fehlreaktionen auslösen können. Im Übrigen gibt es auch einen positiven | |
Aspekt. Ich habe meinen Mitarbeitern stets verdeutlicht: Polizisten sind | |
verpflichtet zur Kollegialität, nicht zur Kameraderie. Polizeibeamte | |
schauen nicht tatenlos zu, wenn ihre Kollegen Straftaten begehen. In zwei | |
Fällen sagen Mitarbeiter, es wurde Gewalt angewendet, obwohl kein Anlass | |
dazu bestanden hat, weder für den Einsatz von Pfefferspray, noch für | |
Schläge. Und ich habe keinen Grund, an ihrer Darstellung zu zweifeln. | |
In der linken Szene wird gern argumentiert, die Gewalt bei solchen | |
Demonstrationen werde durch solche Zivilpolizisten provoziert. Können Sie | |
so etwas ausschließen? | |
Das schließe ich aus. Das sind abenteuerliche Unterstellungen. Solche | |
Maßnahmen würden all unsere Grundsätze für den Umgang mit Demonstrationen | |
unglaubwürdig machen. Wir gefährden doch nicht unsere eigene Arbeit | |
dadurch, dass wir solche Sperenzchen machen. | |
Das mag aus der Schreibtischsicht stimmen. Was macht Sie so sicher, dass in | |
den Einheiten nicht nach wie vor kräftig zugelangt wird, wenn sie | |
unbeobachtet sind? | |
Ich arbeite nicht nur am Schreibtisch, und das gilt auch für andere | |
Führungskräfte. Gerade bei problematischen Einsätzen habe ich mich oft vor | |
Ort überzeugt, wie unsere Einsatzeinheiten arbeiten. | |
Sie haben aber keine Tarnkappe. | |
Glauben Sie, die Einsatzkräfte, die da in den schwierigsten Situationen | |
arbeiten, sehen oder wissen, dass da irgendwo der Polizeipräsident ist? Das | |
ist eine unrealistische Vorstellung. | |
Aber Sie sind nicht im Mannschaftswagen dabei, wenn einer Festgenommen | |
wird. | |
Ich kann nie ausschließen, dass ein Mitarbeiter mal die Nerven verliert. | |
Da geht es doch nicht um Nerven verlieren! | |
Ich kenne ganz unterschiedliche Situationen, in denen Polizeibeamte falsch | |
gehandelt haben und die Ursachen dafür sind ebenso unterschiedlich. Aber | |
die Vorstellung, dass die Strategie vorsätzlich von den Einheiten | |
unterlaufen wird, ist abwegig. Man muss sicherstellen, dass die | |
Einsatzeinheiten, von Vorgesetzten geführt werden, die besonders sorgfältig | |
ausgewählt sind; die selbst davon überzeugt sind, dass Polizeibeamte sich | |
so verhalten müssen, wie ich es eben beschrieben habe und die diesen Geist | |
auch in ihrer Einheit pflegen. Fehlentwicklungen kann man nie ausschließen. | |
Deshalb tun wir alles, damit wir sie frühzeitig erkennen und korrigieren | |
können. | |
Nicht nur der Polizeipräsident wechselt. Nach den Wahlen im September | |
könnte es auch einen neuen Innensenator geben. Wenn Sie sich für die | |
Berliner Polizei einen wünschen dürften, wäre das eher ein grüner Volker | |
Ratzmann, ein schwarzer Frank Henkel oder eine jüngere Ausgabe des | |
Amtsinhabers Ehrhardt Körting? | |
Wenn Herr Körting aufhören würde, würde ich mir eine jüngere Version von | |
ihm wünschen - egal in welcher Partei er wäre. | |
Aber er hört nicht auf? | |
Das würde ich der Polizei wünschen. Denn die Suche nach einer jüngeren | |
Version von Herrn Körting dürfte in allen Parteien schwierig sein. | |
Und was würden Sie sich für die Polizei wünschen? Einen neuen Wasserwerfer? | |
Einen türkischen Direktionsleiter? Oder stadtweite Videoüberwachung? | |
Ich würde mir wünschen, dass die Politiker aller Parteien der Polizei auch | |
in Wahljahren so sachlich und fair begegnen, wie sie es verdient. | |
Einen türkischstämmigen Direktionsleiter brauchen Sie nicht? | |
Wenn wir einen hätten, würde ich mich sehr darüber freuen. Jetzt kommt es | |
darauf an, den Anteil der Migranten zu erhöhen, damit das in Zukunft einmal | |
möglich wird. Ich habe ja einen sehr guten Kontakt zur türkischen Gemeinde | |
… | |
… die sind sehr traurig, dass Sie gehen! | |
Ich bin ja auch traurig. Wir haben sehr gut zusammengearbeitet und dafür | |
bin ich dankbar. | |
In der Polizei gibt es viele, die sind weniger traurig. Die sagen, sie | |
seien ja nur am rot-roten Bändel gelaufen. | |
Es gibt auch viele, die wissen, dass das keineswegs so war. Ich habe in den | |
neun Jahren nichts, aber auch gar nichts gemacht, wozu mich die Politik | |
gezwungen hätte. Und ich hätte mich auch zu nichts zwingen lassen. Eher | |
wäre ich gegangen. | |
Haben Sie mal einen richtigen Fehler gemacht? | |
Sicher. Aber keinen, von dem ich sagen könnte, der war so dramatisch, dass | |
ich da heute noch drüber nachdenken muss. | |
Hatten Sie schlaflose Nächte? | |
Es gab Nächte, in denen ich schlecht geschlafen habe. Beispielsweise wenn | |
ein Einsatz nicht so gelaufen ist, wie man sich das wünscht, wenn Kollegen | |
schwer verletzt oder gar getötet wurden. | |
Und im vergangenen November, als es offensichtlich eine sehr konkrete | |
Terrorwarnung für Berlin gab? | |
Da hatte ich keine schlaflosen Nächte. Solche Situationen kann man ganz | |
professionell beurteilen. | |
Hat sich Ihr Blick auf Berlin im Laufe der Jahre geändert? | |
Ja. Ich habe die Stadt ja erst kennengelernt. Vieles, was Berliner - auch | |
Menschen, die Verantwortung tragen - über die Stadt sagen, kann ich heute | |
nicht verstehen. Ich finde die Stadt toll. Sie ist lebendig, durcheinander, | |
nicht so sortiert wie andere. Man muss immer mit Überraschungen rechnen. | |
Mir ist die Stadt ans Herz gewachsen. Trotzdem ziehe ich zurück nach NRW, | |
weil ich das meiner Frau versprochen habe. Außerdem hänge ich mittlerweile | |
so sehr an Berlin und meiner Behörde, dass mir der Ausstieg aus dem Beruf | |
in einer völlig anderen Umgebung, mit Distanz zu dieser Stadt, leichter | |
fallen wird. | |
Haben Sie die Koffer schon gepackt? | |
Ich habe am 30. und 31. Mai Urlaub. Da ziehe ich um. | |
Was ist das für ein Gefühl, in den Ruhestand zu gehen? | |
Das ist das Gefühl, übernächste Woche wirst du in deinem Schaukelstuhl | |
sitzen und in Ruhe darüber nachdenken können, wie du dafür sorgst, dass das | |
Leben nicht nur aus Reisen und Bücherlesen und Konzertbesuchen besteht. | |
Das klingt nicht gerade ... | |
Es ist nicht die reine Freude. | |
26 May 2011 | |
## AUTOREN | |
Gereon Asmuth | |
Plutonia Plarre | |
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