# taz.de -- Ruanda-Völkermordprozess in Frankfurt: Töten als Bürgerpflicht | |
> "Arbeitet! Arbeitet!" So feuerte der Hutu-Bürgermeister seine Milizen vor | |
> der Kirche an, erinnert sich die Zeugin. Dann töteten sie über eintausend | |
> Tutsi. | |
Bild: Tutsi-Töten hieß beim Beklagten "gemeinnützige Arbeit". | |
FRANKFURT taz | Die Zeugin schiebt ihre Brille nach oben und wischt sich | |
mit einem Papiertaschentuch die Tränen aus den Augen. Am Morgen des 7. | |
April 1994 sei ihr Vater zu ihr gekommen, um sich zu verabschieden. "Wir | |
werden sterben", habe er gesagt. "Dieser Tag wird unser letzter sein." Dann | |
sei er gegangen. Sie fand in einer nahen Kirche Schutz - bis zu dem | |
Massaker, bei dem auch Onesphore Rwabukombe die Befehle gegeben haben soll. | |
Im Saal des Oberlandesgerichts Frankfurt sitzt er jetzt nur wenige Meter | |
von der 34-jährigen Zeugin entfernt auf der Anklagebank. Vor ihm liegt ein | |
schmaler Ordner. Er macht sich Notizen, blättert in den Gerichtsakten. Seit | |
dem 18. Januar sucht das Gericht nach der Wahrheit über den strenggläubigen | |
Familienvater. Sie liegt über 6.000 Kilometer entfernt und über 17 Jahre | |
zurück. | |
Die Bundesanwaltschaft wirft dem ehemaligen Bürgermeister von Muvumba | |
Völkermord vor. Er soll für die Ermordung von mehr als 3.730 Menschen | |
verantwortlich sein. Die Ermittlungsakten füllen etwa 25 Ordner, 31 Zeugen | |
haben bereits ausgesagt. Die meisten brauchten einen Dolmetscher. Viele | |
wirkten verunsichert. Einige verhedderten sich in der Detailversessenheit | |
eines Strafprozesses. Die Distanz schien oft zu groß, um der Wahrheit | |
wirklich nahe zu kommen – bis zu diesem Mittwoch, dem 23. Prozesstag. | |
Aber auch 17 Jahre nach dem Genozid kann sich die Hauptbelastungszeugin | |
immer noch nicht sicher fühlen. Ihr sei bereits versteckt gedroht worden, | |
sagt der Vorsitzende Richter Thomas Sagebiel. Er bittet die Journalisten, | |
ihren Namen nicht einmal mit Kürzel zu erwähnen. Den Hass auf die Tutsi | |
gibt es schon lange. Immer wieder hatten sie fliehen müssen, etwa ins | |
benachbarte Uganda. Ab 1990 versuchten sie als FPR (Front Patriotique du | |
Rwanda) mit militärischer Gewalt die alte Heimat zurückzuerobern. | |
Muvumba lag direkt an der Grenze. Schon damals ließ Rwabukombe laut | |
Zeugenaussagen viele Tutsi verhaften, unter dem Vorwand, sie seien Spione. | |
Nach gut zwei Jahren Bürgerkrieg musste Rwabukombe mit seiner gesamten | |
Gemeinde fliehen. Mit etwa 70.000 Menschen zog er nach Süden in die | |
Gemeinde Murambi. Über ein Jahr lang lebten die Menschen in den | |
Flüchtlingslagern, wo sie zu wenig zu essen hatten. | |
## Startschuss für den Mord an etwa 800.000 Menschen | |
Am Abend des 6. April 1994 wurde das Flugzeug des Präsidenten Juvénal | |
Habyarimana beim Landeanflug auf Kigali abgeschossen. Es war der | |
Startschuss für den Mord an etwa 800.000 Menschen, aber dennoch blieb es in | |
vielen Landesteilen zunächst ruhig. Nicht aber in Murambi. Rwabukombe soll | |
sich mit den Hardlinern vor Ort zusammengetan haben, um die Einwohner auf | |
den Völkermord einzustimmen. Bürgermeister konnten damals die Bürger zu | |
gemeinnütziger Arbeit verpflichten. Am 7. April war offenbar allen in | |
Murambi klar, dass sie Tutsi töten sollen, wenn sie dazu aufgefordert | |
werden, zu arbeiten. | |
Der Nebenkläger Aloys R., dessen Eltern Rwabukombes Leute ermordet haben | |
sollen, ist ein wichtiger Zeuge für diesen Vorwurf. Als das Gericht ihn am | |
Dienstag vernehmen wollte, funktionierten wieder einmal die Mikrofone | |
nicht. Ein Gerichtsdiener stöpselte die Kabel immer wieder um, klopfte auf | |
die Membran. Es war noch das kleinste Kommunikationsproblem des Tages. | |
Aloys R. holte weit aus, erzählt vom Beginn des Krieges. Sagebiel | |
unterbrach ihn: "Wir wissen schon, dass es für die Tutsi ab 1990 schwer | |
war. Wir wollen jetzt mal zu 1994 kommen." Der Zeuge bittet: "Erlauben Sie | |
mir noch einen Satz." Sagebiel wurde immer ungeduldiger: "Sagen Sie uns, | |
was nach dem Absturz der Präsidentenmaschine passierte!" Der Zeuge | |
erklärte, dass er wegen der Vorbereitungen sofort wusste, dass er sterben | |
könnte. "Vorbereitungen?" Sagebiel fuhr ihn an. "Davon haben Sie noch | |
nichts gesagt. Sie müssen systematisch berichten." Und er solle klar | |
unterscheiden, was er nur gehört und was er selbst gesehen hat. | |
Bundesanwalt Thomas Beck ging dazwischen: "Sie müssen den Zeugen auch | |
erzählen lassen. Sie unterstellen ihm ja, dass er es so nicht erlebt hat." | |
Sagebiel wurde lauter: "Ich will persönliche Details hören statt der | |
offiziellen Version." Beck wirkte empört: "Was ist denn diese offizielle | |
Version, die hier immer herumgeistert?" Ohne darauf zu antworten, | |
unterbrach Sagebiel den Prozess. | |
Der Richter fürchtet, die Zeugen könnten manipuliert sein. Darauf hat ihn | |
auch der von der Verteidigung vorgeschlagene Sachverständige Helmut Strizek | |
gebracht. Das Gericht lehnte ihn zwar wegen Befangenheit ab, weil er | |
Rwabukombe beraten hat. Doch eine These Strizeks taucht trotzdem immer | |
wieder auf: Alle Zeugen würden von der ruandischen Regierung zu | |
Falschaussagen erpresst. Sagebiel hält das zumindest für möglich. Als die | |
ruandischen Behörden die Zeugen, die aus Kigali nach Frankfurt kommen, | |
begleiten wollten, drohte er damit, das Verfahren dann einzustellen. | |
## Richter Sagebiel: "Wir haben hier alle Zeit der Welt" | |
In der Pause sprach Sagebiel mit den Bundesanwälten. Danach erzählte Aloys | |
R. in der Art, wie Ruander hier im Saal schon oft erzählt haben: Er fängt | |
ganz außen an, zieht den Kreis immer enger, bis er schließlich zum Punkt | |
kommt. Das kann dauern. Doch Sagebiel erinnerte sich wohl daran, was er zu | |
Beginn des Prozesses oft gesagt hatte: "Wir haben hier alle Zeit der Welt." | |
Und so berichtete Aloys R., wie er sich immer wieder in eines der Lager | |
geschlichen habe, um zu erfahren, was die Hutu planten. Mehrfach habe er | |
Rwabukombe reden hören. Einmal habe der Bürgermeister die Menge gefragt: | |
"Wer ist der Feind?" - "Die Tutsi, die Tutsi, die Tutsi!", habe die Menge | |
gebrüllt. Auch habe er gesehen, wie der Bürgermeister Waffen verteilte und | |
Listen mit den Namen der Tutsi vorlas. | |
Der Angeklagte wischte sich den Schweiß von der Stirn. Doch das alles | |
passierte vor dem 6. April 1994. Wenn er verurteilt wird, dann nur für | |
Taten, die nach dem Absturz der Präsidentenmaschine geschehen sind. Die | |
Zeugin, die am Mittwoch aussagt, ist daher viel entscheidender. Rwabukombe | |
trägt heute statt des Sakkos ein weißes Hemd mit kurzen Ärmeln. | |
## "Arbeitet! Arbeitet!" | |
Die Zeugin berichtet, wie die spanischen Priester ihre Sachen packten und | |
die Schlüssel für die Kirche von Kiziguro an Soldaten übergaben. Am | |
nächsten Morgen sei Rwabukombe zusammen mit Interahamwe-Milizen gekommen. | |
Die Soldaten öffneten das Tor. Männer und Frauen wurden getrennt. | |
Rwabukombe habe laut auf dem Hof herumgeschrien: "Arbeitet! Arbeitet!" Auch | |
habe er nach einem jungen Mann gerufen: "Komm raus mit deinem Gewehr!" Dann | |
hätten sie den Mann getötet. Sie habe sich dann mit vier anderen Frauen | |
wieder in dem Haus versteckt. | |
Richter Sagebiel will sich ein genaues Bild machen und bitte die Zeugin zur | |
Ortsbegehung an den Richtertisch. Sie wankt ein wenig. Sie zeichnet eine | |
Skizze. Sie zeigt, wo sie stand und wo Rwabukombe stand. Sie bricht in | |
Tränen aus. Der Angeklagte schließt die Augen, drückt mit Daumen und | |
Zeigefinger seine Nasenwurzel zusammen. | |
Bei dem Massaker von Kiziguro wurden am 11. April 1994 laut | |
Bundesanwaltschaft mindestens 1.200 Menschen getötet. Nur wenige blieben am | |
Leben, um die Leichen der anderen zu einem Brunnen zu schleppen und sie | |
dort hineinzuwerfen. Dann mussten sie selbst hineinspringen. 14 Menschen | |
lagen lebend tagelang zwischen den Leichen, bis Journalisten sie fanden. | |
## Typische Körpersprache | |
Für den 23. Prozesstag haben die Richter extra zwei Traumaspezialisten als | |
mögliche Gutachter geladen. Die Körpersprache der Zeugin sei "sehr typisch" | |
sagt Thomas Elbert von der Universität Konstanz: "Immer wenn sie ein Bild | |
aus ihrer Erinnerung aufgerufen hat, hat dem ein körperlicher Ausdruck | |
entsprochen. Es ist also glaubwürdig, dass sie das wirklich erlebt hat." | |
Auch Renate Volbert von der FU Berlin sieht keine Anhaltspunkte dafür, dass | |
die Aussagefähigkeit der Zeugin beeinträchtigt wäre. | |
Doch die Erinnerungen gehen der Ruanderin sichtbar nahe. Nach über vier | |
Stunden Vernehmung beschließt Sagebiel daher, die Verhandlung auf kommende | |
Woche zu vertagen. Die Zeugin wirke ihm zu schwach, um jetzt noch die | |
Fragen der Bundesanwaltschaft, vor allem aber die der Verteidigung | |
durchzustehen. | |
Abschließend schildert sie aber noch, wie sie sich mit vier anderen Frauen | |
in der Bibliothek der Priester verstecken konnte: Die plündernden Mörder | |
interessierten sich nicht für Bücher, am Nachmittag hätten sie sich | |
schließlich herausgetraut. "Als wir auf den Hof kamen, haben wir dort sehr | |
viel Blut gesehen", sagt sie. Dann seien die Frauen in unterschiedliche | |
Richtungen geflohen. Die Männer hätten sie verfolgt. Doch sie sei durch das | |
Tor gelaufen, an einer Marienstatue vorbei, in ein Feld mit Sorghumhirse. | |
Das Süßgras wächst meterhoch. Die 17-Jährige rannte um ihr Leben. | |
3 Jun 2011 | |
## AUTOREN | |
Andreas Kraft | |
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