# taz.de -- Ruanda-Völkermordprozess in Frankfurt: Wie in einem schlechten Maf… | |
> "Sag den Weißen, dass ich Hunger habe!" Einige skurile und sich | |
> widersprechende Aussagen - mehr hat die Videovernehmung im Ruanda-Prozess | |
> nicht ergeben. | |
Bild: Der wegen Völkermords angeklagte Onesphore Rwabukombe (l.) und Rechtsanw… | |
FRANKFURT taz | Fidele K. hat das Blatt Papier zu einem langen Streifen | |
zusammengefaltet. Manchmal schlägt er damit vor sich auf den Tisch, | |
manchmal schlägt er damit auf seinen kahl geschorenen Kopf. Später faltet | |
er den Zettel auf. Es ist seine Ladung: Er soll im Völkermordprozess gegen | |
den ruandischen Ex-Bürgermeister Onesphore Rwabukombe aussagen. Deshalb | |
sitzt er am Mittwoch in rosa Häftlingskleidung vor einem Fernseher in der | |
ruandischen Staatsanwaltschaft in Kigali. | |
Weil Fidele N. selbst wegen Völkermords im Gefängnis sitzt, darf er nicht | |
nach Deutschland kommen, was dem Gericht lieber gewesen wäre. Einen | |
entsprechenden Antrag des Senats wollte das Bundesjustizministerium nicht | |
an die ruandischen Behörden weiterleiten: Deutschland könne nicht | |
garantieren, dass die Zeugen auch wirklich wieder nach Ruanda | |
zurückgeschickt werden können. | |
Auch wenn an diesem Mittwoch und Donnerstag, anders als eine Woche zuvor, | |
die Verbindung nach Kigali gut ist, bringt die Videovernehmung das Gericht | |
der Wahrheit kaum näher. Das Gericht steht augenscheinlich unter Zeitdruck. | |
Der Vorsitzende Richter Thomas Sagebiel bittet Anklage, Nebenklage und | |
Verteidigung, sich auf das Wesentliche zu beschränken. "Die Leitung wird | |
immer schlechter", sagt Sagebiel am Mittwoch. "Wir müssen zusehen, dass wir | |
die Aussage rechtzeitig im Kasten haben." | |
Doch nicht nur die Technik setzt das Gericht unter Druck, auch der Zeuge | |
Fidele K. will augenscheinlich endlich zum Ende kommen. Er spricht den | |
Dolmetscher direkt an: "Sag den Weißen, dass ich Hunger habe. Ich habe seit | |
gestern nichts gegessen." Zudem fordert er eine Gegenleistung: "Ich helfe | |
Ihnen den ganzen Tag. Was bekomme ich dafür?" Er macht auch Vorschläge: Ein | |
Stück Seife oder etwas Zucker fände er als Entlohnung angemessen. | |
Als Rwabukombes Verteidigerinnen den Richter darum bitten, die Befragung zu | |
unterbrechen und dem Zeugen in Kigali etwas zu Essen zu geben, lehnt | |
Sagebiel ab: "Stellen Sie jetzt Ihre Fragen." Die Anwältinnen wirken | |
irritiert. "Ich werde den Zeugen in diesem Zustand nicht befragen", sagt | |
Natalie von Wistinghausen. "Sie haben doch auch eine Fürsorgepflicht." | |
Sagebiel lässt daraufhin ins Protokoll aufnehmen, dass die Verteidigung auf | |
ihr Fragerecht verzichtet. | |
## Probleme mit der Wahrheitsfindung per Video | |
Der Vorfall zeigt die Schwierigkeiten der Videovernehmung. Das Gericht hat | |
im Prinzip keinen Einfluss auf die äußeren Umstände. Zudem fehlt offenbar | |
die Zeit, die eigentlich nötig wäre, um die Zeugen so umfassend zu | |
befragen, dass die Richter wirklich klären können, wann die Zeugen die | |
Wahrheit sagen und wann nicht. | |
Fidele N. hatte dem BKA während der Ermittlungen gesagt, er habe | |
Rwabukombne bei dem Kirchenmassaker von Kiziguro gesehen. Laut der Anklage | |
und zweier Zeugen, die in Frankfurt ausgegsagt haben, soll Rwabukombe | |
damals die Ermordung von Tutsi befohlen haben. Doch heute widerruft Fidele | |
N. seine Aussage vor Gericht. Er habe sich geirrt, sagt er, und Rwabukombne | |
damals mit jemandem verwechselt, der inzwischen gestorben sei. | |
Es gibt zwei mögliche Erklärungen für den Sinneswandel: Er hat Rwabukombe | |
vor zwei Jahren belastet, weil er sich davon versprochen hat, dann selbst | |
kürzer im Gefängnis bleiben zu müssen. Inzwischen wurde in einem | |
Berufungsverfahren seine Strafe jedoch von 30 Jahren auf lebenslänglich | |
erhöht. "Ich sitze im Gefängnis und warte auf den Tod", sagt Fidele N. über | |
sich selbst. | |
Möglicherweise hat er aber auch Angst vor seinen Mithäftlingen. Er sitzt | |
zusammen mit 8.900 anderen Menschen in der Haftanstalt N'Sinda. Mehrere von | |
ihnen sollen noch per Video-Konferenz in dem Frankfurter Prozess aussagen. | |
Sie wüssten auch, sagt Fidele N., dass er selbst am Donnerstag aussage. Für | |
diese Variante spricht auch seine angebliche Verwechslung. "Das erinnert | |
schon an einen schlechten Mafia-Film", sagt Dieter Magsam, der Anwalt der | |
Nebenklage. "Weil er niemanden belasten will, belastet er einen Toten." | |
## Wer aussagt, bekommt nichts zu trinken | |
Servien K., der am Donnerstag vernommen wird, sagt sogar aus, er habe Angst | |
Rwabukombe zu belasten. Das Gericht bittet er daher darum, sich um die | |
Sicherheit seiner Familie zu kümmern. "Wir können da nichts machen", | |
antwortet Richter Sagebiel. Servien K. schildert daraufhin, wie er mal in | |
der Haft kein Wasser bekommen habe, weil man ihm vorgeworfen hatte, | |
Rwabukombe belastet zu haben. | |
Seine Aussage ist entsprechend. Er berichtet, Rwabukombe habe seine | |
Gemeinde kurz nach Beginn des Völkermords zu Ruhe aufgerufen. Sie sollten | |
sich nicht einmischen. Auch sei der Angeklagte wütend auf Bürger gewesen, | |
die sich den Morden beteiligt hatten. | |
Doch der Zeuge sagt nach zahlreichen Nachfragen auch aus, dass Rwabukombe | |
schon 1991 die Schieß-Ausbildung von etwa 350 Bürgern angeordnet und | |
unterstützt habe. Zudem habe Rwabukombe am 7. April 1994, quasi dem ersten | |
Tag des Völkermords, Gewehre an diese speziell ausgebildeten Bürger | |
verteilt. Servien K. sagt, auch er selbst habe eines dieser Gewehre | |
bekommen und damit einen Tutsi wegen dessen ethnischen Herkunft erschossen. | |
Der Prozess wird nach der Sommerpause am 1. August mit weiteren | |
Video-Vernehmungen fortgesetzt. | |
1 Jul 2011 | |
## AUTOREN | |
Andreas Kraft | |
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