# taz.de -- Steuern rauf und runter: Das Geschwätz von gestern | |
> Wenn die Wirtschaft kriselt, müssen Steuern runter, sagt die FDP. Jetzt | |
> sagt sie, dass Steuern runter müssen, weil die Wirtschaft brummt. Häh? | |
Bild: Wie jetzt? Spare in der Zeit, dann hast du in der Not? Oder: Bei konjunkt… | |
Um das Absurde der aktuellen Steuersenkungsdebatte in der Regierung zu | |
verstehen, versetze man sich kurz zurück in die Jahre um 2003. Damals gab | |
es in Deutschland sehr viele Arbeitslose, eine schwache Wirtschaft und, | |
kleiner Trost, einen liberalen Masterplan: Die Steuern müssen gesenkt | |
werden. | |
Denn dann würden die Menschen wieder mehr Geld in der Tasche haben, deshalb | |
mehr kaufen; bald würde es auch der Wirtschaft wieder gut gehen - und damit | |
dem ganzen Land. Egal ob in Talkshows, Pressemitteilungen oder im | |
Bundestag: Es galt das, was etwa FDP-Finanzexperte Hermann Otto Solms | |
damals sagte: "Man muss die Steuern senken, damit die Wirtschaft läuft." | |
Gerne wurde damals und auch in der Zeit der Finanzkrise 2009 hinzugefügt, | |
dass die entstehenden Staatsschulden in besseren Zeiten zurückgezahlt | |
würden. "Im Aufschwung kann der Staat die Verschuldung zurückfahren", sagte | |
zum Beispiel der heutige FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle im Januar 2009 | |
in einer Rede zum Konjunkturpaket. Das folgt der Logik des Ökonomen John | |
Maynard Keynes - sein Prinzip heißt "Deficit Spending". In der Krise gibt | |
man Geld aus, das man nicht hat, damit man es wieder zurückzahlt, wenn die | |
Krise vorbei ist. Die FDP ist also prinzipientreu. Hätte man denken können. | |
## Zinsenzinsenzinsen | |
Jetzt ist 2011, und zumindest Wirtschaftswachstum, Arbeitslosenquote und | |
Steuerschätzungen sehen viel besser aus, als die meisten erwartet hätten. | |
Langsam werden die Schulden auch zurückgezahlt. Aber eben sehr langsam: | |
Erst in dieser Woche sagte der Sprecher des Finanzministers in Berlin, pro | |
Tag gebe Deutschland immer noch 100 Millionen Euro Zinsen für die | |
Staatsschulden aus. | |
Und was sagen nun die Regierungsparteien? "Jetzt ein Signal zu senden durch | |
eine gezielte Entlastung bei den unteren und mittleren Einkommen" könne | |
auch für die Konjunktur sinnvoll sein, so FDP-Generalsekretär Christian | |
Lindner in dieser Woche. | |
In der Krise dienen ökonomische Prinzipen der FDP gerne als Argumentation. | |
Wenn es opportun ist, vergisst sie diese wieder. | |
Besonders problematisch dabei: Damit setzen die Liberalen zugleich die Axt | |
an die Verfassung. Die Schuldenbremse ist dort seit 2009 verankert, sie | |
zwingt die Bundesregierung zum Sparen in wirtschaftlich guten Zeiten - so | |
wie momentan. In der Regelung ist festgehalten, dass Mehreinnahmen durch | |
einen Konjunkturaufschwung nicht vom Staat ausgegeben werden dürfen. In so | |
einem Fall muss die Schuldenlast stattdessen noch stärker verringert | |
werden. | |
Gegen dieses Prinzip verstößt die Bundesregierung, wenn sie jetzt, im | |
konjunkturellen Aufschwung, wirklich die Steuern senkt. Natürlich weiß sie | |
um die Schwäche der eigenen Argumentation. | |
## konjunkturell oder strukturell? | |
Deshalb wird jetzt zwischen dem Kanzleramt und dem Finanzministerium wieder | |
ein wenig uminterpretiert: Die aktuellen Mehreinnahmen seien also nicht | |
konjunkturell bedingt, sondern strukturell, verbreiten Koalitionskreise. | |
Denn durch den demografischen Wandel änderten sich die Strukturen und damit | |
stehe eine Steuersenkung auch nicht im Widerspruch zur Schuldenbremse. | |
Nun gut. Es gibt in der aktuellen Debatte um die Steuersenkungen der | |
Regierung also einige Erkenntnisse. Dass die FDP jetzt Steuern senken will, | |
egal wie es der Wirtschaft geht, ist noch die am wenigsten überraschende. | |
Dass die Schuldenbremse nicht in einer Krise scheitert, sondern an einem | |
Aufschwung, ist vielleicht die traurigste. Und die einprägsamste sollte | |
sein: Wenn ein Politiker in einer Krise tatsächlich noch einmal sagt, im | |
Aufschwung werden Schulden zurückgezahlt, dann ist das nichts wert. Es | |
könnte bald ja schon wieder so weit sein. Im Bundestag werden bekanntlich | |
parallel schon wieder Rettungspakete geschnürt. | |
23 Jun 2011 | |
## AUTOREN | |
Gordon Repinski | |
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