# taz.de -- Kommentar Internet-Enquete-Kommission: Feigenblatt der Internet-Aus… | |
> Die Internet-Enquete-Kommission hat sich im Streit um Netzneutralität | |
> vertagt. Besser wäre gewesen, sie hätte sich ganz aufgelöst. | |
Was ist eine Internet-Enquete-Kommission und zu welchem Ende studieren wir, | |
was da geredet wird? Dieses erlauchte Gremium besteht aus Leuten, die aus | |
undurchsichtigen Gründen von den Parteien für sachverständig gehalten | |
werden, um zu empfehlen, wie mit dem Internet zu verfahren sei. | |
Die sachverständigen Kommissionsmitglieder mussten aber noch weitere | |
Sachverständige berufen. Nichts genaues weiß man nicht über das Internet, | |
was in Deutschland wegen der hier grassierenden und durch die ausländische | |
Presse bestätigten [1][German Internet Angst] nicht weiter verwundert. | |
Schade, dass Rosa Luxemburg Netzneutralität nicht kannte und Jürgen | |
Habermas sich nicht dafür interessiert. Beide könnten erklären, warum die | |
Enquete-Kommission sich bei diesem Thema zerstritt und die Abstimmung auf | |
einen Sankt-Nimmerleinstag im September verschob. | |
Netzneutralität ist so etwas wie eine technische Verfassung den Netzes. | |
Luxemburg definierte eine Verfassung als Waffenstillstandsvertrag im | |
Klassenkampf. Die Kontrahenten sind sich zeitweilig einig, nicht | |
gegeneinander Krieg zu führen. Die Regierungsparteien möchten das Internet | |
durch den Markt regeln lassen: Die Großen fressen die Kleinen auf, und der | |
Rest kommt ganz von selbst, bis alles in digitale Scherben fällt. | |
Die Opposition möchte in urdeutscher paternalistischer Tradition, dass der | |
Staat ganz viele Gesetze macht und die im Netz herumschwirrenden Bits und | |
Bytes in Regeln presst - eine Art Sozialstaat für Daten. Man warf sich | |
gegenseitig Papier-Konvolute in der Größe der Buddenbrooks an die Köpfe und | |
schmollte, wenn die Gegenseite sie nicht las. | |
## "Kommunikative Chancengleichheit" | |
Die so genannte Netzgemeinde kam sogar auf die kühne Idee, der Regierung | |
das Bekenntnis abringen zu wollen, auf Zensur ("Netzsperren") ganz zu | |
verzichten. Schön, dass wir darüber geredet haben ("kommunikative | |
Chancengleichheit"), würde Habermas einwerfen: Einen herrschaftsfreien | |
Dialog über das Internet wird es im Kapitalismus so wenig geben wie "faire" | |
Preise und Löhne oder Glück und Wohlstand für alle. | |
Die "Netzaktivisten" meinen es gut und irren: Man sitzt um Tische und wähnt | |
sich wegen des auf sichtbare Hierarchien verzichtenden Mobiliars auf | |
Augenhöhe mit den Entscheidern. Kommissionen sind dafür da, potenziell | |
widerborstige Leute zu sedieren. Diese Kommission war und ist ein | |
Feigenblatt der Internet-Ausdrucker in der Politik, und zu sagen hat sie | |
auch nichts. | |
Zudem interessiert sich große Teile des Volkes nicht für Netzneutralität, | |
sondern für gesellschaftlich relevante Dinge wie Fernsehen und Sport. Das | |
war im alten Rom nicht anders: Die Masse ging ins Colosseum und nur wenige | |
Spezialisten interessierten sich dafür, die Fußbodenheizung | |
weiterzuentwickeln. | |
Habermas, das sei den gefühlt wichtigen Mitgliedern der | |
Internet-Enquete-Kommission ins Stammbuch geschrieben, meinte, der einzelne | |
Mensch sei nicht von sich aus zur Vernunft begabt. Löste sich dieses | |
Gremium auf, niemand würde es vermissen. | |
5 Jul 2011 | |
## LINKS | |
[1] http://www.wired.com/politics/law/news/1998/06/12884 | |
## AUTOREN | |
Burkhard Schröder | |
## TAGS | |
Internet | |
Schwerpunkt Überwachung | |
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