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# taz.de -- Britische Medien- und Politikeliten: Die Wortmächtigen
> Die politische und die journalistische Eliten Großbritanniens sind auf
> unheilvolle Art ineinander verstrickt. Der Skandal um die "News of the
> World" ist nur Symptom dafür.
Bild: Alles im Griff: Murdoch (m.) mit Premier David Cameron (l.) und Kulturmin…
Zur Hochzeit von Rebekah Wade, Chefredakteurin des Massenblatts The Sun und
damit die wohl mächtigste britische Journalistin, waren sie alle gekommen:
Premierminister Gordon Brown, Oppositionsführer David Cameron, Konzernchef
Rupert Murdoch, Tony Blairs ehemaliger Chefsprecher Alastair Campbell,
Wirtschaftsbosse, Celebrities. Sie gaben sich am 13. Juni 2009 auf einem
idyllischen Landsitz tief in Oxfordshire ein Stelldichein, als aus Rebekah
Wade per Heirat mit einem oberkonservativen Pferderennexperten Rebekah
Brooks wurde.
"Ich hatte ein kurzes Gespräch mit Cameron", erinnerte sich jetzt Campbell
an jenen Tag. "Ich sagte: Ich hoffe, er gewinnt die kommenden Wahlen nicht,
aber wenn er sie gewinnt und wenn er die politische Debatte und die
Standards in der Presse verbessern will, würde ich ihn unterstützen … Er
sagte: Es ist schlimmer geworden, nicht wahr? Ich antwortete, er würde ein
viel stärkerer Premierminister sein, wenn er sein Amt ohne das Gefühl
antritt, einer der großen Mediengruppen etwas schuldig zu sein. In diesem
Augenblick stieß Murdoch zu uns, und wir wechselten das Thema. Vielleicht
hätten wir das nicht tun sollen."
Rebekah Brooks war damals gerade 41. Als sie im Jahr 2000 Chefredakteurin
der News of the World (NoW) wurde, war sie 32; nach drei Jahren wechselte
sie zur Sun. Kurz nach ihrer Hochzeit 2009 stieg sie zur Geschäftsführerin
des Murdoch-Imperiums News International auf. Im Mai 2010 gewann David
Cameron die Wahlen und wurde Premierminister. Mit Rebekah Brooks ist er so
eng befreundet, dass er zu Weihnachten 2010 einen Abend in ihrem Haus
verbrachte – die beiden Familien wohnen unweit voneinander auf dem Land in
Oxfordshire.
Zu diesem Zeitpunkt stand Cameron bereits im Zwielicht, weil Rebekah Wades
Nachfolger bei der News of the World, Andy Coulson, für ihn als
Chefsprecher arbeitete. Den Job hatte Cameron seinem alten Freund 2007
angeboten, nachdem Coulson die NoW wegen des illegalen Anzapfens der
Handy-Mailbox von Prinz William im Vorjahr verlassen musste. Im Januar 2011
trat Coulson deswegen auch als Camerons Sprecher zurück.
Die Verquickungen zwischen journalistischer und politischer Elite in
Großbritannien sind nicht auf die Konservativen beschränkt. Dass
Pressebarone sich durch gefällige Berichterstattung politische Vorteile
erkaufen, ist so alt wie die Presse. Aber heutzutage scheint es eher
andersherum zu laufen: Nicht die Journalisten betteln bei der Politik,
sondern die Politiker bei den Journalisten, deren Fähigkeit zur Steuerung
der öffentlichen Meinung als viel zu kostbar empfunden wird, um damit bloß
Zeitungsauflagen zu steigern.
Es war die Labour-Partei nach ihrem tiefen Jammertal der ewigen Opposition
unter Margaret Thatcher, die das als Erstes entdeckte. 1994 übernahm Tony
Blair die Parteiführung und heuerte Alastair Campbell, den ehemaligen
Politikchef des Sun-Konkurrenten Daily Mirror, als Chefstrategen und
Sprecher an.
Campbell sollte erstmals einer britischen politischen Partei eine
professionelle Außenkommunikation verpassen. Zugleich suchte Blair die Nähe
zu Murdoch und dessen Zeitungen The Sun und The Times. Zusammen ergab sich
daraus ein uneinholbarer Imagevorsprung, der Labour 1997, 2001 und 2005
drei haushohe Wahlsiege bescherte.
## Der Urvater der Spin Doctors
Campbell gilt seitdem als Urvater aller "Spin Doctors", wie die
Strippenzieher der politischen Kommunikation in London heißen. Erst 2010
ging die Macht an die Konservativen zurück – nachdem die sich endlich,
unter David Cameron, ebenfalls auf Professionalisierung eingelassen hatten.
Und wer hofft, Labour finde jetzt in der Opposition zu mehr Moral, darf
enttäuscht sein: Medienstratege des neuen Labour-Chefs Ed Miliband ist Tom
Baldwin, der mit Campbell befreundete bisherige politische Chefreporter der
Times.
Das Unbehagen über die jüngsten Enthüllungen, die zur spektakulären
Einstellung der News of the World geführt haben, ist nur aufgrund dieser
Vorgeschichte zu verstehen. Wenn sich erst Labour und dann die
Konservativen von der journalistischen Elite des Landes generalüberholen
lassen und wenn diese Elite jetzt als halbkriminell und verlogen dasteht,
gilt das Gleiche dann nicht auch für die Politik?
Im Sommer 2009 diskreditierte ein Skandal um Abgeordnetenspesen die
britische politische Klasse. Im Sommer 2011 sorgt die vermutete
Abhängigkeit der politischen Führung von der Journaille für einen neuen
Schub von Politikverdrossenheit.
Die angeprangerten Recherchemethoden von Journalisten sind hierbei nur ein
Symptom. Der Spesenskandal von 2009 wurde schließlich vom rechten Daily
Telegraph auch mit bestenfalls halblegalen Mitteln aufgedeckt, ebenso wie
die vielen Tory-Affären der 1990er Jahre im linken Guardian. Die Kampagnen
der News of the World unter Rebekah Wade zum Outing verurteilter
Kinderschänder stießen auf breite öffentliche Zustimmung.
In keinem Land der Welt werden politische Skandale so aggressiv aufgedeckt
wie in Großbritannien. Belohnt wird dies durch die höchsten Auflagen der
überregionalen Presse weltweit und durch einen aggressiven Konkurrenzkampf,
der ständig Höchstleistungen einfordert. Wer schwächelt, fliegt. Die
mehrstündigen Chefsitzungen, auf denen in der News of the World jedes
Detail einer neuen Recherche vor der Veröffentlichung unter die Lupe
genommen wird, sind legendär.
Ob das heimliche Anzapfen von Handys, womit 2006 die News of the
World-Affäre begann, überhaupt strafbar ist, ist umstritten: Das englische
Recht verbietet lediglich das Abfangen und Mitschneiden von Kommunikation
"während der Übermittlung". Eine Handynummer eines anderen anzuwählen und
die Mailbox abzuhören ist zunächst nur Verletzung der Privatsphäre.
## Geheimdienstmethoden sind Alltag
Dass Rebekah Brooks Polizisten schmierte, steht schon im 2005
veröffentlichten Bestseller-Tagebuch ihres News of the World-Vorgängers
Piers Morgan, heute der Nachfolger von Larry King bei CNN.
Geheimdienstmethoden sind im englischen Journalismus Alltag. Man
installiert bei informellen Treffen versteckte Mikrofone. Man gibt sich als
Lobbyist aus, um Politikern korrupte Angebote zu machen, und wenn sie
zusagen, schnappt die Falle zu. Man animiert die Öffentlichkeit,
Informationen anzubieten, und bietet fünfstellige Summen für Enthüllungen
über Sexaffären.
Im Jahr 2006 identifizierte eine Untersuchung 274 Journalisten, die private
Daten gekauft hatten; darunter waren 30 Mitarbeiter von Murdoch-Zeitungen,
aber 139 arbeiteten für die Labour-treue Mirror-Gruppe.
Doch die News of the World traf damit irgendwann nicht mehr nur die
Mächtigen, sondern alle. Jeder, der das Blatt einmal anrief, musste
offenbar damit rechnen, dass sein Telefon durchschnüffelt wird. Die beiden
ukrainischstämmigen Nachrichtenchefs des Blattes beauftragten dafür den
Detektiv Glenn Mulcaire und zahlten ihm monatlich umgerechnet 10.000 Euro.
Über 4.000 Opfer sind bekannt, darunter Familien von Afghanistan-Gefallenen
und Mordopfern.
All dies steht in Mulcaires 2006 polizeilich beschlagnahmten Unterlagen.
Nun wird gefragt, wieso solche Dinge bislang unentdeckt blieben und ob dies
damit zusammenhängt, dass der damals verantwortliche Polizeichef Andy
Hayman heute Times-Kommentator ist.
So beginnt die Elite sich zu zerfleischen. Der ehemalige
Formel-Eins-Präsident Max Mosley, Sohn des britischen Faschistenführers
Oswald Mosley aus den 1930er Jahren, finanziert angeblich Klagen von
Abhöropfern gegen News International. Die News of the World hatte Mosley
2008 beschuldigt, mit Prostituierten Sadomaso-Rituale in Nazikostümen zu
begehen, wurde dann aber wegen Verletzung der Privatsphäre verurteilt.
Immerhin dürfte die Debatte dafür sorgen, dass der Bann, den Murdoch & Co.
auf die britische politische Klasse ausüben, gebrochen wird. Wobei
natürlich Journalisten dies besonders eifrig fordern. Wie Campbell, der
Oberspindoctor von einst. "Teile der britischen Medien erinnern mich an die
Gewerkschaften vor Thatcher: Sie halten sich für unantastbar", schreibt er.
Der Sturm auf die Bastionen der Pressebarone beginnt.
12 Jul 2011
## AUTOREN
Dominic Johnson
## TAGS
Google
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