# taz.de -- Massengesichtserkennung via Facebook: Keine Blondine entkommt | |
> Unerkannt zur Demo gehen oder ein Bier zu viel beim Karneval ist nicht | |
> mehr. Facebooks Gesichtserkennnung macht aus anonymen Massenbildern | |
> markierte Risikofaktoren. | |
Bild: Markier mich: Panoramabild vom Rheinkulturfestivals inklusive Gesichtserk… | |
Es ist ein beeindruckendes Bild: 25.000 Menschen stehen vor einer Bühne, | |
ein Meer aus Köpfen, die teils gelangweilt, teils in Feierstimmung auf den | |
nächsten Gig warten. Es ist das [1][Panorama des Rheinkulturfestivals], das | |
am 2. Juli in Bonn stattfand. Fotografiert wurde es von Jeffrey Martin im | |
Auftrag des WDR. | |
Der Sender hat dazu aufgerufen, die Gesichter auf dem Bild mit | |
Facebook-Profilen zu kennzeichnen – bisher sind knapp 1.500 Markierungen | |
gesetzt worden. Bei einem ähnlichen [2][Projekt zum Glastonbury Festival | |
2010] sind es bereits 9.000 identifizierte Gesichter – ob davon allerdings | |
jede Markierung stimmt, darf getrost bezweifelt werden. | |
Trotzdem haben die Aktionen zu einem großen Aufschrei des Protestes | |
geführt: "Generation Gesichtserkenung" titelte die FAZ am Mittwoch und | |
brachte das Bild von Glastonbury auf der Titelseite. Andernorts [3][beklagt | |
man sich über die mangelnden Möglichkeiten zur Anonymisierung], nachdem man | |
getagged wurde und über die Verschwendung von öffentlich-rechtlichen | |
Gebühren. | |
Tatsächlich verhelfen diese Aktionen kurzfristig den Festivals zu einer | |
Menge Aufmerksamkeit, langfristig aber vor allem der | |
Facebook-Gesichtserkennung. Mit jedem Foto eines Nutzers steigt die | |
Wahrscheinlichkeit, dass der Dienst weitere Fotos wiedererkennt, weil ihm | |
dann noch genauere Daten - wie die Abstände und Größen von Mund, Augen, | |
Nase und Kinn - vorliegen. | |
## Schmerzfreies Facebook | |
Technisch machbar ist die Gesichtserkennung schon länger, Dienste wie | |
Googles Picasa, iPhoto und die Windows Live Galerie arbeiten bereits eine | |
ganze Weile damit. Allerdings blieben bei diesen Anwendungen die Vorschläge | |
immer lokal und wurden nicht standardmäßig online, also für alle sichtbar, | |
durchgeführt. Dass aber Facebook damit einen Tabubruch vollzogen habe, ist | |
weit hergeholt: "Zahlreiche Unternehmen" von Apple über die russische | |
Suchmaschine Yandex bis Google und Microsoft, so [4][Steffan Heuer auf | |
Heise], arbeiten an ähnlichen Verfahren. Google hält seine Ergebnisse | |
bisher zurück, Facebook war da schmerzfreier. | |
Das Verfahren mag schon lang in Erprobung sein, bisher brauchte es aber gut | |
ausgeleuchtete Frontalfotos und qualitativ hochwertige Vergleichsbilder. | |
Die werden nicht mehr notwendig sein, wenn die Nutzer die Datenbanken | |
füllen, beispielsweise iPhone-Apps Physiognomien identifizieren und online | |
mit Nutzerkonten verbinden. "Jeder, der sein Gesicht in der Öffentlichkeit | |
zeigt, kann potenziell identifiziert werden – die attraktive Blondine am | |
Nebentisch, der Passant im Hintergrund eines Touristenfotos, der Besoffene | |
auf dem Rosenmontagszug", schreibt Heuer. | |
Dass diese Entwicklung umkehrbar ist, hält Markus Beckedahl von der | |
Digitalen Gesellschaft für unwahrscheinlich: "Es steht zu befürchten, dass | |
wir da überrollt werden." Wünschenswert wäre, dass die Daten und Bilder des | |
Nutzers nur nach seiner Einwilligung frei zugänglich sind. "Es müsste da | |
ein Identity- Management-System geben, wo man mit Häkchen klar machen kann, | |
was man will, und sich nicht hinterher durch Widerspruch zu seinem Recht | |
verhelfen lassen muss." | |
## Vorteil: Verkürzter Smalltalk | |
Die Gesichtserkennung an sich sei nicht nur negativ, sagt Beckedahl: | |
"Natürlich ist es besser, wenn man auf einer Party ist und nicht so viele | |
Leute kennt, herauszufinden, wer einen jetzt interessiert oder wie man ein | |
Gespräch einleitet. Das verkürzt den Smalltalk." Momentan überwiegen aber | |
noch die negativen Seiten: Allein die Vorstellung, wie viele Ehen nach dem | |
Kölner Karneval geschieden werden würden, weil die Partner im Netz den | |
fremdknutschenden Abschnittsgefährten identifizieren, bereiten Bedenken. | |
"Außerdem wird die informationelle Selbstbestimmung unterlaufen", sagt | |
Beckedahl: Aus Angst, vom Arbeitgeber wiedererkannt zu werden, könnten | |
Bürger sich abgeschreckt fühlen, an Demonstrationen teilzunehmen. "Das hat | |
durchaus etwas einschüchterndes und kann die demokratische Willensäußerung | |
beschränken." | |
Ist es aber nicht so, dass, wenn alle nackt sind, einen die eigene | |
Nacktheit nicht stört? Wenn über jeden alles im Netz herauszufinden ist, | |
und zwar sofort, aus der eigenen Durchsichtigkeit kein Nachteil erwächst? | |
"Das klingt ja ganz nett", meint Beckedahl, "aber die Bild und andere Leute | |
wird's weiterhin geben, die diese Offenheit zu ihren Zwecken ausnutzen." | |
14 Jul 2011 | |
## LINKS | |
[1] http://rheinkulturpanorama.de/ | |
[2] http://glastonbury.orange.co.uk/glastotag/ | |
[3] http://www.metronaut.de/media/facebook-glastonbury-wdr-scheisse/ | |
[4] http://www.heise.de/tr/artikel/Nie-mehr-anonym-1266313.html | |
## AUTOREN | |
Frédéric Valin | |
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