# taz.de -- Medien-Abhörskandal in Großbritannien: Rasierschaum-Anschlag auf … | |
> Nach einer versuchten Rasierschaumattacke auf Rupert Murdoch wurde die | |
> Befragung kurz unterbrochen. Rebekah Brooks und die beiden Murdochs gaben | |
> sich unwissend. | |
Bild: Drama! Statt Schuhwerfern gibt es heute mal, äh, einen Rasierschaumatten… | |
Selten hat man einen schwarzen Range Rover öfter aus einer Londoner | |
Tiefgerage hüpfen sehen. Im Wagen: Rupert Murdoch, auf dem Weg zur Aussage | |
vor dem Kultur- und Medienausschuss des britischen Unterhauses. | |
Doch dort übernahm zunächst Sohn James das Reden, Murdoch Senior unterbrach | |
den bislang als Kronprinzen gehandelten Vizevorstand seiner News | |
Corporation nur, um kurz "Dies ist der demütigste Tag meines Lebens" zu | |
blaffen. Doch die Strategie, James Murdoch reden zu lassen, der sich | |
nochmals wortreich für den Skandal entschuldigte und sagte wie "sorry" er | |
sei "mit Blick auf die Opfer und ihre Familien", ging nicht auf. Ein | |
vorbereitetes Statement durfte er gar nicht erst verlesen, sondern nur | |
schriftlich einreichen. | |
Murdoch Junior blieb bei seiner bisherigen Darstellung, dass News Corp. bei | |
früheren Aussagen vor dem Ausschuss zum Phone-Hacking-Skandal vor zwei | |
Jahren "nicht im vollem Besitz der Fakten" gewesen sei. Als ab dem Frühjahr | |
2011 mehr Details bekannt wurden, habe man "umgehend die Polizei | |
eingeschaltet" und "so schnell wie möglich gehandelt". | |
## "Kein Grund, die Angelegenheit anders zu sehen" | |
2009 habe man sich auf die 2007 beendeten Ermittlungen der Polizei | |
gestützt, die Berichte der Presse Complaints Commission – des britischen | |
Äquivalents zum Deutschen Presserat – sowie die juristischen Einschätzungen | |
"unabhängiger Anwälte", nach denen die Sache mit der Verurteilung des | |
ehemaligen Royal Correspondents Clive Goodman erledigt sei. "Wir hatten | |
2008/2009 keinen Grund, die Angelegenheit anders zu sehen", sagte James | |
Murdoch. | |
Was die laufenden Ermittlungen gegen Mitarbeiter von Murdochs britischer | |
Zeitungungsholding News International oder der am 10. Juli eingestellten | |
Sonntagszeitung News of the World angeht, duckte sich der fürs globale | |
Geschäft zuständige Chief Operation Officer der News Corporation unter den | |
Fragen der Abgeordneten weg: Da hier "die polizeiliche Untersuchung | |
andauerten" und er mögliche Gerichtsverfahren "nicht kompromittieren" | |
wolle, bat James Murdoch "um Verständnis", hier aktuell nicht mehr sagen zu | |
können. | |
Er wiederholte nur den offenbar mit den Firmenanwälten eingeübten Satz, | |
dass man selbstverständlich "mit allen Untersuchungen voll und transparent | |
kooperieren" werde. Und natürlich, dass es "bis heute keinen Beweis gibt, | |
dass ich oder Rebekah Brooks [die am Freitag zurückgetretende News | |
International Chefin und News of the World-Chefredakteurin zur Zeit der | |
ersten Hackings, die Red.] irgendwelche Kenntnis" über das hatten, was | |
offenbar beim auflagenstärksten Murdoch-Blatt gängige Praxis war. | |
## Kein Mann der vielen Worte | |
Dann war Rupert Murdoch dran: Der 80-Jährige antwortete anfangs äußerst | |
knapp. "Ja" bestätigte Murdoch, dass bei News Corp eine Praxis der "Zero | |
Tolerance" bei schwerwiegenden Fehlern hersche. Und "nein", er wisse nichts | |
über das volle Ausmaß des Skandals – „Hier ermittelt jetzt die Polizei, u… | |
wir helfen ihnen, wo wir können“. | |
Auf Nachfragen, ob er die von Rebekah Brooks zugegebene Praxis, Polizisten | |
für Informationen zu bezahlen, unterstütze, wurde Murdoch sauer und | |
platschte, sozusagen als kategorischer Imperativ, mit der Hand auf den | |
Tisch: „Die News of the World“ – Platsch! – „macht weniger als ein Pr… | |
von News Coporation aus“ – Platsch! – das Unternehmen beschäftige „53.… | |
Menschen weltweit“ – Platsch! –, da könne er nicht alles mitbekommen. | |
Immerhin: Dass der auf königlichen Klatsch spezialisierte Reporter Clive | |
Goodmann 2006 verhaftet und verurteilt wurde, hatte er dann doch | |
mitbekommen: "I think so", sagte Rupert Murdoch auf entsprechende | |
Nachfragen. Dass ein News of the World-Reporter 2008 wegen Erpressung zu | |
vier Jahren Gefängnis verurteilt worden war, hatte er dagegen nicht | |
gewusst: „Das ist das Erste, was ich davon höre“, sagte ein ziemlich ins | |
Schwimmen geratender Murdoch Senior, „vielleicht kann mein Sohn hier | |
detaillierter antworten“. | |
## Vater und Sohn weisen Gerüchte zurück | |
Doch der durfte nicht, und Murdoch erklärte, auch nichts von den | |
außergerichtlichen Deals mit dem PR-Berater Max Clifford und anderen | |
gewusst zu haben, deren Telefone von NoW-Reportern gehackt worden waren. | |
"Mein Vater hat davon erst aus der Zeitung erfahren", sekundierte James, | |
dieses Mal erfolgreich. Dass es dabei um Hunderttausende Britische Pfund | |
geht – nach Zeitungsberichten soll allein Clifford 600.000 Pfund erhalten | |
haben – spielte keine Rolle bzw. wurde als Hinweis auf die Größe von | |
Murdochs Portokasse abgetan: "Das liegt deutlich unter den Summen, die vom | |
Vorstandsvorsitzenden abgesegnet werden müssen". | |
Genausowenig habe man gewusst, dass der Konzern Anwalts- und Gerichtskosten | |
für Goodman übernommen habe. Gerüchte, nach denen der frühere News of the | |
World-Chefredakteur Andrew Coulson nach seiner Entlassung im Zusammenhang | |
mit den Hacking-Vorwürfen weiter "Zuschüsse" von News International | |
erhalten habe, wiesen Murdoch Vater wie Sohn allerdings empört zurück. | |
Von den jüngsten Erkenntnissen, vor allem von dem Fall der ermordeten | |
13-jährigen Milly Dowler, auf deren Handy NoW-Reporter SMS gelöscht hatten, | |
habe er "erst vor zwei Wochen" erfahren, sagte Rupert Murdoch: Er sei immer | |
noch "geschockt, erschüttert und beschämt". Doch passte das nicht ganz zur | |
Chuzpe, mit der der Medienmogul den Ausschuss beschied, er habe dessen | |
Abschlussbericht von 2009 nicht gelesen. | |
Denn schon der hatte diverse Fragezeichen zur "Eintäter-These" bei der News | |
of the World aufgeworfen – als ein Ausschuss-Mitglied nochmal darauf | |
hinweist, dass der Bericht der damals vernommenen News | |
International-Chefetage "kollektiven Gedächnisschwund" bescheinigt, lachte | |
Murdoch sogar. Er rede gar nicht so oft mit seinen Chefredakteuren, wie | |
immer angenommen werde, sagte Murdoch – mit denen der News of the World | |
habe er höchstens am Samstag vor dem Erscheinen des Blattes gesprochen. | |
"Ich muss Ihnen sagen, wenn ich mehr mit jemandem rede, dann mit dem | |
Chefredakteur des Wall Street Journals, denn wir sitzen im gleichen | |
Gebäude", feixte Murdoch Senior: "Ich kann Ihnen gar nicht sagen, mit wie | |
vielen Angelegenheiten ich mich jeden Tag befassen muss." | |
## "So transparent, wie es nur irgend geht" | |
Die Entscheidung nach Bekanntwerden des Dowler-Falls, die News of the World | |
einzustellen, sei bei einem Treffen mit seinem Sohn James, Rebekah Brooks | |
und leitenden Polizeibeamten getroffen worden. Er habe das Blatt | |
eingestellt, weil "es das Vertrauen der Leser gebrochen hat", sagte Rupert | |
Murdoch. Ob es künftig Sonntags in Großbritannien wieder ein Boulevardblatt | |
aus dem Hause Murdoch geben wird, muss (trotz Branchenspekulation, er werde | |
einfach die Sun siebenmal in der Woche erscheinen lassen) offen bleiben: | |
„Unmittelbar gibt keine solchen Pläne, das ist nicht unsere Priorität im | |
Moment“. | |
Anschließend versuchte James Murdoch, die Initiative zurückzugewinnen: Man | |
begrüße ganz ausdrücklich die Ankündigung von Premierminister David | |
Cameron, eine öffentliche Untersuchung über journalistische Standards und | |
ethische Fragen der Media Governance durchzuführen. "Das ist eine gute | |
Sache nicht nur für News International und die Medienindustrie, sondern das | |
ganze Land." Doch auch das ging schief: Lange über die vorgesehene Zeit von | |
einer Stunde hinaus grillten die Abgeordneten beide Murdochs. | |
Doch die blieben bei ihrer Linie: Zu den laufenden Ermittlungen gegen ihre | |
Top-Mitarbeiter könnten sie aus Gründen eben dieser laufenden Ermittlungen | |
nichts sagen, so direkt seien sie zudem mit all den Vorgängen nicht befasst | |
gewesen – schließlich seien sie "ziemlich beschäftigte Leute". Doch sobald | |
neue Fakten ans Licht kamen, habe "das Unternehmen gehandelt". Nun sitze | |
man hier – und versuche, "so transparent zu sein, wie es nur irgend geht". | |
Die Vernehmung von Vater und Sohn Murdoch ist nach einem Zwischenfall | |
unterbrochen worden. Nach gut zwei Stunden versuchte ein Protestler einen | |
Rasierschaumanschlag auf Rupert Murdoch, wurde aber von Umsitzenden – unter | |
anderem Murdochs Frau Wendi Deng – daran gehindert. | |
Auch die BBC brach ihre Übertragung gemäß den Spielregeln für | |
Berichterstattung aus dem britischen Parlament ab. Auf Twitter erlärte der | |
Aktivist Jonnie Marbles vom britischen Protestnetzwerk "UK Uncut", er habe | |
die Attacke verübt - es sei "das Beste, was ich bisher getan habe". Nach | |
zehn Minuten Pause ging es weiter - und Rupert Murdoch durfte - nun ohne | |
Jackett - doch noch das vorbereitete Statement verlesen. Darin verspricht | |
er, unermüdlich daran zu arbeiten "das Vertrauen dieser Nation in unser | |
Unternehmen und in den gesamten britischen Journalismus | |
wiederherzustellen". | |
## Brooks erklärt gehackte Telefonate als widerlich | |
Nach Rupert und James Murdoch hat auch Rebekah Brooks nichts gewusst: Sie | |
habe keine Kenntniss davon gehabt, dass Mitarbeiter der von ihr geleiteten | |
Boulevardzeitung News of the World Telefone gehackt und Mailboxen | |
manipuliert hätten, so Brooks. | |
Brooks war zunächst Chefredakteurin der NoW und wurde 2003 Chefredakteurin | |
von Murdochs Boulevardblatt Sun. "Dass jemand von der News of the World, | |
den ich nicht kenne, Telefongespräche gehackt haben soll, ist mir so | |
widerlich wie jedem in diesem Raum" sagte Brooks vor dem Ausschuss. Wie die | |
Murdochs rühmte sie die interne Aufklärungsarbeit im Unternehmen und die | |
"volle Kooperation" mit den Ermittlungen der Polizei: "Heute müssen wir | |
akzeptieren, dass unsere eigene Untersuchung zu langsam war", sagte Brooks. | |
2009 war die heute 43-jährige Murdoch-Vertraute, die mit 29 die jüngste | |
Chefredakteurin im weltweiten News Corp-Reich wurde, in den Vorstand von | |
Murdochs britischer Zeitungsholding News International (Sun, Times) | |
aufgerückt. Am vergangenen Freitag trat sie von diesem Amt zurück, zwei | |
Tage später wurde sie vorübergehend von der Polizei verhaft, aber nach | |
stundenlanger Befragung gegen Kaution wieder auf freien Fuß gesetzt. | |
## Brooks schiebt die Schuld ab | |
Dass bei den News of the World Privatdetektive zu Ermittlungen und | |
Recherchen eingesetzt wurden, sei ihr dagegen bekannt gewesen, gab Brooks | |
zu: "Das haben alle Zeitungen so gemacht", sagte Brooks. Welche Summen | |
dafür bezahlt wurden, sei ihr unbekannt - "das war Sache des | |
geschäftsführenden Redakteurs", sagte Brooks. Dass NoW-Mitarbeiter oder von | |
diesen Beauftragte das Handy der 13-jährigen Milly Dowler nach deren | |
Ermordung gehackt, SMS gelöscht und die Polizei davon unterrichtet haben | |
sollen, dass die Schülerin unter Umständen noch lebe, habe sie erstmals am | |
4. Juli aus den Medien erfahren, sagte Brooks: "Ich bin geschockt und finde | |
das ekelhaft." | |
Sie sei sich aber sicher, "dass News International und die Polizei dieses | |
Sache restlos aufklären". Diese Bemerkung kam beim Ausschuss nicht gut an: | |
Ob sie die Abgeordneten wirklich glauben machen wolle, dass einfache | |
Reporter so etwas unternähmen, an der Chefredaktion vorbei ins Blatt | |
schmuggelten und ohne Rücksprache mit Vorgesetzten auch noch die Polizei | |
über angebliche neue Spuren informierten, wollte ein Ausschussmitglied | |
wissen. Brooks reagierte trotzig: "Es sind Fehler gemacht worden. Aber wir | |
stellen die Dinge richtig", sagte sie, ohne konkret auf solche Fragen | |
einzugehen. | |
Als Dowler 2002 verschwandt, war sie Chefredakteurin der News of the World | |
– zum fraglichen Zeitpunkt der Entführung und danach aber im Urlaub. Sie | |
werde aber in jedem Fall „die Verantwortung übernhemen“, sagte Brooks: „… | |
happened on my watch, es passierte, als ich letztlich verantwortlich war“. | |
Das konkrete Kommando hatte in diesen Tagen allerdings ihr Stellvertreter – | |
Andy Coulson. Er wurde 2007 bei NoW entlassen – und war später | |
Kommunikationsdirektor der Konservativen Partei – und war bis Januar 2011 | |
Berater des heutigen Premierministers David Cameron. Den kennt Brooks gut – | |
und nennt ihn einen persönlichen Freund. Dieser Freund befindet sich nun | |
auf dem Rückweg von einer hastig verkürzten Afrikareise – und will morgen | |
dem Parlament Rede und Antwort stehen. | |
19 Jul 2011 | |
## AUTOREN | |
Steffen Grimberg | |
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