# taz.de -- Dürre in Somalia: Hungern in Ruinen | |
> 3,7 Millionen Menschen leiden unter der schlimmsten Dürre in Ostafrika | |
> seit 60 Jahren. Die Bewohner von Mogadischu helfen den Opfern, so gut sie | |
> können. | |
Bild: Geflohen vor der Dürre: Kinder in Mogadischu. | |
MOGADISCHU taz | Am Morgen stand wieder ein Junge vor der Tür. Er habe | |
Hunger und seine Eltern auch, sagte er. Sharifa Omar Abukar drehte sich um, | |
ging ins Haus und holte die Hälfte des Brotes, das sie für ihre drei | |
Kinder, ihren Mann und sich selbst schon auf den Tisch gelegt hatte. | |
Das gab sie dem Jungen mit. Dabei war der Frühstückstisch der Familie, die | |
in der somalischen Hauptstadt Mogadischu lebt, sowieso vergleichsweise | |
spärlich gedeckt: Normalerweise gibt es zum Frühstück nicht nur trockenes | |
Brot, sondern Rührei dazu oder Innereien. Doch im Moment behält die | |
26-Jährige nur die Hälfte ihres Gehalts. Den Rest spendet sie an die Opfer | |
der Dürre, die seit rund drei Wochen jeden Tag zu Hunderten in die | |
Hauptstadt kommen. "Wenn ich sie sehe, kann ich gar nicht anders, als mit | |
ihnen zu teilen." | |
Sharifa Omar Abukar arbeitet für eine somalische Hilfsorganisation. Sie | |
heißt DBG, das Kürzel bedeutet "Hilfe für Alle". Die Organisation bekommt | |
regelmäßig Gelder von der Diakonie Katastrophenhilfe und der Caritas, vom | |
Auswärtigen Amt und vom Bundesministerium für Wirtschaftliche | |
Zusammenarbeit (BMZ). | |
Aber ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, als in Somalia die Krise infolge der | |
Dürre eskalierte, hatte die Organisation kaum noch Mittel zur Verfügung. | |
Projektanträge an die staatlichen Geber waren gestellt, aber noch nicht | |
beschieden. Nur von den beiden kirchlichen Organisationen hatte DBG noch | |
etwas Geld. | |
## Jeder will helfen | |
"Da haben wir beschlossen, dass alle Mitarbeiter auf die Hälfte ihres | |
Gehalts verzichten", erzählt Sharifa. Das sei rund einen Monat her und auf | |
diese Weise seien schon umgerechnet rund 11.000 Euro zusammengekommen. In | |
wenigen Tagen wollen die Mitarbeiter verteilen, was sie von diesem Geld | |
gekauft haben: Zeltplanen und Lebensmittel vor allem. Die Lebensmittel | |
wollen sie als gekochte Mahlzeiten ausgeben, "weil sonst das Risiko zu hoch | |
ist, dass die Flüchtlinge bestohlen werden". Außerdem durchforsten Sharifa | |
und ihre Kollegen ihre Kleidungsreserven und spenden, was sie nicht | |
unbedingt brauchen. Was sie entbehren können, verteilen sie an Dürreopfer, | |
die vor ihrer Tür stehen, oder bringen es in eins der Krankenhäuser. Jeder | |
in Mogadischu habe den Wunsch zu helfen, sagt Sharifa, die bei DBG für | |
Verwaltung und Kommunikation verantwortlich ist. | |
Die Vertriebenen prägen in Mogadischu das Stadtbild, wenn man von einer | |
"Stadt" überhaupt noch sprechen will. Nur in den Randbezirken gibt es neue | |
Gebäude, die entweder unbeschädigt oder weitgehend intakt sind. Aber das | |
alte, italienisch geprägte Zentrum ist völlig zerstört. Zwischen Ruinen, | |
Gestrüpp und Bergen von Müll leben überall Menschen. | |
Zum Beispiel rund um die katholische Kathedrale. Dort haben etwa 100 | |
Familien ihre Hütten gebaut: Sie haben Äste zu einem Halbrund gebogen und | |
sie dann mit dem gedeckt, was ihnen zur Verfügung stand: Tüchern, | |
Jutesäcken, Plastiktüten. An der Bauweise lässt sich in etwa erkennen, wer | |
gerade erst vor der Dürre floh und wer schon vor Jahren gekommen ist. | |
Moalim Maale, eine Frau in den 40ern, hat eine Plastikplane auf ihrer Hütte | |
am Fuß der Kathedrale. Ein Zeichen von relativem Wohlstand, sie ist auch | |
schon vor zwei Jahren vor einer Dürre aus der Gegend von Johar geflohen. | |
Als vor ein paar Wochen der Zustrom der neuen Dürreopfer begann, wuchs die | |
Gemeinschaft rund um die Kathedrale um das Doppelte an. Die | |
"Alteingesessenen" zeigten den Neuankömmlingen, wo die Garküchen sind, in | |
denen sie etwas zu essen bekommen. "Natürlich sind sie für uns eine | |
Konkurrenz", gibt Moalim Maale zu, "weil wir jetzt das Wenige teilen | |
müssen, was es hier überhaupt gibt". Aber dass sie den Neuen hilft, sich in | |
der Hauptstadt durchzuschlagen, war für sie zu keinem Moment eine Frage. | |
## "Komm mit" | |
Musa Elmi Ali hat sogar zwei Familien bei sich aufgenommen. Er selbst lebt | |
seit zwanzig Jahren in einem der kleineren Lager von Mogadischu. Bis die | |
Dürreopfer kamen, drängten sich schon rund 380 Familien auf dem kleinen | |
Grundstück in der Stadt. Jetzt sind es doppelt so viele, sagt Musa Elmi | |
Ali, stellvertretender Sprecher der Vertriebenen. Und als er die Menschen | |
sah, die die Lkws in Mogadischu ausspuckten, da hatte er gar keine andere | |
Wahl, als einige aus seiner Heimatregion bei sich aufzunehmen. | |
"Wenn man ein bisschen zwängt und drückt, findet sich Platz", sagt er auf | |
die Frage, wie in aller Welt die fast 20 Menschen in seiner kleinen Hütte | |
Platz finden sollen. Er selbst sagt "Haus" zu seiner Unterkunft: einem | |
Verschlag aus blauem Wellblech, den er mit Frau und Kindern erst vor vier | |
Monaten bezogen hat. Davor hat er zwanzig Jahre lang in einer der | |
provisorischen Hütten aus Holzgestell und Plastikplane gewohnt, die noch | |
immer das Bild im Lager prägen. Dann kam der Umzug in eines der | |
Wellblechhäuser, die DBG mit deutschen Geldern in dem Lager errichtet | |
hatte. Das Leben schien plötzlich so viel einfacher - bis drei Monate | |
später die Opfer der Dürre zu Tausenden nach Mogadischu kamen. | |
Die Familien, die er aufnahm, kamen wie er aus Bay und Bakol, einer einst | |
fruchtbaren Gegend, die nun von der Dürre hart getroffen ist. Sie flohen | |
mit ihren Kindern, nachdem das letzte Vieh verendet war - einst reiche | |
Menschen mit über hundert Schafen und Ziegen. "Musa hat uns gesehen, | |
nachdem wir vom Lkw gestiegen sind", erzählt eine von seinen Gästen. "Und | |
er hat einfach gesagt: Kommt mit!" | |
Das Einzige, was er nicht mit ihnen teilte, ist die Matte unter dem | |
Moskitonetz, die Bettstatt für ihn selbst und seine Frau. Ja, sagt Musa, | |
ihre Gäste seien für die Familie eine Last. Aber es gibt für ihn nichts | |
anderes, als zu helfen. Dabei ist er selbst mit seiner Familien auf die | |
Garküchen angewiesen, die somalische Hilfsorganisationen überall in | |
Mogadischu betreiben. | |
## "Sie brauchen alles" | |
Saacid, eine somalische Organisation, verteilt in allen 16 Stadtbezirken | |
von Mogadischu - und damit auch in den Gebieten, die von der | |
radikal-islamistischen Gruppe al-Schabaab kontrolliert werden. "Das machen | |
wir schon lange", sagt Abduwahab Adan Bole. Der Somalier arbeitet für das | |
Danish Refugee Council und hält jetzt die beiden Menschengruppen im Auge, | |
die zwischen den rußgeschwärzten Mauerresten eines zerstörten Gebäudes auf | |
den Beginn der Essensausgabe warten. Jeden Tag kommen zwischen 900 und | |
1.100 Menschen. Die einen wurden schon vor Jahren vertrieben, die anderen | |
sind seit dem 25. Juni gekommen: Opfer der gegenwärtigen Dürre. "Sie haben | |
nichts mehr und brauchen alles", sagt Abduwahab Adan Bole. Er überwacht, ob | |
bei der Verteilung von Maisbrei und Soße alles mit rechten Dingen zugeht. | |
Seit die Neuankömmlinge kamen, teilen sie die Menschen in zwei Gruppen: Die | |
"Neuen" bekommen zuerst, dann die "Alten". Um Unruhe zu verhindern, stehen | |
die Töpfe für die "Alten" in deren Sichtweite: Sie bekommen auf jeden Fall | |
ihren Anteil, nur dass die anderen zuerst bekommen, weil sie ausgehungerter | |
sind. Bislang hätten sie genug Mais für alle, sagt Abduwahab Adan Bole. Nur | |
die Soße ist seit Tagen wässrig, weil die Linsen ausgegangen sind, die das | |
Welternährungsprogramm meistens beisteuert. Also gibt es zu dem zähen | |
Maisbrei eine wässrige, aber immerhin würzige Brühe. | |
Seit die Krise Ende Juni so massiv Mogadischu erreichte, hat Saacid mobile | |
Ernährungsstationen für Kinder eingerichtet, die mit Geldern aus dem | |
Ausland unterstützt werden. Die Zahl derer, die Hilfe suchen, nimmt täglich | |
zu. "Wie viele Fälle wir haben, hängt davon ab, wie viele Mitarbeiter wir | |
durch die Stadt schicken", sagt der Krankenpfleger Abdullahi Mohammed | |
Ibrahim, der eine mobile Ernährungsstation im Distrikt Dharkenly leitet. Er | |
und seine Mitarbeiter geben alles und tun immer zu wenig, sagt er | |
deprimiert. "Wir sind seit Wochen überfordert." | |
## Die Vorräte sind alle | |
In Dharkenly leben inzwischen 16.000 Opfer der Dürre. Vor drei Tagen sind | |
sie zum ersten Mal mit ihrer mobilen Ernährungsstation hierhergekommen. | |
Fünf Kinder sind seitdem gestorben, und das waren noch nicht mal die | |
schwersten Fälle. Diese bringen sie in eines der wenigen Krankenhäuser von | |
Mogadischu. Oft ist der Zustand der Eltern und Geschwister nicht viel | |
besser. Häufig teilen die Familien die Aufbaunahrung, die für die Jüngsten | |
bestimmt ist, unter allen auf. Es gebe in der Stadt von allem zu wenig, | |
sagt der Krankenpfleger. "Wir brauchen die Hilfe der großen | |
Organisationen." | |
Die aber, bedauern viele somalische Helfer, seien zurzeit damit | |
beschäftigt, Studien zum Ernst der Lage zu erstellen. "Bis diese Studien | |
fertig sind, sind viele Kinder tot", sagt die Ärztin Lul Mohamud Mohamed. | |
Die Kinderärztin ist stellvertretende Direktorin des Benadir-Krankenhauses. | |
Seit Ende Juni kommen täglich mindestens 100 neue Patienten hinzu. 30 | |
Prozent der Kinder seien schwer oder schwerst unterernährt, manche sind so | |
knochig, dass ihr Tod nicht mehr fern scheint. Sie bräuchten dringend | |
Aufbaunahrung, aber die Vorräte sind seit Längerem verbraucht. Sie gibt | |
also, sagt die Ärztin mit unterdrücktem Zorn, Vollmilch und Maisbrei. "Das | |
ist nicht das Richtige, aber besser als nichts." | |
Doch allmählich läuft die Hilfe wohl an, auch in Deutschland. Mehrere | |
deutsche Hilfsorganisationen haben angekündigt, Partnerorganisationen in | |
Somalia mit Geld für die akute Hilfe zu unterstützen. Auch DBG bekommt | |
jetzt Geld für Nothilfe. Diese gute Nachricht haben Sharifa und ihre | |
Kollegen am Dienstag erhalten. Das Geld dafür kommt unter anderem von der | |
deutschen Regierung. Auch Unicef und UNHCR stocken ihre Hilfe auf. | |
20 Jul 2011 | |
## AUTOREN | |
Bettina Rühl | |
## TAGS | |
Somalia | |
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