# taz.de -- Hungersnot in Afrika: Essen reicht nicht | |
> Das hungernde Somalia muss hierorts als Chiffre für ein immer wieder | |
> scheiterndes Afrika herhalten. Doch das ist falsch und die Not kein | |
> Schicksal. | |
Bild: Eine Region, von Dürren geplagt: Ein Mitarbeiter einer Hilfsorganisation… | |
BERLIN taz | Im Zusammenhang mit einer Hungersnot gibt es bedrückende | |
Gesetzmäßigkeiten: Warnungen vor einer drohenden Katastrophe, ausgesprochen | |
von Fachleuten in irgendeinem Konferenzraum, alarmieren weder Fernsehteams | |
noch Zuschauer. Die reagieren erst, wenn es erschütternde Bilder gibt. Und | |
die gibt es nur, wenn man den Notleidenden ihr Elend bereits ansieht - also | |
für viele selbst bei bester Versorgung jede Hilfe zu spät kommt. Die Körper | |
sind nämlich oft schon zu geschwächt, um noch Nährstoffe aufnehmen zu | |
können. | |
Die Vorstellung, man müsse Hungernden einfach nur etwas zu essen geben und | |
alles werde wieder gut, ist naiv. Vor allem Kinder brauchen ein sorgfältig | |
zusammengestelltes Aufbauprogramm, das allerdings eben auch nicht alle | |
retten kann. Viele sterben vor laufenden Kameras und in Reichweite | |
gefüllter Teller. Bei der ohnmächtigen Weltöffentlichkeit verstärkt dies | |
den Eindruck, eine Hungersnot sei ein unabwendbares Schicksal, ein | |
apokalyptischer Reiter, dem sich niemand in den Weg stellen könne. | |
Dieser Eindruck ist falsch. Ebenso falsch wie der Reflex, aus der Lage in | |
einer bestimmten Region pauschale Rückschlüsse auf die Verhältnisse in ganz | |
Afrika zu ziehen. Die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung südlich der | |
Sahara leidet keinen Hunger, und nur etwas mehr als fünf Prozent leben | |
UN-Angaben zufolge in einem Kriegsgebiet. Was bedeutet: 95 Prozent tun das | |
nicht. Kaum eine andere Zahl macht so deutlich, wie weit ein verbreitetes | |
Zerrbild des Kontinents von der Realität entfernt ist. | |
Allerdings trifft es zu, dass das Horn von Afrika eine besonders häufig von | |
Dürren heimgesuchte Region ist, wahr ist außerdem, dass der Klimawandel die | |
seit Urzeiten bestehenden Probleme noch verschärft hat. Das jedoch bedeutet | |
nicht, dass ein Nahrungsmittelengpass zwangsläufig in eine Katastrophe | |
münden muss. Politische und wirtschaftliche Stabilität machen eine solche | |
Situation beherrschbar, zumal in den heutigen Zeiten moderner Verkehrswege | |
und internationaler Verflechtungen. | |
## Chaos statt Stabilität | |
Aber in Somalia gibt es eben keine Stabilität, sondern Chaos. Nach mehr als | |
zwei Jahrzehnten Bürgerkrieg ist das Land zum Prototyp des zerfallenen | |
Staates geworden, eine friedliche Lösung der Konflikte ist nicht in Sicht. | |
Vor beinahe 20 Jahren hat die UNO unter Führung der USA schon einmal | |
versucht, dort eine Hungersnot in den Griff zu bekommen. Mit militärischen | |
Mitteln. Die Intervention ging schief, vor allem deshalb, weil die | |
ausländischen Kräfte die Machtverhältnisse zwischen den verschiedenen | |
Fraktionen veränderten und so selbst zur Kriegspartei wurden. Anfangs, ohne | |
sich dessen selbst bewusst zu sein - sie verstanden wenig von den | |
Verhältnissen und interessierten sich auch nicht dafür. | |
Seither verfolgen die USA, gelegentlich mit militärischer Gewalt, vor allem | |
das Ziel, ein Erstarken islamistischer Kräfte zu verhindern. Ein großer | |
Teil der somalischen Bevölkerung sieht in denen jedoch mittlerweile die | |
einzige Ordnungsmacht, die wenigstens eine kleine Hoffnung auf Einigung des | |
zersplitterten Landes bietet. | |
Vor diesem Hintergrund ist es nicht erstaunlich, dass die Vereinten | |
Nationen in weiten Teilen des Landes auf Misstrauen stoßen. Angesichts der | |
Vergangenheit wird es lange dauern, bis der UNO oder ihren einzelnen | |
Teilorganisationen in Somalia geglaubt wird, ihr Handeln sei allein von | |
humanitären Beweggründen bestimmt. Man kann es deshalb zwar | |
unverantwortlich finden, dass Milizen nicht jede Hilfe freudig willkommen | |
heißen - aber irrational ist es nicht. Jedenfalls nicht innerhalb der Logik | |
des somalischen Bürgerkrieges und seiner Vergangenheit. | |
Den Notleidenden helfen solche Erkenntnisse gar nichts, sie sind auf akute | |
Hilfe angewiesen. Und da die Bordmittel internationaler Organisationen | |
dafür nicht ausreichen, werden Spenden gebraucht. Mindestens ebenso | |
dringend aber muss endlich die Forderung nach ernsthaftem politischem - | |
nicht militärischem - Engagement der Staatengemeinschaft erhoben werden. | |
Ohne Frieden ist nämlich sogar die nächste Hungersnot nur eine Frage der | |
Zeit. | |
28 Jul 2011 | |
## AUTOREN | |
Bettina Gaus | |
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