# taz.de -- Hungersnot Ostafrika: Die letzte Kuh ist tot | |
> Wie eine somalische Hirtenfamilie am Ende ihrer Kräfte nach Mogadischu | |
> zieht. Die Not ist im Gebiet der Islamisten am größten, aber die Helfer | |
> stört das nicht. | |
Bild: Warten auf die Essensausgabe in einem Camp in Mogadischu. | |
MOGADISCHU taz |Vor zwei Wochen schlachtete Ahmed Madou seine letzte Kuh. | |
Die anderen seiner einst 30-köpfigen Herde waren innerhalb der vergangenen | |
sechs Wochen verendet, aus Mangel an Wasser und Nahrung. Die letzte war | |
auch schon so mager, dass Ahmed Madou wusste, sie würde nicht mehr lange | |
überleben. Er sah außerdem die Herden der anderen Hirten sterben, in Lower | |
Shebelle, dem einstigen Brotkorb Somalias. Die Region ist eine der beiden, | |
die von der UNO zu Hungerregionen erklärt worden ist. Lower Shebelle sowie | |
die meisten Teile Südsomalias werden von der islamistischen Shabaab-Miliz | |
kontrolliert. | |
Drei Tage lang aßen Ahmed Madou und seine Familie von dem Fleisch ihrer | |
letzten Kuh, dann brachen sie auf nach Mogadischu. "Für den Weg hatten wir | |
nur etwas Wasser", erzählt Ahmed Madou. "Brot haben wir unterwegs | |
erbettelt." Immerhin überlebten sie. Viel mehr nicht: Ihr jüngster, | |
zweijähriger Sohn hat Hungerödeme und wiegt nur acht Kilo. Auch seine | |
Eltern und sein dreijähriger Bruder brauchen dringend Hilfe. | |
Wenn sie sich in Mogadischu auskennen, finden sie auch etwas. Denn in | |
Somalias zwischen Regierung und Shabaab umkämpfter Hauptstadt gibt es trotz | |
des Krieges Strukturen der Hilfe, beispielsweise Garküchen in jedem | |
Stadtteil, in denen Helfer tagtäglich Essen für hunderte von Bedürftigen | |
kochen. | |
Die irische Organisation Concern arbeitet nach eigenen Angaben durchgehend | |
seit 25 Jahren in Somalia. "Wir arbeiten in allen Gebieten, auch in denen, | |
die jetzt von der Shabaab kontrolliert werden. Dadurch haben wir sehr | |
zuverlässige Kontakte zu der Bevölkerung aufgebaut", sagt Regionalleiter | |
Austin Keenan. Concern gehört zur Alliance 2015, einem europäischen Verbund | |
von Hilfswerken. Vor Ort arbeiten nur somalische Mitarbeiter. Deren | |
"Lebensversicherung" und der Schlüssel zum Zugang zu den Hungernden ist | |
strikte Neutralität. | |
Weil sie auf diese Neutralität größten Wert legen, können auch andere | |
westliche Organisationen seit Jahren in allen Gebieten helfen. Dazu gehören | |
das Internationale Rote Kreuz IKRK, das vor Ort vor allem über den | |
Somalischen Roten Halbmond präsent ist, ebenso Ärzte ohne Grenzen und sogar | |
christliche Organisationen wie Norwegian Church Aid oder die somalische | |
Partnerorganisation der Diakonie Katastrophenhilfe mit dem Kürzel DBG. "Wir | |
sind streng neutral", sagt deren Direktor Omar Olad. "Wir verhandeln mit | |
allen Seiten, auch mit den Shabaab." | |
Nur den UN-Hilfswerken und einigen anderen Organisationen wie Care | |
verweigern die Shabaab den Zugang. Sie werfen ihnen vor, politische Ziele | |
zu verfolgen. Allerdings ist die Shabaab keine einheitliche Gruppe. | |
Diejenigen in der Führungselite, die in Afghanistan geschult wurden, sind | |
deutlich radikaler als die eher "nationalen" Kader. So könnte sich auch das | |
Durcheinander Ende vergangener Woche erklären, als die Shabaab ihren Appell | |
um internationale Hilfe von Anfang des Monats zurückzog. | |
Viele Kenner halten die Organisation derzeit für geschwächt. Im Juni wurde | |
der ostafrikanische Al-Qaida-Chef Fazul Abdullah Mohammed in Mogadischu | |
getötet. Seitdem sollen viele ausländische Kämpfer Somalia demoralisiert | |
verlassen haben. Einige seien nach Jemen und Libyen gezogen. Für Somalia | |
ist das zunächst eine gute Nachricht. "Mit den somalischen Shabaab kommen | |
wir klar", sagt einer der somalischen Helfer. "Das Problem sind die | |
Ausländer." Trotzdem sind sie weiterhin misstrauisch. Viele Beobachter | |
sehen in der Shabaab-Einladung an die internationalen Helfer auch den | |
Versuch, mehr Geld für die derzeit klamme Miliz zu generieren. | |
26 Jul 2011 | |
## AUTOREN | |
Bettina Rühl | |
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