# taz.de -- Volkswirtin zur Euro-Krise: "Deutschland braucht eine Inflation" | |
> Noch fünf Jahre bleiben dem Euro, wenn es so weitergeht - mit | |
> verheerenden Folgen. Es fehlt eine europäisch koordinierte Lohnpolitik, | |
> meint die Volkswirtin Friederike Spiecker. | |
Bild: Ist er in fünf Jahren verschwunden? Die EU will ihre Währung retten. | |
taz: Frau Spiecker, wird der Euro überleben? | |
Friederike Spiecker: Der Euro ist in fünf Jahren tot, wenn die jetzige | |
Politik fortgesetzt wird. Ein solcher Euro-Crash hätte noch schlimmere | |
Folgen als die Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers. | |
Warum sind Sie so pessimistisch? | |
Inzwischen steigen sogar schon die Versicherungsprämien für französische | |
Staatsanleihen. Irgendwann fliegen alle Länder aus der Euro-Zone - außer | |
Deutschland und vielleicht noch die Niederlande, Österreich und Finnland. | |
Aber in Brüssel hat man doch gerade versucht, den Euro zu retten. | |
Die EU-Politiker diskutieren auf ihren Gipfeln immerzu das falsche Thema: | |
Sie verengen den Blick auf die Staatsschulden und die Korruption. | |
Ist es etwa kein Problem, dass Griechenland auf einem Schuldenberg sitzt, | |
der demnächst 160 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung ausmacht? | |
Es reicht nicht, nur auf die Schulden zu starren - sondern man muss sich | |
fragen, wie sie überhaupt entstanden sind. Griechenland, Portugal, Spanien, | |
Italien und sogar Frankreich haben ein Problem mit ihrer | |
Wettbewerbsfähigkeit. | |
Kanzlerin Merkel hat auch schon erkannt, dass Griechenland nicht | |
wettbewerbsfähig ist. Wieso liegt sie dann trotzdem falsch? | |
Angela Merkel hält es für ein reines Problem der Griechen, dass deren Waren | |
zu teuer sind. Aber "teuer" ist kein absoluter Wert, der an und für sich | |
gilt. Es ist eine relative Größe. Griechenland oder auch Italien sind zu | |
teuer, aber gleichzeitig ist Deutschland zu billig. Seit der Einführung des | |
Euros sinken die Reallöhne in Deutschland, wie eine Studie des Deutschen | |
Instituts für Wirtschaftsforschung in dieser Woche wieder bestätigt hat. | |
Mit seinen zu geringen Löhnen unterbietet Deutschland alle anderen | |
Euro-Länder. Selbst Frankreich kann nicht mehr mit den deutschen Preisen | |
konkurrieren. Aber spätestens wenn Frankreich aus dem Euro fliegt, ist der | |
Euro tot. | |
Was würden Sie den EU-Politikern also für den nächsten Gipfel empfehlen? | |
Sie müssen sich auf eine europaweit koordinierte Lohnpolitik verständigen. | |
Die Löhne im Süden dürften nur ganz gering steigen - dafür müssten sie in | |
Deutschland deutlich zulegen. | |
Steigende Löhne bedeuten steigende Preise. Sie würden Deutschland also eine | |
Inflation verordnen? | |
Genau. Bisher hat Deutschland seine Löhne und Preise ständig gesenkt im | |
Vergleich zu den anderen Euro-Ländern. Um das zu korrigieren, müsste die | |
Inflation in Deutschland künftig über der Preissteigerung in den | |
Krisenländern liegen - dann würden diese wieder wettbewerbsfähig. | |
Gerade Deutsche haben aber eine enorme Angst vor Inflation. | |
Die Inflation müsste gar nicht hoch sein: 3 Prozent würden schon völlig | |
reichen, wenn der Preisauftrieb in den Krisenländern bei nur einem Prozent | |
liegt. Dann wäre der Süden Europas langfristig wieder wettbewerbsfähig. | |
Außerdem würde die Binnennachfrage in Deutschland angekurbelt, wenn endlich | |
die Reallöhne steigen. | |
Aber die deutschen Exporte würden einbrechen. | |
Die deutsche Exportindustrie muss verstehen, dass es für sie noch die beste | |
Option ist, wenn sie durch eine europaweit abgestimmte Lohnpolitik langsam | |
an Wettbewerbsfähigkeit verliert. Die Alternative wäre der Crash des Euro. | |
Dann würde die neue DM über Nacht um 30 bis 40 Prozent aufgewertet werden - | |
und die deutschen Waren wären auf den Weltmärkten schlagartig so teuer, | |
dass sie niemand kaufen kann. Wenn der Euro platzt, würde in Deutschland | |
eine Wirtschaftskrise ausbrechen, wie wir sie nach dem Zweiten Weltkrieg | |
noch nicht erlebt haben. | |
Haben Sie noch Hoffnung, dass sich ein Euro-Crash vermeiden lässt? | |
Eigentlich nicht, weil höhere Löhne hier ein Tabu sind. | |
22 Jul 2011 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Herrmann | |
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