# taz.de -- Psychologie des Oslo-Täters: "Ein Attentäter mit Amokdynamik" | |
> Die politische Ideologie ist bei Gewalttätern ein Deckmantel für eigene | |
> Probleme. Das sagt die Kriminalpsychologin Karoline Roshdi - auch über | |
> den Attentäter von Oslo. | |
Bild: "Behring Breivik wollte nach der Tat einfach berühmt sein und als Held d… | |
taz: Frau Roshdi, wie soll man das nennen, was in Norwegen passiert ist? | |
Ist Anders Behring Breivik Terrorist oder Amokläufer? | |
Karoline Roshdi: Nach der klassischen Typologisierung liegt hier weder ein | |
Amoklauf noch ein terroristischer Akt vor. Ein Terrorakt wird zwar von | |
einzelnen Tätern, beispielsweise Selbstmordattentätern, ausgeführt, aber in | |
der Regel geht eine Gruppe gegen ein Feindbild vor. Einen Amoklauf hingegen | |
führt meist ein Einzelner aus, seltener mehrere Täter, wie an der Columbine | |
High School in Littleton. Hier wird symbolisch gegen bestimmte | |
Personengruppen gehandelt, die für den Täter einen Missstand bedeutet | |
haben, wie beispielsweise Lehrer. | |
Was für ein Motiv hatte Behring Breivik? | |
Behring Breivik ist ein Attentäter mit einer Amokdynamik. Als übergeordnete | |
Kategorie sprechen wir von einem zielgerichteten Gewalttäter. Er hat sich | |
als Tempelritter bezeichnet, wollte als einsamer Krieger dastehen. An einer | |
anderen Stelle fordert er, dass Europa befreit werden soll, und fordert zu | |
weiteren Handlungen auf. Damit ermutigt er terroristische Akte. | |
Behring Breivik hat 76 Menschen ermordet. Liegt in seinem im Internet | |
kursierenden Manifest der Schlüssel für die Tat? | |
Er hat seiner Tat zwar eine rechtsextreme Ideologie zugrunde gelegt, aber | |
wenn er wirklich politische Motive gehabt hätte, dann hätte auch der erste | |
Anschlag gereicht. Aber er ist weitergezogen, um so viele Menschen wie | |
möglich zu töten. Letztlich geht es da um andere psychische | |
Verfangenheiten. Die Mordlust lässt sich nicht mit seiner Ideologie | |
erklären. Gerade weil er ein Einzeltäter war, spielen noch viele andere | |
Motive mit rein, die ihm wahrscheinlich selbst gar nicht bewusst sind. | |
Also ist er einfach psychisch gestört? | |
Dass er sich so stark in diese Ideologie hineingefunden hat, zeigt, dass es | |
auch um psychische Faktoren geht. Die rechtsextreme Ideologie ist nur ein | |
Deckmantel - auch für sich selbst. Jeder Täter muss für sich seine Tat | |
rechtfertigen. Behring Breivik wollte nach der Tat einfach berühmt sein und | |
als Held dastehen. Das zeigt sich an diesem Manifest und seinen Aktivitäten | |
im Internet. Er hat auch geschrieben, dass er nichts dagegen hat, wenn sein | |
Manifest auf Deutsch oder Französisch übersetzt wird. Er hat damit | |
gerechnet, in die Geschichte einzugehen. | |
Der Attentäter hat sein Vorgehen akribisch geplant und auch für die | |
Inszenierung nach der Tat gesorgt. Wie sollen Medien und Öffentlichkeit | |
darauf reagieren? | |
Man sollte den Fokus auf die Auswirkungen legen, nicht auf den Täter. Die | |
Bilder, die jetzt kursieren, hatte der Täter an sein Manifest angehängt, | |
damit hatte er ja bereits für seine heroische Darstellung gesorgt. Und | |
derartige Bilder sollten nicht publiziert werden, um ihm nicht die Bühne zu | |
geben und um Nachahmungstäter zu vermeiden. Denn das sehen jetzt auch | |
andere Menschen, die vielleicht in einer misslichen Lage sind und für sich | |
da eine Möglichkeit sehen, berühmt zu werden. Durch die mediale Präsenz | |
kann es aber eine Steigerung geben, so wie im Fall der School-Shooter. | |
Wie beim Amoklauf in Littleton und dem Attentat auf das Regierungsgebäude | |
in Oklahoma 1995 war auch der Täter von Oslo männlich und weiß. Gibt es | |
noch weitere Parallelen zu der Tat in Norwegen? | |
Die Studien variieren, aber man kann sagen, dass über 90 Prozent aller | |
zielgerichteten Gewalttäter Männer sind. Sie alle haben ein sehr ähnliches | |
Profil. Der rechtsextreme Hintergrund in Oklahoma ist eine weitere | |
Parallele. Und auch einer Täter des Columbine-Amoklaufs, Eric Harris, hat | |
sich sehr für Hitler interessiert und in der Schule seinen Freund und | |
Mittäter Dylan Klebold auch mit "Sieg Heil" und Hitlergruß begrüßt. Bei | |
Amokläufern und Attentätern im Allgemeinen finden wir sehr häufig eine | |
politisch extreme Anhängerschaft, oft rechtsextrem, aber es kann in jede | |
Richtung gehen. Der Amokläufer von Emsdetten beispielsweise hat sich sehr | |
stark für die RAF interessiert. Allen ist gemeinsam, berühmt werden zu | |
wollen, deshalb hinterlassen sie auch Material von sich. Im Unterschied zu | |
den Tätern in Columbine hat sich Anders Behring Breivik nicht getötet. Das | |
passt aber, denn offenbar genießt er ja jetzt seine Rolle. | |
Sie sprachen von der psychischen Disposition. Wie genau sieht die bei einem | |
Menschen aus, der eine solche Tat begeht? | |
Das sind weniger bestimmte psychische Komponenten, sondern der Weg zur | |
Gewalt. Es gibt zwei Modi der Gewalt: Jagdmodus und Verteidigungsmodus. | |
Letzteres ist "heiße Wut", der Jagdmodus ist "kalte Wut". Die Täter | |
befinden sich in kalter Wut. Wie ein Jäger liegen sie ruhig auf der Pirsch. | |
Wenn es günstig ist, schlagen sie zu. Bei diesem Prozess findet ein | |
Empathieabbau statt. Wenn der Jäger für seine Beute Empathie empfände, | |
könnte er sie nicht erschießen. Es gibt aber auch psychopathische Täter, | |
die von Haus aus wenig Empathie haben. Bei Behring Breivik könnte das der | |
Fall sein. | |
27 Jul 2011 | |
## AUTOREN | |
Sunny Riedel | |
Sunny Riedel | |
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Österreich | |
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