# taz.de -- Kämpfe in Syrien: Erste Risse an Assads Front | |
> Syriens Regime treibt seine Offensive gegen die Protestbewegung voran. | |
> Gleichzeitig häufen sich Desertierungen, die Armee scheint nicht | |
> ausreichend Truppen zu haben. | |
Bild: Syrische Soldaten. Aber für welche Seite kämpfen Sie? | |
BEIRUT taz | Es ist bereits spät in der Nacht, als die Männer von Sabadani, | |
einem Damaszener Vorort, aus der Moschee auf die Straße strömen. Es mögen | |
700 sein, vielleicht 800. Gerade haben sie mit ihren Familien das Fasten | |
gebrochen, danach haben sie sich zum Tarawieh versammelt, einem Abendgebet, | |
das es nur während des Ramadan gibt. | |
Sie setzen sich auf den Straßenasphalt rings um einen Checkpoint der | |
syrischen Armee. "Das Volk und das Militär sind eins", skandieren sie. Die | |
Soldaten stehen reglos da, sie lächeln den Demonstranten zu. "Plötzlich | |
hörten wir Schüsse von allen Seiten", sagt Mohammed, ein junger Demonstrant | |
über Skype. "Es war, als wäre ein Krieg über Sabadani hereingebrochen." | |
Ein 14-jähriger Junge starb in der Nacht zu Dienstag in dem Damaszener | |
Vorort, vier Männer wurden verletzt. Doch es waren keine Soldaten, die auf | |
die Demonstranten schossen, sagt Mohammed, es waren Sicherheitskräfte des | |
Innenministeriums. Knapp fünf Monate nach Beginn des Protests gegen Baschar | |
al-Assads autoritäres Regime gibt es noch immer keine Anzeichen für eine | |
Spaltung der Armee. | |
Was sich aber abzeichnet, ist, dass es an der Basis zu bröckeln beginnt: | |
Berichte von Desertierungen häufen sich. Zwar sind es überwiegend einfache | |
Soldaten und Wehrpflichtige, die den Befehl verweigern. Doch wenn ihre Zahl | |
ansteigt, könnte es eng für das Regime werden: Während die Demonstrationen | |
immer weiter um sich greifen, gerät die Armee in Bedrängnis. | |
In den vergangenen Tagen hat das Regime zwar bewiesen, dass es noch immer | |
in der Lage ist, eine groß angelegte Offensive in mehreren Städten | |
gleichzeitig voranzutreiben. Während die Armee ihre Angriffe in Hama in | |
Westsyrien sowie in Deir as-Sur weit im Osten des Landes fortsetzte, zogen | |
sich Panzer und schwere militärische Fahrzeuge am Montagabend zusätzlich um | |
Sabadani zusammen. In den Randbezirken von Damaskus sind die Proteste | |
zuletzt erheblich angeschwollen; das Regime fürchtet daher, dass der | |
Aufstand während des Ramadan auch auf das Zentrum übergreifen könnte. | |
## Milizen statt Soldaten | |
Doch nach Angaben von Anwohnern in Hama und in Deir as-Sur wurde keine | |
größere Anzahl von Soldaten in den Innenstädten stationiert. Aktivisten | |
gehen davon aus, dass die Armee schlicht nicht mehr genug Truppen hat, um | |
alle Protesthochburgen zu besetzen. In Hama wurden offenbar gestern | |
anstelle von Soldaten überwiegend Schabiha eingesetzt, Mitglieder einer | |
gefürchteten Miliz, die im Dienste des Regimes agiert. | |
"Schabiha sind in das Gefängnis eingedrungen und haben politische Gefangene | |
getötet", sagt Amal, eine Augenzeugin in Hama. "Wir haben draußen ihre | |
Schreie gehört, später sahen wir 15 verkohlte Leichen auf der Straße | |
liegen." Zusätzlich griffen Sicherheitskräfte und Milizionäre den Vorort | |
Janoub al Malab an; Maschinengewehrfeuer und Explosionen von Panzergranaten | |
dröhnten über die Stadt. | |
"In die engen Straßen der Altstadt können die Panzer nicht eindringen. Die | |
Anwohner haben die Gassen zudem mit Barrikaden versperrt", sagt Amal. "Nun | |
haben sie uns gewarnt: Wenn wir die Barrikaden nicht abräumen, werden sie | |
die ganze Siedlung dem Erdboden gleichmachen." | |
Viele Anwohner flohen Berichten zufolge in die umliegenden Dörfer, aus | |
Furcht, dass die Armee die Stadt erneut unter ihre Kontrolle bringen wird. | |
Die Zahl der Toten am Dienstag stand zunächst nicht fest. Seit Sonntag sind | |
landesweit rund 150 Menschen gestorben, über 100 davon allein in Hama. | |
## Gefechte in Deis as-Sur | |
Auch in Deir as-Sur eröffnete die Armee erneut das Feuer auf die | |
Zivilbevölkerung. In der ärmlichen Stadt nahe der irakischen Grenze liegen | |
die wichtigsten Öl- und Gasvorkommen Syriens. Zudem gilt Deir as-Sur wegen | |
seiner Lage an der Grenze als Zentrum des Waffenschmuggels; unbestätigten | |
Berichten zufolge sollen sich Teile der ortsansässigen Regimegegner | |
bewaffnet haben. | |
Zusätzlich erhöht eine wachsende Zahl von Desertierungen in Ostsyrien die | |
Gefahr, dass der bislang überwiegend friedliche Protest in einen | |
bewaffneten Aufstand umschlagen könnte: Mindestens 57 Soldaten sollen dort | |
über das Wochenende die Seiten gewechselt haben. | |
"Es waren sehr junge Kerle, vielleicht 17 oder 18 Jahre alt", sagt Fadi, | |
ein Zahnarzt. "Sie haben sich in Doura, einem Vorort von Deir as-Sur, | |
verschanzt." Seither, schildert er, toben in diesem Viertel Gefechte | |
zwischen regimetreuen und desertierten Einheiten. Das Wasser sei in weiten | |
Teilen der Stadt abgestellt worden, die Nahrung werde knapp. Dennoch | |
demonstrieren die Menschen weiterhin jede Nacht, sagt der Zahnarzt: "Wir | |
können nicht viel tun. Wir rufen ,Allahu Akbar' und bitten die übrige | |
Armee, uns zu beschützen." | |
2 Aug 2011 | |
## AUTOREN | |
Gabriela M. Keller | |
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