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# taz.de -- Aufstand in Syrien: Exekutionen auf offener Straße
> Syriens Sicherheitskräfte haben die Stadt Hama offensichtlich wieder
> unter Kontrolle. Der Überlegenheit des Regimes hatten die Bewohner nichts
> zu entgegnen.
Bild: Bis zu 500.000 Menschen sollen in Hama gegen das Regime auf die Straße g…
BEIRUT taz | Die geschlagene Stadt Hama haben Syriens Sicherheitskräfte
offenbar wieder unter Kontrolle. Seit Beginn der Offensive am Sonntag hat
die Bevölkerung verzweifelt versucht, den Vormarsch der Truppen
aufzuhalten: Sie errichteten Barrikaden aus Möbeln, Mülltonnen und
Gartenzäunen, sie stellten sich den Panzern mit Knüppeln und Metallstangen
in den Weg. Doch der überwältigenden Überlegenheit des Regimes hatten sie
letztlich nichts entgegen zu setzen.
Die Armee ist am Mittwochvormittag ins Zentrum der westsyrischen Stadt
vorgedrungen. Soldaten, Sicherheitskräfte und Mitglieder der regimetreuen
Shabiha-Miliz nahmen mehrere Wohnviertel unter Beschuss, vor allem die
Protest-Hochburgen Janoub al Malaab, Hader und Manakh. Im Laufe des Tages
besetzten die Soldaten den zentralen Orontes-Platz, auf dem es in den
vergangenen Wochen zu den bislang größten Demonstrationen in Syrien kam:
Anwohnern zufolge sollen dort bis zu 500.000 Menschen gleichzeitig den
Sturz des autoritären Regimes gefordert haben.
Gleichzeitig rissen alle Verbindungen nach Hama vollständig ab. Telefon-,
Internet- und Mobilfunknetze sind seit Mittwoch abgeschaltet, ebenso wie
Wasser und Elektrizität. Somit ist weit gehend unklar, was sich derzeit in
Syriens viertgrößter Stadt abspielt. Auch, wie viele Menschen ums Leben
gekommen sind, kann niemand sagen. Bislang ist die Rede von 45 bis 150
Toten. Doch danach zu urteilen, was noch aus der Stadt heraussickern,
könnte die Zahl auch erheblich höher sein.
"Unsere Quellen berichten von Leichenbergen auf der Straße", sagt der
syrische Menschenrechtsaktivist Wissam Tarif. "Häuser sind unter dem
Beschuss mit schwerer Artillerie zusammengebrochen, die Krankenhäuser sind
überfüllt, und die Rettungswagen können viele Verwundete nicht erreichen."
Die Armee habe die Bevölkerung davor gewarnt, ihre Häuser zu verlassen, in
diesem Fall werde scharf auf sie geschossen.
Das, was der Menschenrechtler sagt, lässt sich nicht prüfen; der Aktivist
selbst hat nur noch Kontakt zu einem einzigen Anwohner von Hama, einem
angesehenen Arzt, der ein Satellitentelefon hat. Doch Tarifs Angaben haben
in den vergangenen Monaten durchweg als verlässlich erwiesen. "Das, was wir
hören, ist sehr verstörend: In mehreren Vierteln soll es zu Exekutionen
gekommen sein: Die Sicherheitskräfte durchkämmen die Siedlungen, sie
treiben die Männer zusammen und erschießen sie auf offener Straße", sagt
er. Die Truppen sollen außerdem das Feuer auf die Moscheen der Stadt
eröffnet haben. Sie riegelten den Zugang zu den Gebetsräumen ab und
schossen vor allem auf die Lautsprecher an den Minaretten.
## Angriffe auf Moscheen
Die Moscheen spielen bei den Protesten eine wichtige Rolle: Die
Gotteshäuser sind der einzige Ort, an denen sich die Menschen in Syrien
versammeln können, ohne den Repressionen des Staates ausgesetzt zu sein.
Deswegen kam es bislang vor allem nach den Freitagsgebeten zu
Masendemonstrationen. Während des Ramadan aber kommen die Gläubigen täglich
nach dem Fastenbrechen zum Gebet zusammen. Und so strömen die Menschen seit
Beginn des Ramadan am Montag jede Nacht zu neuen Kundgebungen auf die
Straße. Mit der äußerst brutalen Offensive in Hama will das Regime offenbar
verhindern, dass Proteste in dieser Zeit außer Kontrolle geraten.
Doch damit geht Präsident Baschar al Assad ein hohes Risiko ein. Gerade die
Angriffe auf Moscheen könnten dazu beitragen, den Zorn der Bevölkerung
erheblich zu schüren. Seit dem Beginn des Konflikts vor knapp fünf Monaten
sind rund 1.600 Menschen getötet worden.
Syrische Staatsmedien berichteten am Mittwoch, dass Präsident Assad per
Dekret die Gründung neuer Parteien in Syrien zugelassen habe. In den
vergangenen Monaten hat Assad mehrfach versucht, der Protestbewegung mit
Reformversprechen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Die Opposition weist
diese Zusagen als zurück, solange das Regime weiter mit Gewalt gegen die
Demonstranten vorgeht.
Unterdessen fürchten die Menschen offenbar ein weiteres Massaker; Berichten
zufolge schoss die Armee sogar auf fliehende Familien, um sie zu zwingen,
in die belagerte Stadt zurückzukehren. Für viele Syrer trägt Hama eine
besondere Bedeutung: Im Jahr 1982 starben dort Zehntausende, als der
ehemalige Präsident Hafez al Assad einen Aufstand der Muslimbrüder blutig
niederschlug. "Wir alle haben das Bild von damals nach wie vor im Kopf",
sagt der syrische Menschenrechtler Ammar Qurabi. "Hama ist für uns ein
Symbol für den Kampf zwischen dem Volk und dem Regime."
Dem Aktivisten zufolge ist es den Sicherheitskräften gelungen, die Stadt zu
unterwerfen. "Sonst gibt es jede Menge Fragezeichen", sagt er. "Wir
versuchen derzeit auch gar nicht mehr, unsere Quellen in Hama zu errichen.
Die oberste Priorität ist für uns nun die Sicherheit der Leute: Einer
unserer Kontakte ist erschossen worden, kurz nachdem er mit uns gesprochen
hatte."
4 Aug 2011
## AUTOREN
Gabriela M. Keller
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