# taz.de -- Debatte Arabische Revolution: Nach dem Frühling | |
> Der Westen hat in der arabischen Welt stark an Einfluss verloren. Mit | |
> Militärhilfen und alten Allianzen versucht er, seine Interessen zu | |
> wahren. | |
Bild: Ägyptische Soldaten vertreiben am 1. August Demonstranten vom Kairoer Ta… | |
Seit der"Jasminrevolution" in Tunesien werden im Nahen und Mittleren Osten | |
die Karten neu gemischt. Wie die "Arabellion" ausgehen wird, liegt nicht | |
allein bei den Revoltierenden - weitere mächtige Akteure haben ihre Hände | |
im Spiel. In Tunesien und Ägypten sind zwar die Despoten Ben Ali und Husni | |
Mubarak davongejagt, aber deren alte Machtapparate noch intakt. Sie | |
versuchen, zu retten, was zu retten ist. In Jemen, Libyen und Syrien | |
herrscht Bürgerkrieg. In Bahrain wurde der Aufstand niedergeschlagen, | |
Israel und Palästina bleiben weit von einem Frieden entfernt. Irak und | |
Afghanistan stehen seit Jahren unter westlicher Besatzung, und der Plan zu | |
deren Abzug sorgt für neue Unsicherheit. Und auch die Zukunft der Atommacht | |
Pakistan und der Möchtegern-Atommacht Iran ist höchst ungewiss. Kurz: es | |
herrscht Chaos - und das, obwohl sie zu den geostrategisch wichtigsten | |
Regionen der Welt gehört, weil sich hier mehr als 60 Prozent der weltweit | |
vorhandenen Ölreserven befinden. | |
Grund genug für ausländische Großmächte, sich einzumischen. Jahrzehntelang | |
gehörte fast die gesamte Region zur Domäne des Westens. Es war die Zeit des | |
Kalten Kriegs, die Fronten waren klar abgesteckt: hier das sozialistische, | |
dort das kapitalistische Lager. Die USA und Europa rüsteten befreundete | |
Despoten auf, die im Gegenzug für die Wahrung ihrer Interessen sorgten. | |
## Iran spielt die islamische Karte | |
Das Ende des Kalten Kriegs brachten diese postkoloniale Ordnung | |
durcheinander. Neben Russland traten neue Mächte wie Indien und China auf, | |
die ihre Interessen in der Region geltend machten. Auch der von islamischen | |
Geistlichen beherrschte Iran meldete Ambitionen als regionale Großmacht an. | |
In Washington und den Hauptstädten Europas läuteten die Alarmglocken, immer | |
lauter wurde der Ruf nach einer neuen Weltordnung. | |
So begann ein neuer Konkurrenzkampf, in dem unterschiedliche Waffen | |
eingesetzt wurden. Russland und stärker noch China setzten auf die | |
Wirtschaft. Vor allem die Chinesen eroberten in rasendem Tempo neue Märkte | |
in Asien, Afrika, auch in Europa und den USA. Kapitalismus pur: Vorteile | |
erzielen um jeden Preis. | |
Die Islamische Republik Iran dagegen benutzte den Islam als ideologische | |
Waffe. So gelang es Teheran in den letzten Jahren, seinen Einfluss in den | |
Staaten des Nahen Ostens und am Persischen Golf erheblich zu steigern. Doch | |
diese Waffe, die inzwischen im Iran selbst stumpf geworden ist, verliert | |
auch in den islamischen Ländern zunehmend an Wirkung, weil sich das Regime | |
in heillose Widersprüche verstrickt. Hatten die herrschenden Gottesmänner | |
vor zwei Jahre noch die Proteste im eigenen Land brutal niedergeschlagen, | |
so bejubelten sie nun die Aufstände in Ägypten und Tunesien "als Erwachen | |
des Islam in der arabischen Welt". Als jedoch die Unruhen auf das | |
"Bruderland" Syrien übergriffen, wurden die Demonstranten dort kurzerhand | |
als "Agenten des Westens" diffamiert. Jetzt vermeldete die Türkei sogar, | |
sie habe Waffenlieferungen aus dem Iran an das syrische Regime abgefangen. | |
## Bedeutungsverlust des Westens | |
Während Russland, China und auch Indien bei der Neuordnung der Region, die | |
unter dem Namen "Globalisierung" firmiert, beachtliche Erfolge mit der | |
Durchsetzung ihrer wirtschaftlichen Interessen erzielt haben, büßten die | |
USA und zum Teil auch Europa erheblich an Einfluss und Ansehen ein. Die | |
Aufstände in der arabischen Welt boten ihnen die Chance, einen Kurswechsel | |
vorzunehmen. Sie wurde aber nur teilweise genutzt. | |
Als die Revolten in Tunesien und Ägypten ausbrachen, zögerte der Westen | |
zunächst. Immerhin ging es um das Schicksal zweier altgedienten Despoten, | |
die über Jahrzehnte als treue Verbündete galten. Erst als sich abzeichnete, | |
dass Mubarak und Ben Ali nicht mehr zu halten waren, kam aus den USA und | |
Europa die erhoffte Unterstützung für die Aufständischen. | |
Doch bald schon kehrte wieder Ernüchterung ein. Aus Furcht, die gesamte | |
Region könnte aus ihrer Kontrolle geraten, kehrten die westlichen Mächte, | |
wo es noch möglich war, zu altbewährten Allianzen zurück. Während der | |
deutsche Außenminister noch auf dem Tahrirplatz in Kairo die Rebellierenden | |
umarmte und der neuen Bewegung jede mögliche Unterstützung versprach, | |
verkaufte Berlin 200 Panzer an Saudi-Arabien - ein Land, das seine Soldaten | |
zur Niederschlagung von Aufständischen nach Bahrain geschickt hatte. Über | |
die Demonstranten in Bahrain, die aus ähnlichen Gründen wie die in Ägypten | |
und Tunesien auf die Straßen gegangen waren, wurde kaum ein Wort verloren. | |
Grund: Bahrain ist nicht nur ein wichtiger Öllieferant, das Emirat ist auch | |
strategisch von großer Bedeutung, befindet sich dort doch der Stützpunkt | |
der 5. Flotte der USA. Und auch das saudische Regime ist, obwohl es | |
permanent die Menschenrechte missachtet, der wichtigste Verbündete des | |
Westens in der Region. | |
## Es geht ums Erdöl, stupid | |
In Libyen verwandelte das militärische Eingreifen der Westmächte eine | |
Protestbewegung in einen Bürgerkrieg. Ungeachtet der Friedensinitiativen | |
der Afrikanischen Union oder der Türkei bombardieren Nato-Kräfte seit | |
Wochen das Land, um Gaddafi zu stürzen. Libyen ist aus der Sicht des | |
Westens ein wichtiges Land, weil es über die größten Ölreserven in Afrika | |
verfügt. 70 Prozent seiner Ölexporte gehen in die EU. Wenn also Gaddafi | |
nicht mehr zu halten ist, muss man sich rechtzeitig auf die Seite der | |
Opposition stellen, so lautete das Kalkül. Die Behauptung, das militärische | |
Engagement diene der Verteidigung von Freiheit und Demokratie, ist wenig | |
überzeugend. Nicht nur, weil niemand weiß, ob die Rebellen in Libyen | |
tatsächlich für Demokratie und Menschenrechte kämpfen. Das gilt auch für | |
die Militärs in Ägypten und erst recht für die Königshäuser in | |
Saudi-Arabien und Bahrain, die nun massiv mit neuen Waffen ausgerüstet | |
werden. | |
Durch seine Doppelspiel hat der Westen stark an Glaubwürdigkeit verloren. | |
Die arabischen Völker, die um Freiheit und Rechte kämpfen, wissen, dass sie | |
nicht auf Beistand zählen können, weder aus dem Osten noch aus dem Westen. | |
Sie sind auf sich allein gestellt und haben einen steinigen Weg vor sich. | |
7 Aug 2011 | |
## AUTOREN | |
Bahman Nirumand | |
## TAGS | |
Ägypten | |
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