Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Wissenschaftler über Krawalle in England: "Arbeiter zahlen für di…
> Der Konflikt hat mit Klasse und Rasse zu tun: Der
> Erziehungswissenschaftler Augustine "Gus" John über soziale und ethnische
> Dimensionen der Krawalle in England.
Bild: Klassenunterschiede haben bei den Krawallen eine Rolle gespielt, sagt Aug…
taz: Herr John, Premierminister David Cameron verlangt von den Gerichten
abschreckende Urteile, Innenministerin Theresa May brüstet sich damit, der
Polizei ein härteres Vorgehen verordnet zu haben. Ist das die Lösung?
Augustine John: Im Gegenteil, es macht mir Sorgen. Denn die jungen Leute
hatten ganz verschiedene Gründe, an den Krawallen teilzunehmen, und viele
sind ja nur zufällig dazugestoßen oder haben aus Opportunismus mitgemacht.
Doch laut Gesetz werden alle gleichermaßen als Täter behandelt - egal ob
jemand ein Feuer gelegt hat oder nur in einer Gruppe war, die dabei
zugeschaut hat. Jetzt werden wohl junge Menschen im Gefängnis landen.
Was sollte man sonst tun?
Besser wäre es, wenn die Gerichte den Weg der restaurativen, also
opferorientierten Justiz gehen würden, statt Gefängnisstrafen zu verhängen.
Man sollte die Täter mit den Opfern zusammenbringen und sie zwingen, sich
mit den Konsequenzen ihres Handelns auseinanderzusetzen.
Waren die Krawalle vorhersehbar?
Die Bedingungen sind ja dieselben wie bei den Krawalle in Brixton und
anderswo, die sich gerade zum 30. Mal gejährt haben. Schwarze Jugendliche
werden immer noch viel häufiger als weiße von der Polizei auf der Straße
angehalten und durchsucht. Mindestens 95 Prozent von ihnen haben nichts mit
Kriminalität zu tun, aber sie werden schikaniert und misshandelt.
Es geht also um einen ethnischen Konflikt?
Der Konflikt hat mit Rasse zu tun, aber auch mit Klasse: Schwarze
Jugendliche sind oft in der Schule schlechter und häufiger arbeitslos. Das
hat auch damit zu tun, wie die Gesellschaft diese Jugendlichen sieht. Wenn
man sie als Abschaum betrachtet, benehmen sie sich irgendwann so.
Wie kann man verhindern, dass sich das wiederholt?
Es ist jetzt dringlicher denn je, eine Art Volksuntersuchung in die Wege zu
leiten, die sich auf den schwarzen Bevölkerungsteil konzentriert. Dieses
Thema betrifft die Gesellschaft als Ganzes, es betrifft die Sozialisation
junger Menschen und deren Teilnahme am wirtschaftlichen Leben, und es
betrifft die Sicherheit und den Zusammenhalt der Gesellschaft. Es muss
etwas in der Bildung und beim Angebot von Jobs und Lehrstellen geschehen.
Sind die Krawalle auch eine Reaktion auf das Verhalten der Mächtigen?
Ja. Das Wenige, das diese jungen Leute hatten, wurde ihnen von Cameron im
Zuge der Kürzungen wegen der Schuldenkrise weggenommen. Zugleich greifen
die Banker weiterhin Bonuszahlungen ab. Die Arbeiterklasse zahlt für die
Gier anderer.
Auch die Gier der Politiker?
Ja. Denn die Krawalle sind zwar nicht akzeptabel, aber die Politiker
spielen sich als moralische Instanzen auf, betrügen aber selbst bei
Spesenabrechnungen. Und die Polizei fasst sie mit Samthandschuhen an. Sie
ruft bei den betreffenden Politikern an und bittet sie, auf dem Revier
vorbeizuschauen, während die Beamten bei vermeintlichen Plünderern zu zehnt
in Kampfanzügen anrücken und die Tür eintreten.
Cameron will eine Untersuchung über Jugendbanden in Auftrag geben. Welche
Rolle haben die gespielt?
Höchstens eine indirekte. Die Banden haben einen Waffenstillstand
geschlossen, um gemeinsame Sache gegen den Feind zu machen, die Polizei.
Aber mindestens drei Viertel derer, die bei den Krawallen mitgemacht haben,
gehören keiner Bande an. Wenn Cameron über Banden redet, kommt nur verbaler
Dünnpfiff dabei heraus.
15 Aug 2011
## AUTOREN
Ralf Sotscheck
## TAGS
Schwerpunkt Meta
Schwerpunkt Überwachung
## ARTIKEL ZUM THEMA
Britisches Bildungssystem: Hoffnungen zweiter Klasse
In den Problembezirken Großbritanniens sind Schulen oft schlecht
ausgestattet, das soziale Umfeld schätzt Bildung nicht wert. Wer dort
aufwächst, für den bleibt Oxford unerreicht.
Über Facebook zu Plünderungen angestiftet: Vier Jahre Haft für Randale-Aufruf
Weil sie über Facebook zu Krawallen aufgerufen hatten, sind zwei Männer im
Nordwesten Englands zu vier Jahren Haft verurteilt worden. Das Urteil soll
laut Richter abschreckend wirken.
Kommentar Cameron und die Riots: Cameron spielt für die Galerie
David Camerons Reaktionen auf die Riots sind blinder Aktionismus. Bei den
Maßstäben, die angelegt werden, darf man sich nicht über Unruhen wundern.
Konfliktforscher über die britischen Riots: Verkehrsregeln der Randale
Wie lassen sich Krawalle von Massakern unterscheiden? Was ist ihre
Vorgeschichte? Und wieso sind ähnliche Vorkommnisse in Deutschland
unwahrscheinlich?
Nach den Riots in England: Nun zoffen sich Politik und Polizei
Der britische Premier und die Innenministerin kritisieren die Polizei für
ihr Vorgehen. Der Verband der Ordnungskräfte fühlt sich ungerecht
behandelt.
Soziologe über Armut in Großbritannien: "Die Entfremdung ist überall spürba…
Ursachen der Gewalt: Seit den 70ern gibt es einen schleichenden Prozess der
Kriminalisierung von Armut, sagt der Londoner Soziologe Jeremy Gilbert.
Krawalle in Großbritannien: Cameron verfolgt dich nun auf Twitter
Nach den Krawallen in England kritisiert der Premierminister
Online-Netzwerke. Die Polizei nutzt sie indes für ihre Zwecke und die
Briten organisieren dort Aufräumarbeiten.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.