# taz.de -- Kommentar Gamescom: Zeit verschwenden? Aber immer! | |
> Die Gamescom, Europas größte Messe für digitale Spiele, ist eröffnet. Ein | |
> guter Anlass, um den Eskapismus zu loben und mal hemmungslos unproduktiv | |
> zu sein. | |
Bild: Egal wo, Hauptsache spielen: Besucher der Gamescom 2010. | |
BERLIN taz | Wieviele Arbeitsplätze schafft die Spielebranche? Wie sind | |
ihre Umsatzzahlen? In welche Richtung entwickeln sich die Konsolen, PCs, | |
Smartphones? Es gibt viele Fragen, die dieser Tage zur Gamescom in Köln | |
gestellt werden. | |
Nur eine wird häufig ausgespart: Was sind das für Menschen, die sich für | |
die Gamescom eine Dauerkarte sichern? Oder einfacher gefragt: Wie ticken | |
all diese Spieler eigentlich? Die naheliegende Antwort lautet: jeder | |
anders. | |
Und doch gibt es etwas, dass viele Spieler verbindet. Sie wollen kurz mal | |
raus aus den Mühlen des Alltags, sie fliehen für Stunden vor Job, Uni, | |
Familie, WG und suchen sich eine Welt, in der sie das anspruchsvolle | |
soziale Multitasking zugunsten des schlichten Multitasking am Controller | |
oder an der Tastatur hinter sich lassen. | |
Sie wollen spielen, sonst nichts. Für eine bestimmte Zeitspanne sich wieder | |
wie ein Kind verhalten, die Umgebung ausblenden, nicht auf Minuten, | |
Stunden, Terminpläne und Erinnerungsmails achten, nicht effizient sein, mit | |
ihren Ressourcen nicht haushalten, sondern sie zweckfrei verschwenden. | |
Digitale Spiele und Eskapismus gehören zusammen wie Lara Croft und ihre | |
Schusswaffe. | |
## Zeitverschwendung | |
Viele Eltern werfen ihren Kindern ärgerlich vor, die Beschäftigung mit | |
Computer- und Videospielen sei reine Zeitverschwendung. Sie haben Recht. | |
Digitale Spiele mögen so manchen Kollateralnutzen haben - Fingerfertigkeit, | |
verbesserte Reaktionszeiten, Einübung von Rollen etc. -, im Kern aber sind | |
sie digitale Zeitvernichter. | |
Das ist gut, denn das ach so häufig formatierte Leben bietet nicht mehr | |
viele Bereiche, in denen man einfach mal hemmungslos das Hamsterrad | |
verlassen, sich ausklinken, Vergnügen und Spaß an etwas haben kann, das | |
einen selbst, den Arbeitgeber, die Gesellschaft oder den Staat kaum | |
weiterbringt. | |
Damit keine Missverständnisse aufkommen: Mit einer Flucht wird nichts | |
besser. Gesellschaftliche Zustände, denen man entflieht, sind nach der | |
Rückkehr ebenso schwierig, komplex und unerträglich wie zuvor. Wer aus | |
einer gewalttätigen Gesellschaft in die heimelige Pixelwelt der "Sims" | |
flieht, wird nach dem letzten Level genauso in die Realität zurückgeworfen | |
wie der, der sich aus einer friedlichen Welt freiwillig in Kriegsspiele | |
stürzt. | |
Das gilt auch für Menschen, die sich ihre Spiele bewusst für einen | |
Rollenwechsel aussuchen: die Bankangestellte, die abends in "World of | |
Warcraft" als harte Fantasy-Kämpferin agiert, den Künstler, der in der | |
Mittagspause den "Bagger-Simulator" anwirft. Zeitweilig abgeschaltet aber | |
haben all diese Spieler, eine andere Welt war möglich. | |
## Unproduktiv sein | |
Der Trend der späten nuller Jahre, selbst beim Spielen noch wahnsinnig | |
produktiv zu sein, ist vorbei. Manche Sportspiele für Nintendos Konsole | |
"Wii" und vor allem die Gymnastik- und Fitness-Software der "Wii Fit" | |
hatten ihre Zeit und haben ihren Beitrag zur biopolitischen "Optimierung" | |
von Körper und Geist geleistet. | |
Auch Microsofts Kinect, die Bewegungssteuerung für die Xbox, beherrscht | |
jene Spiele, in denen Training und Sport die individuelle Leistung selbst | |
noch an der Spielkonsole steigern sollen. Doch der Trend geht längst | |
anderswohin. Mit den Smartphone- und rechnerbasierten Online-Games kehrt | |
das schnelle, körperlich anspruchslose Spiel zurück. Und mit ihm der Drang, | |
wieder vermehrt unproduktiv zu sein. | |
17 Aug 2011 | |
## AUTOREN | |
Maik Söhler | |
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