# taz.de -- taz-Wahllokale: Streit über S-Bahn-Privatisierung: "Am schlimmsten… | |
> Was tun mit der S-Bahn? Für Rouzbeh Taheri vom S-Bahn-Tisch ist klar: Die | |
> Profitorientierung muss weg. Christfried Teschepe vom Fahrgastverband | |
> Igeb glaubt nicht, dass der Senat kurzfristig handeln kann. | |
Bild: Die S-Bahn ist eine Baustelle. Und eine schnelel Lösung nicht in Sicht. | |
taz: Herr Tschepe, Herr Taheri, 2017 läuft der Vertrag aus, nach dem die | |
Berliner S-Bahn von der Deutschen Bahn (DB) betrieben wird. Sollte danach | |
das Land Berlin die S-Bahn selbst betreiben? | |
Rouzbeh Taheri: Es kommt gar nicht so sehr darauf an, wer die S-Bahn | |
betreibt, sondern mit welchem Zweck. Der öffentliche Nahverkehr muss dem | |
Gemeinwohl dienen und nicht der Profitorientierung. Private Betreiber | |
wollen aber Gewinne erwirtschaften. Und das geht im öffentlichen Nahverkehr | |
nur, wenn man Lohndumping betreibt oder die Infrastruktur auf Verschleiß | |
fährt. Wenn man beides ausschließt, wird sich kein privater Betreiber mehr | |
dafür interessieren. | |
Christfried Tschepe: Als Fahrgastverband können wir uns auch eine | |
Ausschreibung vorstellen. Entscheidend ist, welche Standards für die | |
Fahrgäste darin festgelegt werden. Qualitätsstandards und soziale Standards | |
für die Beschäftigten gehören unbedingt rein. | |
Taheri: Ich glaube, das würde an der Realität scheitern. Denn sobald | |
ordentliche Standards festgelegt sind, wird es wohl kaum Unternehmen geben, | |
die sich bei einer Komplettausschreibung bewerben wollen. Und eine | |
Ausschreibung von Teilstrecken lehnen wir ab. Denn dann kümmern sich die | |
Unternehmen nur um die lukrativen Sahnestücke, wie die Ringbahn. Am besten | |
wäre daher meiner Ansicht nach, wenn Land und DB das gemeinsam machen. | |
Die DB wirtschaftet aber auch profitorientiert. Warum wollen Sie, dass sie | |
weiterhin dabei bleibt? | |
Taheri: Weil das sonst nur zu Komplikationen führen würde. Die DB ist | |
schließlich weiterhin für Gleise und Stationen zuständig. Daher wollen wir | |
mit unserem Volksbegehren, das sich für höhere Standards bei der S-Bahn und | |
die Offenlegung des S-Bahn-Vertrags einsetzt, auch Druck auf die DB | |
aufbauen. Die weiß nämlich sehr gut, dass sie mit dem Chaos bei der S-Bahn | |
ein Imageproblem produziert hat. | |
Herr Tschepe, ist das Volksbegehren der richtige Weg? | |
Tschepe: Was das Aufbauen von Druck aufgeht, kann es sicher helfen. Sonst | |
halten wir es für eine Mogelpackung. Zwar ist alles richtig und gut, was da | |
drin steht. Aber es wird die Situation bei der S-Bahn erst einmal nicht | |
verändern. Die Überschrift des Volksbegehrens, dass damit auch das Chaos | |
beendet würde, suggeriert etwas, das es nicht leisten kann. | |
Wieso? | |
Tschepe: Nehmen wir die Offenlegung der Verträge. Das ist sicher nicht | |
schlecht, aber im Unterschied zu den Verträgen über die Teilprivatisierung | |
der Berliner Wasserbetriebe ist bei der S-Bahn mittlerweile zu weiten | |
Teilen bekannt, was drinsteht. Mit den Nachverhandlungen im Zuge des | |
S-Bahn-Chaos kamen beispielsweise die vereinbarten Strafzahlungen ans | |
Licht. Und viele andere Dinge, die das Volksbegehren fordert, können erst | |
in einem neuen Vertrag, also nach 2017 vereinbart werden. Aber die | |
Strukturfragen, die zum Chaos bei der S-Bahn geführt haben, dass also das | |
Unternehmen ausgesaugt wurde, dass es keine Investitionen in die | |
Infrastruktur gab - das sind alles Sachen, die das Volksbegehren gar nicht | |
anspricht. Kann es auch nicht, denn hier hat das Land, also der Senat, | |
keinen Einfluss. | |
Was kann dann ein Senat überhaupt tun? | |
Tschepe: In dem Zeitraum bis 2017 kann das Land Berlin relativ wenig | |
machen. Das einzige sind Appelle und das Einbehalten von Geldern. Erst mit | |
dem neuen Vertrag ab 2017 gibt es Gestaltungsmöglichkeiten - sei es eine | |
Ausschreibung oder eine Vereinbarung mit dem Bund, dass Berlin die | |
Netzinfrastruktur bekommt. Wobei es wichtig wäre, auch Brandenburg ins Boot | |
zu holen, denn da fährt die S-Bahn schließlich auch. | |
Taheri: Ich denke schon, dass Berlin etwas tun kann. Wenn der Betreiber | |
verpflichtet wird, eine bestimmte Anzahl von Zügen bereitzuhalten oder | |
Personal auf die Bahnhöfe zu stellen, werden Teile der Probleme gelöst. | |
Brandenburg spart mit der Ausschreibung seines Regionalverkehrs rund 40 | |
Millionen Euro pro Jahr. Und Berlin ist knapp bei Kasse. Würde eine | |
Ausschreibung das Land weniger Geld kosten als der jetzige Betrieb? | |
Tschepe: Ob ein Landesunternehmen die S-Bahn betreibt oder ein oder mehrere | |
Unternehmen nach einer Ausschreibung wird an den Kosten kaum etwas ändern. | |
Denn einen ganz großen Teil machen die Preise für die Benutzung von Trassen | |
und Stationen aus - und die legt die Deutsche Bahn fest. Das wäre nur dann | |
zu ändern, wenn eine Bundesregierung bereit wäre, regionale | |
Nahverkehrsnetze auch den Ländern zu überlassen. | |
Egal ob es nach 2017 eine Ausschreibung oder ein landeseigenes Unternehmen | |
gibt - es werden neue Züge benötigt. | |
Tschepe: Wichtig ist vor allem, dass man schnell zu einer Entscheidung | |
kommt. Das hat die Senatorin zwar schon vor anderthalb Jahren gesagt, aber | |
passiert ist bislang nichts. Das Aussitzen der Entscheidung des Senats ist | |
schlimmer, als überhaupt eine Entscheidung zu treffen, egal, wie sie | |
aussieht. | |
Taheri: Die Bahn AG hat die verdammte Verpflichtung, neue Züge | |
anzuschaffen, gerade nach dem, was sie sich in den letzten Jahren geleistet | |
hat. Und der neue Betreiber kann die Züge dann von der Bahn kaufen oder | |
mieten, wie die S-Bahn das zur Zeit auch praktiziert. | |
Tschepe: Es ist aber so, dass sich die Bahn schwer tut, ihre nicht mehr | |
gebrauchten Züge zu vermieten oder zu verkaufen. Und sie wird jetzt ganz | |
sicher nicht von sich aus aktiv werden, schließlich weiß sie nicht, ob sie | |
den Auftrag nach 2017 noch bekommt. | |
Gibt es ein Betreibermodell, das Sie jeweils ganz ablehnen? | |
Taheri: Ich bin insgesamt gegen eine Ausschreibung, weil Unternehmen bei | |
Ausschreibungen nur nach unten konkurrieren. Sicherheit, Qualität und | |
soziale Standards bleiben dabei auf der Strecke. Daher bin ich für eine | |
Direktvergabe. | |
Die dürfte aber laut einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs nicht mehr | |
zulässig sein. | |
Taheri: Das kommt auf die juristische Interpretation an. | |
Tschepe: Das einzige, was wir wirklich ablehnen, ist eine Vergabe an die | |
BVG. Die BVG ist jetzt schon groß genug und hat genügend eigene Probleme. | |
Ein großer Monopolist, das wäre nicht gut für Berlin. | |
Eine Entscheidung über die Zukunft der S-Bahn fällt erst nach der Wahl am | |
18. September. Was denken Sie, welche Parteien werden Ihre jeweiligen | |
Forderungen am ehesten umsetzen? | |
Taheri: Das ist schwierig. Schließlich weiß man bei einigen Parteien gar | |
nicht so genau, was sie wollen. Bei der SPD zum Beispiel wissen | |
wahrscheinlich nicht mal die Politiker selber, was sie wollen. | |
Im Wahlprogramm steht, dass die Partei eine Ausschreibung ablehnt und mehr | |
kommunalen Einfluss will. | |
Taheri: Darauf ist nicht unbedingt Verlass. Von allen Parteien am | |
deutlichsten haben sich bislang Linkspartei, Piratenpartei und DKP | |
positioniert. Sie unterstützen das Volksbegehren. | |
Tschepe: Die Parteien tun sich tatsächlich ausgesprochen schwer mit | |
konkreten Aussagen. | |
Wieso? Die Grünen sprechen sich zum Beispiel klar für eine Ausschreibung | |
aus. | |
Tschepe: Das stimmt. Aber mit wem wollen sie die denn durchsetzen? | |
Zumindest nicht mit der SPD. Die scheint darauf zu setzen, dass sie ab dem | |
Jahr 2013 in der Bundesregierung sind und da das Vergaberecht ändern | |
können, so dass eine Direktvergabe des S-Bahn-Betriebs an die Deutsche Bahn | |
möglich wäre. Und bei so einem Konzept sind natürlich eine ganze Menge | |
Unbekannte dabei. | |
6 Sep 2011 | |
## AUTOREN | |
Svenja Bergt | |
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